Die Kontrolle der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt

Nach Informationen über die Besetzung von Erfurt beginnen am 4. Dezember einige Mitglieder der Bürgerbewegung aus der Region Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, die Eingänge der Dienststelle der Staatssicherheit in Siegmar im Südossten der Stadt zu kontrollieren. Hier hatte der Abteilung des MfS/AfNS ihren Sitz, die für die Überwachung des Uranbergbaus zuständig war. Hier sind auch die Kreisdienststellen Karl-Marx-Stadt Land und Stadt ansässig. Die Bürgeraktionen richten sich vor allem gegen diese.

Am Folgetrag versammeln sich dort ca. 200 Personen. Unter diesem Druck gelingt es, am 5. nachmittags und am 6. die Staatsanwaltschaft und Polizei zu gewinnen, Archiv- und andere Räume zu versiegeln. Die eigentliche Bezirksverwaltung befindet sich auf dem Kaßberg in der Innenstadt, verteilt über mehrere Villen an der Richard Sorgestraße, heute Hohe Straße. Hier ist auch der Gefängniskomplex, wo inhaftierte Ausreisewilligen der gesamten DDR vor ihrer Abschiebung in die Bundesrepublik konzentiert werden. Hier scheint es nach jetzigen Wissen zunächst nur Bürgerwachen des Neuen Forum gegeben zu haben.

Die Bildung eines Kontrollausschusses unter Bürgerbeteiligung verzögert sich allerdings bis in den Januar 1990. Erst nachdem in Berlin die Auflösung des MfS/AfNS beschlossene Sache ist, kommt er zur vollen Wirkung und hat zeitweise 85 Mitglieder. Diese verzögerte Auflösung überrascht, denn gerade im Bezirk Karl-Marx-Stadt gab es immer wieder massive Proteste und Streikdrohungen wegen der Stasi-Frage. Allein auf der Montagsdemonstration vom 15. Januar ca. 150 000 Teilnehmern wird die Forderung „Jedem seine Akte!“ erhoben und mit Streiks gedroht. Die Erforschung der Auflösung der Stasi in Karl-Marx-Stadt steckt noch in den Anfängen.

Chronologie

Bezirksverwaltung am Kaßberg

Wachsender Druck und Versuche des MfS ihn zu kanalisieren

Kreisdienststelle Karl-Marx-Stadt Land in Siegmar

Abschlussbericht des Regierungsbeauftragten vom März 1990, RHG

 

Siegfried Gehlert, Leiter der Bezirksverwaltung der MfS in Karl-Marx-Stadt: "In keinem Staat der Welt hat es das jemals gegeben, dass oppositionellen Gruppierungen Tore und Türen zu Panzerschränken und Archiven geöffnet werden."

In alten Tagen. Generalmajor Siegfried Gehlert, damals noch Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, salutiert vor  dem ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung Siegfried Lorenz.

BStU, MfS, BV KMS, AKG, FO Nr. 501

Generalleutnant Siegfried Gehlert auf der letzten Dienstversammlung

Mitschnitt vom 4.12.1989