Moderierte Besetzungen? Zu einem friedlichen Wandel gehören immer zwei.

Neue Erkenntnisse und Akten zur Stasibesetzung zeigen, die Stasi drohte im November 1989 mit Schusswaffen, dennoch redete man miteinander. Der Dialog zwischen Stasi und Bürger war schon vor der Besetzung vom 4. Dezember weit gediehen. Leipzig wurde offenbar zum Deeskalationsmodell.[1] 

Stand 30.11.2022

Oft erscheint das Ende der Stasi als ein Volkssturm, der über die gelähmte kommunistische Geheimpolizei hereinbrach und sie für immer hinwegfegte. Die Heldenrolle wird dabei meist regionalen Bürgerrechtlern zugeschrieben. Grob vereinfacht und mit weitem Abstand wirkt die Geschichte in der Tat so. Bei näherer, detaillierter Betrachtung ist diese Erzählung zu glatt, war die Stasi pfiffiger und flexibler im Umgang mit den Protestierern, über die Rolle der Bürgerrechtler muss man oft rätseln und der eigentliche Furor ging wohl eher von mehr oder minder unpolitischen Bürgern aus, die gelegentlich auch über die Stränge schlugen. Dies zeigt eine Neubewertung von Akten aus Leipzig.

Foto: Bürger und Stasi standen sich in Leipzig am 4. Dezember 1989 gegenüber- Der Dialog hatte schon früher begonnen.

Das Thema Stasi stand ursprünglich nicht als Nummer 1 auf der Agenda des revoltierenden Volkes der DDR im Sommer und Frühherbst '89, auch wenn es irgendwie im Raum mitschwang. Zunächst ging es um Reisefreiheit, Freiheit allgemein, den miesen Zustand der DDR, Honecker und seine SED, die knüppelnden Polizisten und Justizwillkür. Nachdem hier die herrschenden Kommunisten Stück für Stück hatten zurückweichen müssen, weil kein großer Bruder wie weiland noch 1953 mehr bereit war, zu helfen, rückte das Thema Stasi immer mehr in den Vordergrund, so auch Mitte November auf den legendären Leipziger Montagsdemos, die zu dieser Zeit auf angeblich ca. 100.000 angeschwollen waren. Sie örtliche Stasi war besorgt über eine „zunehmende Aggressivität“1

Die regionalen Sicherheitsorgane, insbesondere die Stasi, wurden nervös. Denn der Revolutionszug der traditionell einmal um den Altstadt-Ring zog, musste immer die sogenannte Runde Ecke passieren, wo sich die Geheimpolizei über die Jahre eine regelrechte Trutzburg mit einigen tausend Mitarbeitern aufgebaut hatte. Was, wenn erregte Bürger das Gebäude stürmen würden? Die Stasi war zwar noch unter Waffen. Im November dachten auch einige Stasi-Provinzfürsten in einzelnen sächsischen Kreisdienststellen noch daran, sich notfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen.2 Aber in der „Heldenstadt“ Leipzig, wo die martialisch aufmarschierte DDR-Ordnungsmacht am 9. Oktober vor der Zahl der Demonstranten hatte kapitulieren müssen, schien diese Lösung kaum opportun. Zudem hatten die neue Staatsführung und SED-Strategen um Egon Krenz nach der Absetzung von Erich Honecker den Dialog ausgerufen. Sie hofften durch Bürgerdialoge mit ihrer SED wieder in die Offensive zu kommen. Reden statt Zuschlagen war die Alternative zum Sicherheits-System Honeckers, die auch den bewaffneten Organen, samt Stasi verordnet wurde. Also redeten sie.

 

Am 12. November 1989 um 17 Uhr kam es im Leipziger Haus der Deutsch Sowjetischen Freundschaft im Raum „Kiew“. zu einem „Gipfeltreffen“ besonderer Art.3 Bürgerrechtler und Vertreter der staatlichen „Schutz- und Sicherheitsorgane“ trafen aufeinander, die Stasi war gleich mit zwei Offizieren präsent, Polizei und Feuerwehr begnügten sich mit je einem Vertreter.

Protokoll 12.11.1989. (Abschrift folgt)

Der erste Termin am Morgen war noch gescheitert. Durch Vermittlung von zwei Vikaren, die zugleich in der Bürgerrechtsgruppierung Neues Forum aktiv waren, kam es dann doch noch zur einer Zusammenkunft.

Ob wirklich die beiden die Initiatoren des Zusammentreffens waren, oder ob die Sicherheitskräfte selbst daran gedreht hatten, muss vorerst offen bleiben. Das Protokoll schrieben jedenfalls die Staatsvertreter und auch das Thema „Sicherung der Gewaltlosigkeit“, v.a. an den berühmten revolutionären Montagen, war als Hauptthema offenbar gesetzt. Egdar Dusdal, heute Pfarrer, erinnert sich dass die Staatsseite die Lage „dramatisch“ darstellte. Sie präsentierten seiner Erinnerung nach Fotos mit Kerzen vor der Leipziger Stasizentrale, die Brandspuren am Gebäude belegen sollten.

Foto: Der Theologe Edgar Dusdal nahm damals für das Neue Forum am Leipziger Dialog Teil

 

Wenn man den Stasi-Protokoll Glauben schenken kann, ließen sich die 15 Bürgervertreter große Umschweife darauf ein, Ideen einzubringen. Das Ganze in der Stasiverschriftung so wie ein professionelles Deeskalationsmeeting zur Eindämmung von Fußballfans oder Kreuzberger Randalen. Das war ein „Einschüchterungsversuch“, meint Dusdal heute. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass es zu keinen Übergriffen kommt, sonst müssten sie von der Schusswaffe Gebrauch machen, da bliebe ihnen keine andere Wahl. Im Protokoll findet sich so ein Hinweis nicht. Ein bloßer Bluff war es allerdings auch nicht. Nach Lage der Akten galt der Schusswaffengebrauch Mitte November noch als Ultima Ratio der Stasi-Objektsicherung. Funde in Kreisdienststellen für die die Leipziger Bezirksverwaltung verantwortlich war, zeigen, dass dort der Einsatz von Schusswaffengebrauch zu dieser Zeit noch  erwogen wurde, um aufdringliche Bürger abzuwehren.

Vielleicht erklärt dieses Drohszenario, warum die Leipziger Bürger so konstruktiv mit den Vertretern der „bewaffneten Organe“ sprachen, die ihnen noch kurz zuvor hochgerüstet gegenüber gestanden hatten. Man befand sich mitten in einem revolutionären Umbruch und dennoch hatte offenbar keiner Grundsätzliche Einwände gegen diese Art der Gespräche. Das mag aber auch daran liegen, dass die Leipziger nach ihrem „Sieg“ vom 9. Oktober selbstbewusst waren und sich seit diesem Termin mit den damaligen Vermittlern, darunter mehrere SED-Mitglieder und der Gewandhausdirigent Kurt Masur, eine Art Miteinanderkultur herausgebildet hatte. Schon zwei Tage nach der Großdemonstration, die nicht mehr unterdrückt werden konnte, führte der Leipziger Oberbürgermeister ein Gespräch mit leitenden kirchlichen Amtsträgern.4 Man versuchte in dieser Zeit, die Kirche zu „überzeugen, dass sie nicht zum Sachwalter antsozi[alistischer] Kräfte wird.“5 Kurt Masur selbst moderierte  am Wochenende regelmäßig Gewandhausforen.6

Der neue Geist, der in Leipzig wehte, war freilich nicht nur lokal ertrotzt, sondern Ergebnis des Strategiewechsels nach der Ablösung von Erich Honecker. So wurden den Stasi- Genossen in der Bezirksverwaltung als Ergebnis der 9. ZK Tagung der SED mitgeteilt dass es notwendig sei, „ehrliche und gemeinsame Arbeit d[er] gesamten Bevölkerung und ehrlichen Dialog mit allen Bürgern auch mit Andersdenkenden“7 zu führen. Damit waren explizit auch die Mitglieder vom Neuen Forum gemeint. In der SED-Führung hatte sich inzwischen die Devise durchgesetzt, „Demonstration sind nur mit poli[ischen]. Mitteln zu lösen“. Allerdings stellte sich für die Praktiker vor Ort die Frage, wie Demonstrationen zu beenden seien „Wir haben keinen Ansprechpartner, da sie sich nicht angemeldet haben“. Insofern kam ihnen die Gesprächsbereitschaft des Leipziger Neuen Form und anderer, vermittelt offenbar durch Theologen, durchaus recht. Denn, so waren sie bange: Die „Zeit läuft uns davon“.8 Anders als erhofft, gingen nach dem Abgang Honeckers die Demonstrationszahlen nicht herunter, sondern stiegen weiter und auch die Forderungen der Demonstranten wurden immer breiter und grundsätzlicher. Dieser Trend sollte umgekehrt werden. Wie schlitzohrig die Stasi-Leute ihren Dialog anlegten, zeigen die internen Arbeitsprotokolle der damaligen Dienstbesprechungen. Diese Gespräche dürften nicht zur Anerkennung des Forums führen, „feindliche Kräfte sind dabei zu entlarven“. 9

Entsprechend wurde in der Nachlese zu den Treffen zur Demonstrationsvorbereitung genau differenziert, wer sich sachlich und wer in der Diskussion „eine starke Ablehnung des MfS“10 zu erkennen gegeben und eher fordernd aufgetreten war. Keine Belanglosigkeit, da es das MfS in dieser Zeit immer als seine Aufgabe ansah, Verfassungsfeinde zu beobachten und seine Präventiv-Verhaftungslisten aktualisierte.

Von dem ahnten die Bürger bei ihren Gesprächen wohl nichts. Eher arglos besprachen sie deeskalierende Taktiken. Vor einer Polizeikette sollte eine zweite Kette aus Ordnern des Neuen Forum aufgestellt werden. Die Großdemo vom 4. November in Berlin diente bei derartigen Vorschlägen als Vorbild. Eher aus dem Kreis der Offiziellen dürfte der Vorschlag gestammt haben, 2000 Ordner aus dem neuen Studentenrat zu rekrutieren. Mit tausenden von Flugblättern und Megaphonaufrufen sei zur Gewaltlosigkeit aufzurufen, Straßenmusikähnliches Entertainment könnte helfen, die Menge gegen Ende der Demo zu zerstreuen. Die Bürger konzedierten laut Stasiprotokoll sogar, dass die Sicherheitsorgane vor der Demo Alkoholisierte und Aggressive aus der Menge herauslösen sollten. Edgar Dusdal, der Theologe, der damals mit dabei war, meint aus heutiger Sicht, keiner habe widersprochen, weil ohnehin jeder wusste, dass es nachher anders kam. Mag sein, den schon fast zu brave wirkte es, dass die Bürgervertreter laut Protokoll ihr Gegenüber, die Polizei und die Stasi, fragten, ob der Staat nicht bei der Beschaffung der Schärpen behilflich sein und ihnen ein Büro stellen könnte. Auch in die Medien sollte die Vereinbarung gebracht werden.

Leipziger Volkszeitung vom 14.11. 1989. Artikel

Folgt man dem Protokoll des ersten Treffens vom 12.11. waren die Staatsvertreter weit auf dem Weg gediehen, die Opponenten des Staates einzuwickeln und zu Verbündeten zu machen. Wie wenig die Stasileute aber wirklich im Umgang mit Andersdenkenden geübt war, zeigt ein Rundfunkinterview einige Tage danach. Im Rahmen der neuen Offenheit schwärmte Leipzigs Stasi-Chef Manfred Hummitzsch am 14.11. von dem Ideenreichtum und der Konstruktivität der Bürgervertreter.11 Der Zeitzeuge meint, es gab damals eine ganze Reihe von Versuchen, die Bürgerbewegten zu instrumentalisieren. Dabei versuchte die SED sich „an die Spitze“ zu stellen. Diese öffentliche Funktionalisierung durch den Stasichef ging dann einigen Revolutionären, vor allem vom neuen Forum, endgültig zu weit. Diese Ungeschicklichkeit führte zu einer gewissen Radikalisierung und es setzten sich nun die durch, die von den Stasivertretern die Vernichtung von Personendossiers (hic), einen Untersuchungsausschuss, die rechtliche Verfolgung von Schuldigen und mehr Transparenz forderten. Sie fühlten sich von der Stasi „provoziert“ wie auch schon durch die Kameraüberwachung der Demos. Beim zweiten Treffen, am 16. 11. , hatten die Bürgern erst einmal genug. Daraufhin wurde eine „Denkpause“ vereinbart, weil sie sich durch das Medienlob des Stasichefs zu sehr vereinnahmt gefühlt hatten, was ihnen schade.12

Protokoll 16.11.1989. (Abschrift folgt)

Immerhin hatte sich zu diesem Zeitpunkt das Prozedere, was am 12. 11. worden vereinbart war, schon weitgehend eingespielt. Auch für Leipzig galt die sogenannte „Sicherheitspartnerschaft“, Demonstrantenordner mit Schärpen „Keine Gewalt“ vor der Runden Ecke gehörten zum „normalen“ Bild der Demonstrationen vom 13. und 30. November, wo angeblich über Hunderttausend unterwegs waren.13

Selbst bis nach Berlin in die Stasi-Zentrale wurde das Leipziger Modell bekannt. Die dortigen Auswerter dokumentierten, dass ihre Leipziger Kollegen „Dem Neuen Forum für Schutz gedankt“ hatten. Durch Dialog mit den Gruppen müsse „das Vertrauen des Volkes zur Staatssicherheit […] wiederhergestellt werden“14

Diese Sicherheitspartnerschaft sollte sich in gewisser Hinsicht auch am 4. Dezember bewähren, dem Tag an dem erstmals in der DDR Stasi-Bezirks- und Kreisverwaltungen besetzt wurden.15 Das Ergebnis war allerdings in Summe ein anderes, als vom MfS erhofft. An diesem Tag drohte die Volksseele überzukochen. Enthüllungen über Aktenvernichtungen und Geldunterschlagungen, zuletzt die Flucht des ominösen Außenhändlers Schalck-Golodkowski am Wochenende zuvor, drohten die Leipziger Montagsdemonstration aus dem Ruder laufen zu lassen. Daran hatte zu diesem Zeitpunkt keiner der politischen Hauptakteure ein Interesse. SED und Opposition hatten sich für den 7. Dezember erstmals zum Runden Tisch verabredet, um den gesellschaftlichen Großkonflikt politisch zu lösen, der letzte SED-Ministerpräsident Hans Modrow hoffte in diesen Tagen als ehrlicher Makler zu punkten.16

 Es begann daraufhin ein Krisenmanagement, in das aus die Zentrale Ebene in Berlin eingeschaltet war. Die Ikone des Neuen Forum, Bärbel Bohley verhandelte mit Gregor Gysi und dem ehemaligen Spionagechef Markus Wolf.17 Andere wie der zwielichtige Anwalt Wolfgang Schnur und Künstler sprachen mit dem frische gebackenen Regierungschef Hans Modrow, der diese an seinen amtierenden Stasi-Chef vermittelte.18

Das in Berlin durchgespielte Szenario war dramatischer, ähnelte aber in Grundzügen dem Leipziger Modell. Vor allem der Deeskalationsvorschlag wirkte wie eine Weiterentwicklung der Leipziger Gespräche. Eine Bürgerdelegation sollte in Leipzig die „Runde Ecke“ besuchen, sich in Anwesenheit von Medienvertretern von der ordnungsgemäßen Verwahrung der Akten überzeugen und dies noch vor Beginn der Demo am Gewandhaus auf dem heutigen Augustusplatz, damals Karl Marx-Platz, der wartenden Menge laut mitteilen, um diese zu beruhigen. Die Ordner mit der beruhigenden Schärpe „Keine Gewalt“ und das Zusammenspiel von Demoorganisatoren mit der Volkspolizei gehörten ohnehin zu Routine.

Was schön gedacht war, um die Stasi zu retten, geriet aus bis heute noch nicht wirklich geklärten Umständen für die DDR-Schlapphüte zum Fiasko. Weil die örtlichen Stasi-Leute in Leipzig zu sehr auf Zeit spielten, oder sich von der Berliner Nachgiebigkeit der Modrow-Regierung nicht überzeugt zeigten, war die Demo schon unterwegs, bevor der PR-Coup beruhigen konnte.19

Dennoch wichen die Leipziger „Tschekisten“ auch unter dem Druck ihrer Berliner Vorgesetzten, denen Modrow wohl vorgeben hatte, die Sache nicht gewaltvoll aus dem Ruder laufen zu lassen,20 nach.

In den Varianten, die zur Abwehr aufdringlicher Bürger dienten, war für den Notfall noch die Gewaltanwendung vorgesehen. Für Variante 2 als Variante 2 war immerhin schon ein Sprechzettel vorbereitet: „Ich schlage Ihnen vor ein Abordnung von 3 bis 5 Personen zu bilden, mit denen ein Gespräch stattfinden kann.“21

Am Montag dem 4. Dezember vor der großen Demo war die Lage in der Runden Ecke angespannt. „Lage spitzt sich weiter zu- Angriffe werden weiter zunahmen...Montag-Demo. Angriffe auf Objekt werden sich weiter eskalieren bis hin zum Angriff gegen das Objekt“22 Man hoffte auf die Volkspolizei, die von außen sicher sollte, „Gespräche mit Forum werden versucht, an Ruhe und Besonnenheit wird hoher Maßstab gesetzt“. Zur Besänftigung der Massen sollte über das örtliche Radio versprochen werden, dass die Runde Ecke bis April an die Stadtverwaltung abgegeben werde. Alle Genossinnen sollten um 1 Uhr nach Hause geschickt Türen u. Eingänge verbarrikadiert werden. „Es ist damit zu rechnen, dass das Objekt abgeriegelt wird“.23

Die Weisungen der Stasi-Führung aus Berlin spiegeln das Rückzugsgefecht vom Tage wieder. Während Mielke Nachfolger Wolfgang Schwanitz forderte zunächst noch das Betreten der Gebäude mit „allen Mitteln“ außer Gewaltanwendung zu verhindern. Später, da war in Berlin wohl gerade die erste Stasi-Besetzung am Morgen in Erfurt bekannt geworden, hieß es kleinlauter. Wenn es sich nicht vermeiden ließe, solle mit Bürgerdelegationen gesprochen werden, Akten seien auf keinen Fall zu zeigen. Auch diese Position sollte sich nicht mehr halten lassen. Wenn Forderungen bestehen blieben, bzw. „erhöht sich der Druck weiter, um gewaltsam in die Objekte einzudringen, dann [kann] gemeinsam mit dem Militärstaatsanwalt, Angehörigen der VP, Abgeordneten und Wählern der Bürgerrechtsbewegungen (z.B. Sprechergruppen) eine Begehung des Objektes vorgenommen werden.“ „Forderungen zur Versiegelung von Räumen und Panzerschränken können realisiert werden…dabei ist jedoch zu verhindern, dass unberechtigte Personen Einsicht in Unterlagen erhalten oder gar in deren Besitz gelangen.“24

Unter dem Druck der Ereignisse musste die BV Leipzig dann wirklich eine größere Delegation ins Haus lassen, die seither nicht wieder ging, sondern sich als Bürgerkomitee etablierte und die sächsische Stasi-Dienststelle parallel zu entsprechenden Vorgängen republikweit Stück für Stück demontierte.25 Immerhin der Volkssturm auf die Runde Ecke, eine Straßenschlacht wie in Dresden am 4. Oktober oder in anderen Städten noch am 7. und und 8. Oktober noch unter Honeckers Führung, konnte im wahrsten Sinne des Wortes abgebogen werden. Die Demo zog an der Runden Ecke vorbei.

Die Stasi versuchte ihre Erfahrungen mit dem Leipziger Modell auch andernorts zu nutzen, zunächst noch mit der Illusion, „reformiert“ mit einem kleineren Apparat weitermachen oder zumindest ihre Haut retten zu können. Bürgervertreter wurden seit den Dezembertagen immer dort zu Hilfe gerufen, wo der Volkszorn zu überborden drohte. Etwa in Schmalkalden und Dresden. Um zu verhindern, dass auch die Berliner Stasi-Zentrale von Bürgern lahm gelegt würde, lud auch der amtierende Stasi-Chef Schwanitz eine Delegation am 7. Dezember zum Gespräch mit seinen PR-Leuten.26 Einige Tage später waren sogar die Spitzenleute der damals größten Oppositionsgruppe vom Neuen Forum dorthin geladen.27 Die Berliner Oppositionellen spielten offenbar mit, um den politischen Prozess am „Runden Tisch“, wo einige Tage später ein Kompromiss zur Herrschaftsübergabe ausgehandelt werden sollte, nicht zu gefährden. Die Berliner Bezirksverwaltung des MfS, immerhin auch eine Dependance mit über 3000 Mitarbeitern, wurde sogar präventiv mehr oder minder geräuschlos vom MfS selbst aufgelöst. Die Regierung installierte dazu Mitte Dezember ein Bürgerkomitee, das im Berliner Polizeipräsidium (!) gegründet wurde, offenkundig um größere Demonstrationen vor Berliner Stasitoren zu vermeiden.28 Das gelang zumindest einen Monat lang. Erst Mitte Januar war der Brass der DDR-Bevölkerung,v.a. im Süden schon wieder so weit angewachsen, dass sogar ein wilder Generalstreik drohte. Bürgerrechtler wollten diese Lage nutzen, um auch der Stasi-Zentrale in Lichtenberg den Gar auszumachen. Aber auch an diesem Tage, dem 15. Januar 1990, als eine große Demo vor den Toren angesetzt war, versuchten die Regierung Modrow und Stasi-Leute durch moderierende Gespräche und Verhandlungen mit Bürgerkomitee-Vertretern den revolutionären Schwung abzufedern. Sie übergaben ihnen und der Volkspolizei die Verantwortung für das große Stasi-Objekt in Berlin-Lichtenberg, schon bevor sich die Demonstranten überhaupt versammelt hatten.

Bekanntlich ging diese Kriegslist nur zum Teil auf: Die Demonstranten stürmten auf das Lichtenberger Gelände. Der Schaden jedoch blieb zunächst überschaubar, die brisanten Akten waren weitgehend gesichert und unangetastet. Allerdings die Tage der Stasi waren dann endgültig gezählt, das Leipziger Modell hatte den Untergang nur verlangsamt. Allerdings konnten die Stasileute die Zwischenzeit nutzen und noch manches Geheimnis der Geheimpolizei vernichten oder auf die Seite bringen. Das war der Preis für den sozialen Frieden. Selbst die Akteneinsicht für die Übrigbleibenden, immer hin 111 km Akten stand lange auf der Kippe, da die alten Stasileute bei vielen ihrer Gesprächspartner erfolgreich die Angst vor Mord und Totschlag geschürt hatten. Dass sie Stasidossiers schließlich aufgemacht wurden, war dann eher Folge eines langen widersprüchlichen und konfliktreichen politischen Prozesses. Immerhin hatte die Dialogstrategie eine gewaltsame Eskalation der Stasi-Frage weitgehend verhindert. Überall dort, wo Volkes Unmut überquoll, versuchte man mit Hilfe von Bürgerrechtsvertretern diesen in friedliche Bahnen zu lenken, allerdings um den Preis des permanenten Zurückweichens.

 

 Anmerkungen:

1 Protokoll von 12.11.1989, MfS BV Leipzig XX 2360, Bl. 27ff

2 Stasibesetzung.de

3 Protokoll von 12.11.1989, MfS BV Leipzig XX 2360, Bl. 27ff

4 RdS, Oberbürgermeister. Gespräch des Oberbürgermeisters mit leitenden kirchlichen Amtsträgern am 12. 10.1989, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Bl. 11-15

5 Arbeitsbuch. Eintrag 22.10.1989BV Leipzig, VI 198

6 Zeitungsartikel Akte

7 Arbeitsbuch. Eintrag 22.10.1989. BV Leipzig, VI 198, Bl.125f

8 Ebd.

9 Ebd.

10Protokoll vom 16.11.1990. MfS BV Leipzig XX 2360, Bl. 35-37

11Protokoll vom 13.11.1990. MfS BV Leipzig XX 2360, Bl. 36

12 Protokoll vom 16.11. MfS BV Leipzig XX 2360, Bl.35-79

13Kowalczuk,

14 DPA. 29.11.1989, MfS, ZAIG 36967, Bl. 79-80

15 Der Besetzungsbegriff ist nach neueren Forschungen zu relativieren, da es oft eher Begehungen waren.

16 S. Interview mit Hans Modrow auf Stasi-Besetzung.de???

17 Gutzeit, Stasibesetzung.de, Booß,

18 Süß, Walter

19Hollitzer,Tobias

20Süß, Booß

21 Auszug aus dem Plan der verstärkten Objektsicherung, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt 3598

Bl. 1-2

22 Dienstbesprechung 4.12.

23 Bl. 155

25s. Beitrag auf Stasi-Besetzung.de

26 Süß, Walter

27 Stasibesetzung.de

28 Stasibesetzung.de

 

 

 


[1] Wird ergänzt.