Chronologie

 

Zeitliche Übersicht zur Besetzung und Auflösung der Staatssicherheit 1989/90 im Bezirk Karl-Marx-Stadt

nach Holger Horsch1

 

19.09.1989

Drei Zwickauer Bürger beantragen beim Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt die Zulassung des Neuen Forums als Vereinigung. Sie wird mit Bescheid vom 25. September abgelehnt. Wie vom MfS befürchtet, geben sich die Drei mit der Ablehnung nicht zu frieden.

 

22.09.1989

Anmeldung des Neuen Forums als Vereinigung durch drei Zwickauer Bürger beim Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt.

 

07.10.1989

In Plauen demonstrieren ca. 10 000 Bürger für mehr Demokratie in der DDR. Mit einem Schweigemarsch von ca. 800 meist jugendlichen Karl-Marx-Städtern vom Luxor-Palast ins Stadtzentrum beginnen in der Bezirksstadt die Proteste auf der Straße gegen die Situation im Land. Die Staatsmacht geht gewaltsam dagegen vor.

 

28.10.1989

30 000 Bürger demonstrieren in Plauen zweimal an der Kreisdienststelle des MfS vorbei, sie stellen 500 brennende Kerzen ab und rufen

„Wir verdienen Euer Geld!“

„Stasi in die Volkswirtschaft“

„Stasi raus, arbeiten, arbeiten, arbeiten“

„Stasi-Schläger in den Knast“

 

Erstmals erscheint in der SED-Bezirkszeitung „Freie Presse“ unter dem Titel „Hat nicht wenigstens die Staatssicherheit die Stimmung im Lande gekannt und nach „oben“ gemeldet?“ ein kritischer Artikel zur Arbeit des MfS.

 

06.11.1989

Fast 100.000 Karl-Marx-Städter und viele Tausend Bürger in 14 weiteren Städten des Bezirkes demonstrieren für Veränderungen in der DDR und gegen die Alleinherrschaft der SED. Besonders heftige Angriffe richten sich gegen die Staatssicherheit.

 

07.11.1989

Ein Ausschuss aus Vertretern des Bezirkstages und der Bürgerbewegung tritt erstmals zusammen, um die gewaltsamen Auseinandersetzungen am 07.10.1989 in Karl-Marx-Stadt und Plauen zu untersuchen.

 

08.11.1989

Das Neue Forum wird im Bezirk Karl-Marx-Stadt als Vereinigung zugelassen.

Die MfS-Bezirksverwaltung beschließt, die Postkontrolle einzustellen, die Überwachungstechnik zu demontieren und die Akten der Kreisdienststellen in der Bezirksverwaltung zu sichern.

 

16.11.1989

Die im Herbst entstandenen Bürgerinitiativen treten unter dem Namen „Demokratisch-oppositionelle Plattform“ (DOP) auf. Sie wollen sich damit von den Blockparteien abgrenzen.

 

24.11.1989

Inoffizielle Mitarbeiter melden ihren Führungsoffizieren Äußerungen des Sprechers des Neuen Forum Dr. Martin Böttger, wonach versucht werden soll, die Akten des MfS und die „V-Leute-Kartei“ offen zu legen.

 

29.11.1989

Um den Druck auf die MfS-Bezirksverwaltung zu mindern, dürfen fünf Vertreter der Adelsberger Bürgerinitiative das in ihrem Stadtteil liegende Dienstobjekt II der Staatssicherheit an der Kleinolbersdorfer Straße besichtigen. Vertreter der lokalen Presse berichten darüber.

 

30.11.1989

Aus Furch vor dem Eindringen von Demonstranten in die Kreisdienststellen des MfS werden die Unterlagen in der Bezirksstadt konzentriert. Trotz von der Führung der Bezirksverwaltung getätigten Beteuerungen beginnt die Vernichtung von Akten.

 

01.12.1989

Aufruf von Vertretern des Neuen Forums in Karl-Marx-Stadt zu einem Generalstreik am 06.12.1989 von 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Unter anderem wird eine drastische Reduzierung des Inlandanteils des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) und die Rückgabe der entsprechenden Objekte gefordert. Der Aufruf ist aber nicht mit der örtlichen Leitung der Vereinigung abgestimmt.

 

04.12.1989

Auf ihrer Dienstversammlung erfahren die leitenden Mitarbeiter des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit, dass Mitglieder der Bürgerbewegung in das Bezirksamt Erfurt eingedrungen sind. Der Leiter Generalleutnant Gehlert fordert seine Genossen beim Auseinandergehen auf, alles für den Machterhalt der SED zu tun.

Am Nachmittag beginnen Mitglieder der Bürgerbewegung, die Dienststellen der Staatssicherheit zu überwachen. MfS-Mitarbeiter, die mit ihren PKW die Objekte verlassen, müssen die Kofferräume öffnen. Der Abtransport von Unterlagen soll verhindert werden.

 

05./06.12.1989

Nachdem es von Bürgern zahlreiche Hinweise auf Aktenvernichtungen gab, versiegeln Staatsanwälte in Anwesenheit von Vertretern der Bürgerbewegung Archiv- und andere Räume in der Bezirksverwaltung und in den Kreisdienststellen der Staatssicherheit.

06.12.1989

Rudhard Riedel soll als Beauftragter der Regierung Modrow die Arbeitsfähigkeit der Staatssicherheit im Bezirk gewährleisten.

Ein „Rat der Mitarbeiter“ will zukünftig innerhalb des BAfNS die Interessen der dort Tätigen gegenüber der Leitung vertreten.

 

07.12.1989

Oberst Joachim Schaufuß löst Generalleutnant Siegfried Gehlert als Leiter des Bezirksamtes ab.

 

09.12.1989

In einem Flugblatt fordert die Demokratisch-oppositionelle Plattform die offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter auf sich zu offenbaren, und die Bespitzelten zum Vergeben des ihnen zugefügten Unrechts

 

10.12.1989

In einem offenen Brief fordern Vertreter einer Bürgerinitiative vom Regierungsbeauftragten, dass keinerlei Akten mehr vernichtet werden, die Bürger Einsicht in die über sie angelegten Akten bekommen und dass das konspirative Spitzelnetz aufgelöst werden muss. Die Aufarbeitung anhand der Akten soll eine zu konstituierende Arbeitsgruppe übernehmen.

 

12.12.1989

Auf einer Zusammenkunft des Regierungsbeauftragten mit Vertretern der Opposition und Mitarbeitern der Staatssicherheit entschuldigt er sich im Namen der Regierung für die bisherige Sicherheitspolitik. Er teilt mit, dass die Tätigkeit des Bezirksamtes faktisch eingestellt sei. Es soll ein vereidigter Ausschuss zu dessen Auflösung aus sieben bis neun Personen gebildet werden. Die leitenden Stasi-Mitarbeiter beantworten Fragen von Vertretern der Bürgerbewegung.

 

14.12.1989

Der Runde Tisch für den Bezirk Karl-Marx-Stadt konstituiert sich aus Vertretern aller politischen Parteien und Organisationen.

 

15.12.1989

In einem Interview mit der „Freien Presse“ gibt der Regierungsbeauftragte bekannt, dass die Kreisämter des BAfNS aufgelöst sind und das Bezirksamt nicht mehr arbeitet. Das Archivgut ist hundertprozentig gesichert.

 

21.12.1989

Das Volkspolizeikreisamt schlägt aufgrund der angespannten Lage der DOP eine Sicherheitspartnerschaft vor. Die Bürgerbewegungen willigen ein.

Vertreter von Kirchen erhalten die Gelegenheit, sich über den Inhalt von Stasi-Akten zu informieren.

 

02.01.1990

Der Anfang Dezember 1989 gebildete „Rat der Mitarbeiter“ im BAfNS setzt sich für die Bildung eines Verfassungsschutzes ein. Es soll Kontakt zum neu gegründeten „Wochenblatt“ aufgenommen werden, um die Anliegen der Mitarbeiter in die Öffentlichkeit zu tragen.

 

04.01.1990

Die mit der Bildung des Verfassungsschutzes betrauten ehemaligen Stasi-mitarbeiter unterbreiten Vorschläge für den Umgang mit dem MfS-Schriftgut. Nach der Verordnung über das staatliche Archivwesen vom 11.03.1976 sollen die Justizakten an die Gerichte und Staatsanwaltschaften, die KI-Unterlagen an die Polizei und die HVA-Akten an den neu zu gründenden Nachrichtendienst übergeben werden. Die VSH-Karteien, die Zentralen Materialablagen und alle Unterlagen mit IM-Hinweisen sollen vernichtet werden.

 

05.01.1990

Im Bezirksamt für Nationale Sicherheit treffen sich Regierungskommission, Vertreter des Amtes und der Oppositionsgruppen. Der Leiter des Bezirksamtes berichtet, dass die Waffen in versiegelten Räumen lagern. Die noch bewaffnete Wacheinheit und die Volkspolizei sichern die Objekte der ehemaligen Staatssicherheit. Das BAfNS ist nicht mehr arbeitsfähig. Es wird beschlossen, einen Ausschuss zur demokratischen Kontrolle der Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit im Bezirk zu bilden. Alle gesellschaftlichen Gruppen sollen daran beteiligt werden.

 

Am Abend tritt der Runde Tisch zum dritten Mal zusammen. Der Regierungsbeauftragte berichtet, dass alle 22 Kreisämter für Nationale Sicherheit aufgelöst und die 20 Gebäude an die Räte der Kreise übergeben wurden. Er schlägt vor, die Akten in die MfS-Bunker bei Dittersdorf und Hartenstein einzulagern. Er beabsichtigt, das BAfNS bis zum damals festgelegten Termin für die Volkskammerwahl, dem 6. Mai 1990, aufzulösen.

 

09.01.1990

Vertreter der DOP treffen sich mit Mitgliedern des Rates der Mitarbeiter des Bezirksamtes. Eine kontroverse Diskussion zur Kontrolle des Auflösungsprozesses und zu den Übergangsgebührnissen führt zu keiner Annäherung der Standpunkte.

 

10.01.1990

Die Nachrichtenverbindung WTsch zwischen dem Bezirksamt und der Zentrale in Berlin wird abgeschaltet. Es gibt nur noch die Möglichkeit, den Kurierdienst zu nutzen.

 

11.01.1990

Im Speisesaal des BAfNS konstituiert sich der Ausschuss zur demokratischen Kontrolle zur Auflösung des Sicherheitsdienstes. Er wird vom Runden Tisch bestätigt. Es werden vorerst fünf Arbeitsgruppen gebildet: Akten, Waffe, Ausrüstung und Objekte; Nachrichtentechnik; Struktur und Arbeitsweise, Finanzen und personelle Auflösung. Später kommen noch die Arbeitsgruppen Informatik und Wiedereingliederung der MfS-Mitarbeiter hinzu.

 

12.01.1990

Die Regierung Modrow erteilt ihrem Beauftragten die Genehmigung zur ersatzlosen Auflösung des Bezirksamtes.

 

15.01.1990

Auf der Montagsdemonstration in Karl-Marx-Stadt mit ca. 150 000 Teilnehmern wird die Forderung erhoben: „Jedem seine Akte!“ Auf den Demonstrationen im Bezirk wird außerdem massiv die Offenlegung der Beziehungen zwischen SED und MfS und die Enttarnung der inoffiziellen Mitarbeiter gefordert. Es werden Streiks angedroht.

 

An diesem Tag ist die Übergabe von Waffen und Munition vom BAfNS an die Bezirksbehörde der Volkspolizei im Wesentlichen abgeschlossen. Letzte Transporte erfolgen am 24. Januar. Unter Beteiligung des Arbeitsausschusses und des Staatsarchivs Dresden beginnt die Auslagerung der Akten aus dem Bezirksamt in die Stasi-Bunker an der Dittersdorfer Höhe und bei Hartenstein.

 

17.01.1990

Der Regierungsbeauftragte teilt der Modrow-Regierung seine Absicht mit, das Bezirksamt schneller als bisher vorgesehen aufzulösen. Dazu würde noch ein Teil der MfS-Mitarbeiter gebraucht. Die Auflösung soll öffentlichkeitswirksam erfolgen, um dem Druck der Straße zu begegnen.

 

19.01.1990

Der Arbeitsausschuss zur Auflösung des BAfNS trifft sich im ehemaligen Speisesaal des MfS und wählt Dr. Martin Böttger zu seinem Vorsitzenden. Er wird um die Mitglieder eines Bürgerkomitees erweitert. Zeitweise gehören ihm 85 Personen an. Sie werden durch die Staatsanwaltschaft schriftlich zum Schweigen über die erlangten Informationen verpflichtet.

 

23.01.1990

Auf einer Beratung des Arbeitsausschusses berichten die Vertreter der Arbeitsgruppen über die bisher erreichten Ergebnisse. Durch engagierte Arbeit konnte erreicht werden, dass die Abhörtechnik und die internen Funkverbindungen demontiert worden sind. Es wird vorgeschlagen, einen Tag der offenen Tür zu veranstalten.

 

24.01.1990

Der Leiter des Bezirksamtes sagt zu, die Kreisamtsleiter zu bitten, an den jeweiligen Runden Tischen Rede und Antwort zu stehen.

 

25.01.1990

13 Pfarrer sprechen sich für die schnelle Vernichtung der Akten aus.

 

An diesem Tag findet eine Beratung des Arbeitsausschusses mit der Leitung der Post über deren Einbindung in die Überwachung der Bürger statt. Es wird darüber beraten, wie die freigewordenen Telefonanschlüsse der ehemaligen MfS-Mitarbeiter verteilt werden sollen.

 

26.01.1990

Unter heftigen Protesten vieler Bürger lehnt der Vorsitzende des Arbeitsausschusses mit Hinweis auf den Datenschutz die Offenlegung der inoffiziellen Mitarbeiter ab. Es soll eine zentrale Entscheidung abgewartet werden.

 

27.01.1990

Auf Befragen von Rüdiger Knechtel äußert sich erstmals ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter in der Presse zu seiner Tätigkeit für das MfS.

 

29.01.1990

Eine Bürgerinitiative im Arbeitsausschuss stoppt die Zahlungen der Übergangsgebührnisse an ehemalige MfS-Mitarbeiter und legt die Rückzahlungen der aus ihrer Sicht ungesetzlichen Überweisungen fest. Mit Verweis auf die Rechtslage hebt der Regierungsbeauftragt diese Entscheidung wieder auf.

 

30.01.1990

Auf der Beratung des Arbeitsausschusses wird die Bildung einer Redaktionskommission für die Information der Öffentlichkeit beschlossen. Sie arbeitet unter Leitung des Bildhauers Armin Forbrig. Der Direktor des Staatsarchiv Dr. Reiner Groß berichtet über den Stand der Aktenverlagerung. Anfallende Altstofferlöse sollen auf das Konto der Inneren Mission eingezahlt werden.

 

01.02.1990

Der Einsatz der Bürgerinitiative Adelsberg für eine zivile Nutzung des in diesem Stadtteil befindlichen ehemaligen Dienstobjekts II trägt erste Früchte. Drei Nutzer ziehen auf das Gelände.

 

03.02.1990

In einem von der „Freien Presse“ abgedruckten „Offenen Brief“ fordern Mitglieder der Arbeitsgruppe 5 – Personelle Probleme und Finanzen – des Arbeitsausschusses von der Modrow-Regierung, die durch MfS-Ärzte in großer Zahl erfolgten Invalidisierungen von MfS-Mitarbeitern überprüfen zu lassen und die Zahlungen der gegenüber vorherigen MfS-Regelungen noch aufgestockten Übergangsgebührnisse einzustellen.

 

05.02.1990

Mitglieder des Auflösungsausschusses besichtigen die U-Haftanstalt des MfS. Dabei wird festgestellt, dass von den Mitarbeitern dort eingelagerte Unterlagen im Januar verbrannt wurden.

 

08.02.1990

In einer Anhörung auf der 4. Plenartagung des Ausschusses zur Auflösung des BAfNS bestätigte der ehemalige 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Siegfried Lorenz die enge Zusammenarbeit zwischen SED und MfS. Er erläuterte die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Bezirkseinsatzleitung. 89 durch den Leiter des medizinischen Dienstes des MfS diagnostizierte Invalidisierungen von Mitarbeitern werden durch unabhängige Gutachter bis 30. März 1990 überprüft.

 

12.02.1990

Das MfS-Dienstobjekt III in der Jagdschänkenstraße wird an die Volkspolizei und die Feuerwehr zur Nutzung übergeben.

 

14.02.1990

Die Initiativgruppe Kunst und Kultur beantragt beim Runden Tisch, die zentralen Gebäude des MfS Hohe Straße 31 – 35 für kulturelle Zwecke zu nutzen.

 

15.02.1990

Vor dem 6. Runden Tisch des Bezirkes erstattet der Regierungsbeauftragte einen ausführlichen Bericht über seine Tätigkeit seit dem 6. Dezember 1989 und den Stand der Auflösung der Staatsicherheit. Er gibt einen Überblick zum Wandel des Auftrages, das BAfNS arbeitsfähig zu machen, es in einen Nachrichtendienst und Verfassungsschutz umzubauen bis zu dessen Liquidierung. Bis zum Monatsende soll diese Aufgabe abgeschlossen sein. Von den ehemals 3 827 hauptamtlichen und 9 500 inoffiziellen Mitarbeitern ginge für die Bürger keine Gefahr mehr aus.

 

Für die vollständige Abwicklung des BAfNS schlägt der Regierungsbeauftragte analog der zentralen Entwicklung einen Arbeitsstab vor, der in den nächsten zwei bis drei Jahren alle noch offenen Fragen klären soll. Der Prozess wird weiterhin unter gesellschaftlicher Kontrolle stehen. Der Runde Tisch stimmt dem Bericht zu.

 

16.02.1990

In der „Freien Presse“ berichtet der Vorsitzende der Arbeitsgruppe 4 – Aufarbeitung der Strukturen und Arbeitsweise des MfS – Hans Jürgen Richter über die bisherigen Untersuchungsergebnisse.

 

Das Schauspielensemble des Karl-Marx-Städter Theaters fordert, die Unterlagen der für die Kultur zuständigen Abteilung XX offenzulegen.

 

19.02.1990

Auf der Beratung des Arbeitsausschusses schlägt der Regierungsbeauftragte wie schon in der Beratung des Runden Tisches vor, einen Arbeitsstab zur weiteren Abwicklung des BAfNS zu bilden. Der Arbeitsausschuss stimmt dem Vorschlag zu und bestätigt ihn als Rechtsnachfolger. Der als Leiter vorgesehene Mitarbeiter der Kaderabteilung des Rates des Bezirkes wird abgelehnt.

 

An diesem Tag findet die letzte gemeinsam von der DOP organisierte Montagsdemonstration statt.

 

21.02.1990

Mit einem Streik wollen die Beschäftigten des Kraftverkehr Hohenstein-Ernstthal die Bekanntgabe der Namen der inoffiziellen Mitarbeiter erzwingen. Sie lassen sich auch in einer Aussprache mit dem Vorsitzenden des Arbeitsausschusses und dem Regierungsbeauftragten nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Ähnliche Auseinandersetzungen gibt es im Elektromotorenwerk Grünhain.

 

22.02.1990

Die letzten Teile der von der Abhörabteilung 26 genutzten Technik werden vernichtet.

 

23.02.1990

Die Umlagerung der Akten aus den Stasi-Gebäuden in die Bunker bei Dittersdorf und Hartenstein wird beendet.

 

27.02.1990

Der Arbeitsausschuss zur Auflösung des BAfNS bitte die Regierung Modrow in einem Schreiben unter anderem, die Akteinsicht, die Offenlegung der Namen inoffizieller Mitarbeiter und die Rehabilitierung von Opfern des SED-Regimes zentral zu klären.

 

28.02.1990

Die Arbeitsgruppe 4 des Arbeitsausschusses sichtet und übernimmt im Gebäude der SED-Bezirksleitung Unterlagen der Abteilung Sicherheitsfragen.

 

01.03.1990

Der Regierungsbeauftragte berichtet auf der 7. Beratung des Runden Tisches über den Stand der Auflösung des MfS/AfNS im Bezirk. Es besteht in seienn Strukturen seit dem 28.02.1990 nicht mehr. Über den Umgang mit den Akten müsse die am 18. März zu wählende Volkskammer entscheiden. Strukturen und Arbeitsweise der Geheimpolizei müssten weiterhin aufgearbeitet werden. Am nächsten Tag wird die Öffentlichkeit in der „Freien Presse“ über den erreichten Stand informiert.

 

10.03.1990

Alle Gebäude des ehemaligen MfS werden an neue gesellschaftliche Nutzer übergeben worden. Die Weiterveräußerung soll erst nach den Kommunalwahlen am 6. Mai erfolgen.

 

14.03.1990

An diesem Tag findet die letzte Plenumssitzung des Arbeitsausschusses zur Auflösung des MfS/AfNS im Bezirk statt. Die einzelnen Arbeitsgruppen stellen den erreichten Arbeitsstand dar. Die Strukturen und die Arbeitsweise des MfS sind erst zu einem Drittel aufgearbeitet und offengelegt. Herr Riedel stellt eine große Niedergeschlagenheit bei den Mitgliedern des Arbeitsausschusses fest, die mit den erreichten Ergebnissen unzufrieden sind. Die Finanzierung der weiteren Mitarbeit ist nicht gesichert.

 

15.03.1990

In einem Abschlussbericht informiert der Regierungsbeauftragte auf der 8. Beratung des Runden Tisches, dass von der Geheimpolizei keine Gefahr mehr ausgeht und die letzten an der Auflösung 31 MfS-Mitarbeiter am Monatsende entlassen werden.

 

Der Ausschuss für die Auflösung des Amtes arbeitet unter Leitung von Peter Hasse weiter. Als Rechtsnachfolger der Bezirksverwaltung hat ein Arbeitsstab zur Auflösung des BAfNS unter Leitung von Peter Hänsel seine Tätigkeit aufgenommen.

 

19.03.1990

Der Regierungsbeauftragte gibt bekannt, dass er seine Tätigkeit im Laufe der Woche einstellt.

 

22.03.1990

Es wird eine Ordnung zum Betreten der Bunker in Dittersdorf und Hartenstein in Kraft gesetzt. Es muss immer ein Vertreter des Staatsarchivs, der Staatsanwaltschaft und des Bezirksarbeitsstabes anwesend sein.

 

23.03.1990

In einem Beitrag für die „Freie Presse“ stellen Mitarbeiter des Ausschusses zur Auflösung des MfS die enge Verflechtung von SED und Staatssicherheit dar. Die Verantwortung für die extensive Überwachung trägt die SED.

 

29.03.1990

Auf einer Kundgebung im Stadtzentrum von Karl-Marx-Stadt fordern tausende Bürger, dass sich alle Abgeordneten der am 18. März gewählten Volkskammer auf eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit oder dem Bundesnachrichtendienst überprüfen lassen.

 

Der Ausschuss zur Auflösung des MfS/AfNS im Bezirk protestiert gegen eine Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft, die die Arbeit der Ausschüsse für ungesetzlich bezeichnet.

 

06.04.1990

Bei einer Zusammenkunft von Bürgerkomitees aus dem Bezirk wird beschlossen, regelmäßige Koordinierungsberatungen mit den Komitees der Kreise einzuberufen.

 

09.04.1990

Eine Ordnung der Bezirksstaatsanwaltschaft legt fest, wie mit den Akten über Ermittlungsverfahren, an denen das MfS beteiligt war, zu verfahren ist.

 

11.04.1990

Der unabhängige Untersuchungsausschuss des Bezirkstages für die Ereignisse am 7. Oktober 1989 und Korruption und Amtsmissbrauch legt seinen Abschlussbericht vor. Bei den Gewalttaten handelt es sich jeweils um Übergriffe der Volkspolizei. Der Umfang der MfS-Beteiligung kann nicht geklärt werden. Den Grund für die Übergriffe sieht der Untersuchungsausschuss im Selbstverständnis der SED, als der nach der Verfassung der DDR allein führenden Partei.

 

21.04.1990

Die erste Koordinierungsberatung der Bürgerkomitees zur Auflösung des MfS/AfNS aus den Kreisen stellt fest, dass in der Übergangsphase bis zur Konsolidierung der neuen Regierung ihre Tätigkeit notwendig ist. Die Bürgerkomitees fordern den Zugriff auf die Akten, die Akteneinsicht für die Bürger, die Überprüfung der Kandidaten für die Kommunalwahlen und die Offenlegung der offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit. In der Presse soll weiter über ihre Arbeit und deren Ergebnisse berichtet werden.

 

23.04.1990

Die öffentliche Auszählung der Stimmen der Bürgerbefragung zur Rückbenennung von Karl-Marx-Stadt in Chemnitz findet im Speisesaal der ehemaligen Bezirksverwaltung statt. 76,14 Prozent der Bürger stimmen für den alten Namen.

 

25.04.1990

In der „Freien Presse“ berichtet das Bürgerkomitee, dass von 89 Invalidisierungen von Stasimitarbeitern im Herbst 1989 30 nicht bestätigt werden konnten. Die Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen. Die durchschnittliche Rentenhöhe der ehemaligen MfS-Mitarbeiter betrug 1 748 Mark.

 

26.04.1990

Auf der 11. Beratung des Runden Tisches wird eine enge Verflechtung zwischen MfS und Justiz festgestellt. Die Staatsanwälte werden als Schreibtischtäter eingestuft, die endlich aus den Ämtern entfernt werden müssen.

 

18.05.1990

In der „Freien Presse“ wird berichtet, dass der Rat des Bezirkes entgegen anders lautenden rechtlichen Festlegungen MfS-Grundstücke vergeben hat.

 

25.05.1990

Auf der letzten Beratung des Runden Tisches protestieren die Teilnehmer dagegen, dass die Überprüfung der Abgeordneten auf eine Zusammenarbeit mit dem MfS als zu aufwendig abgelehnt wurde und die Opfer keine Einsicht in ihre Unterlagen erhalten sollen. Daraufhin wird der Rücktritt von Innenminister Peter-Michael Diestel gefordert. Die von einer Arbeitsgruppe des Runden Tisches empfohlene Nutzung des Hauptgebäudes der Staatssicherheit für kulturelle Zwecke wird bestätigt und verwirklicht.

 

04.07.1990

Auf der 3. Sitzung des am 6. Mai gewählten Stadtrates von Chemnitz wird die Bildung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit beschlossen. Er wird beim Personalausschuss angesiedelt. Vertreter des Arbeitsausschusses werden darin mitarbeiten.

 

 

05.07.1990

In der „Freien Presse“ tritt der Ausschuss zur Auflösung des MfS Gerüchten entgegen, nach denen die Stasi die Bürger noch immer bespitzelt. Die Bürger haben sich in freien Wahlen für die Demokratie entschieden und der Arbeitsausschuss ruft die Bürger auf, sich bei der demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft zu engagieren. Der Arbeitsausschuss wird um Untersuchungsausschuss der Volkskammer zur Auflösung des MfS mitarbeiten.

 

11.07.1990

In einem Artikel in der „Bild“-Zeitung wird über die Aussage des langjährigen Leiters der MfS-Bezirksleitung vor dem Arbeitsausschuss berichtet. Aufsehen erregen vor allem Aussagen über die für den Ernstfall geplante Einrichtung eines Isolierungslagers für DDR-kritische Bürger auf der Augustusburg.

 

12.07.1990

In der „Freien Presse“ wird aufgrund des Artikels in der „Bild“-Zeitung kritisiert, dass der Arbeitsausschuss nicht über si gravierende Maßnahmen informiert hat.

 

29.07.1990

Der Vorsitzende des Arbeitsausschusses Peter Haase wird als Vertreter des Bezirkes Chemnitz in den Sonderausschuss der Volkskammer zur Kontrolle der Auflösung des MfS/AfNS integriert.

 

08.08.1990

Mit dem zentralen Sonderausschuss für die Auflösung des MfS/AfNS wird eine Übereinkunft getroffen, die die Herausgabe von Informationen aus Akten ermöglicht. Dazu müssen der stellvertretende Leiter der Bezirksbehörde der Volkspolizei und Peter Hasse, der Leiter des Ausschusses für die MfS/AfNS-Auflösung im Bezirk zustimmen.

 

16.08.1990

Das sich nun als Kommission zur Auflösung des MfS bezeichnende Bürgerkomitee bittet Dr. Buttolo, den Beauftragten der Regierung De Maiziere, sie bei der Aufklärung von Befehlslage und Strukturen im MfS sowie der Sicherheitspolitik der SED zu unterstützen.

 

05.09.1990

Die Kommission zur Auflösung des MfS mahnt in einem Beschwerdeschreiben an die Regierung De Maiziere nochmals an, die Rechtsgrundlage für eine wirkungsvolle Aufarbeitung der Vergangenheit zu schaffen.

 

03.10.1990

Der Bezirksarbeitsstab wird aufgelöst, die Aufgaben werden nun vom Bundesverwaltungsamt wahrgenommen.

 

Der Vorsitzende des Sonderausschusses der Volkskammer zur Kontrolle der Auflösung des MfS/AfNS fungiert ab diesem Zeitpunkt als Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Verwahrung der Akten und Dateien des ehemaligen MfS/AfNS und Peter Haase wird in diese Behörde übernommen.

Anmerkung

1 nach Horsch, Holger: Für menschliche Würde, Anstand und eine neue Moral“. Die Auflösung der Staatssicherheit im Bezirk Karl-Marx-Stadt, Berlin 2015, S. 71-81.