Konflikte der Bürgerkomitees mit der neuen Regierung De Maizière/Diestel

Es dauert mehr als einen Monat, bis die Regierung Lothar De Maizière (CDU) mit ihrem Innenminister Peter Michael Diestel (zunächst DSU) eine Position in der Stasi-Frage findet. In der Regierungserklärung von Mitte April wird die Politik der neuen Regierung nur schemenhaft benannt. Erst am 16. Mai 1990 kommt es zu einem Ministerratsbeschluss, den der Innenminister auf einer Pressekonferenz erläutert. Seit dem Regierungswechsel ist er, nicht mehr der Vorsitzende des Ministerrates für die endgültige Stasi-Abwicklung zuständig.

Film Peter Michael Diestel, damals Minister für Innere Angelegenheiten bei der Pressekonferenz vom 16.5.1990

Doch die lange Pause zwischen dem Abtreten des Runden Tisches und dem Tritt-Fassen der neun Politiker hat paradoxer Weise die Bürgerkomitees gestärkt. Sie sind zwar grundsätzlich bereit, Kompetenzen an das Parlament abzugeben. Die Koordinatoren der Bürgerkomitees, David Gill und Thomas Schmidt rufen die Volkskammer per Brief dazu auf, einen Parlaments-Ausschuss zur Kontrolle der Stasiauflösung zu bilden. Doch auch die Volkskammer braucht angesichts der vielen Aufgaben bis zum Juni Zeit, bis sie einen solchen Kontrollausschuss konstituiert. Auch die Regierungsbevollmächtigen, die das Vertrauen des Runden Tisches genossen, sind eigentlich nicht mehr im Amt. Nur das sogenannte Eichhorn-Komittee, das staatliche Auflösungskomittee, arbeitet weiter, als hätte es keine Wahlen gegeben: Mit dem ehemaligen SED-Mann Eichhorn an der Spitze, Stasi-Generälen als Berater und vielen ehemaligen Stasi-Mitarbeitern im Apparat. Sie werden von Diestel nicht angetastet.

Die einzigen, die von Bürgerrechtseite weitermachen sind die Bürgerkomitees in den Regionen. Ihre Autorität ist sogar noch in der Übergangszeit gestärkt worden, da das Staatliche Komitee mit ihnen eine Satzung vereinbart hat, die ihnen verbriefte Rechte zugesteht.

Satzung Link in Arbeit

Den Bürgerkomitees geht die Aufdeckung und Zerschlagung alter Strukturen nicht schnell genug. Noch sind viele Akten nicht gesichert, ihr Verbleib unklar; Immobilien und andere Werte drohen, verschoben zu werden. Die Rehabilitierung von Stasi-Verfolgten lässt ebenso auf sich warten, wie die Überprüfung von Neupolitikern. Zum ersten Eklat kommt es in Rostock. Nach der Erfahrung mit der Enttarnung des angeblich oppositionellen Anwaltes Wolfgang Schnur, will der Rostocker Untersuchungsausschuss die Kandidaten für die kommenden Kommunalwahlen auf Stasi-Tätigkeit überprüfen. So wird es auch in vielen Regionen gefordert. Aber eine Rechtsgrundlage gibt es nicht. Der Innenministern schreitet ein und sperrt den Aktenzugang. Ein zweiter Konflikt entsteht, als das Bürgerkomitee Erfurt eine Liste mit belasteten Neupolitikern zusammenstellt und dem Innenminister in der Erwartung überreicht, dieser würde etwas unternehmen. Diestel macht das Gegenteil von dem Erhofften. Er sperrt den Bürgerkomitees den Aktenzugang, was in der Öffentlichkeit hörbar umstritten ist.

Film Peter Michael Diestel, damals Minister für Innere Angelegenheiten bei einer Pressekonferenz am 16.5.1990

Die Aussperrung von den personenbezogenen Akten ist ein Affront gegen die Bürgerkomitees, die mit ersten Enthüllungen eine gesellschaftliche Diskussion zur Aktenöffnung Überprüfung öffentlicher Ämter ins Rollen gebracht hatten. Die Bürgerkomitees bieten weitere Zusammenarbeit an, verwahren sich aber deutlich gegen ihre Diskriminierung.

Film Jutta Schuster, Schwerin, auf der Pressekonferenz der Bürgerkomitees am 28.5.1990. 

Entsprechend ihren Diskussionen in den überregionalen Treffen fordern die Bürgerkomitees, dass die Akten unter die Herrschaft des Innenministeriums geraten, sondern unter öffentliche Kontrolle gestellt werden, Sie befüchten sonst Mißbrauch oder gar Aktenzerstörunngen..

Thomas Schmidt, Schwerin, auf der Pressekonferenz der Bürgerkomitees am 28.5.1990

Foto: Pressekonferenz der Bürgerkomitees am 28.5.1990

 

In der Frage der Akteneinsicht ist man weit auseinander. Der Innenminister ist generell gegen die Aktenöffnung.

Film Peter Michael Diestel (damals DSU), Innenminister auf einer Pressekonferenz am 16.5.1990 

Wie die Gerichte überhaupt an strafwürdige Sachverhalte aus den Stasi-Akten gelangen können, sagt der Innenminister nicht. Diestel legt die Akten in die Hände des staatlichen Archivs der DDR, dessen Archivare, wie heute bekannt ist, zuweilen eng mit dem MfS kooperierten. Sie sollen die Akten unter Verschluss und die Bürgerkomitees von ihnen fern halten. Seine Aussage, dass Akten mit Hinweisen auf Straftaten ohnehin schon vernichtet seien, provoziert Widerspruch.

Heinz Meier, damals Bürgerkomitee Normannenstraße, auf der Pressekonferenz vom 28.5.1990

Viele Bürgerrechtler meinen, dass Diestel im Innenministerium zu stark von ehemaligen Systemnahen umgeben ist. In der Tat sucht der Innenminister deren Nähe. Was die DDR-Bürger aber nicht wissen. Auch im Westen geht die Regierung zunehmend auf Distanz zu den Bürgerkomitees. Der Bundesnachrichtendienst warnt geradezu davor, dass diese durch weitere Aktenenthüllungen die Lage in der DDR destabilisieren könnten. Die Vermutung liegt nahe, dass solche Befürchtungen auch von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern gegenüber ihren westlichen Geheimdienstkontakten geschürt wurden. Die Akten, die Aufschluss geben könnten, sind leider noch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben.

So weiß sich der DDR Innenminister Diestel des Beifalls der Bonner Regierung sicher, wenn er für einen sehr restriktiven Kurs bei der Aktenöffnung plädiert. Statt sich auf die Bürger zu stützen, die bisher die Stasiauflösung vorantrieben, etabliert der Innenminister eine neue Kommission, die ihn beraten soll. Die Regierungskommission zur Auflösung der Staatssicherheit.  Das Bürgerkomitee sieht dieses neue Gremium kritisch.

Thomas Schmidt, Schwerin, auf der Pressekonferenz der Bürgerkomitees am 28.5.1990

Der Verdacht, nur Feigenblatt zu sein, begleitet die Regierungskommission von Anfang an. Die Mitglieder, die schließlich am 30. 5.1990 benannt werden, sind teilweise umstritten. Der Schriftsteller Stefan Heym und der ehemalige Verlagschef Walter Janka, genießen zwar als ehemalige Stasi-Verfolgte Respekt. Aber sie werden eher dem linken Lager zugerechnet. Immerhin ist mit Ulrich Schröter ein kompetentes Mitglied der evangelischen Kirche und ein Vertreter der katholischen Kirche präsent. Erst auf Grund des Protestes der Bürgerkomitee wird auch ein Vertreter von ihnen beigeordnet. Es ist Michael Kummer, der im Berliner Kontrollausschuss eine eher kompromissbereite Rolle gespielt hatte.

Foto: Walter Janka, ehemaliger Verlagsleiter und Stasi-Verfolgter bei Pressekonferenz des Innenministers vom 30.5.1990

Foto 2: Michael Kummer, Vertreter der Bürgerkomitees in der Regierungskommission bei der Pressekonferenz des Innenministers vom 30.5.1990

Diestel will sogar den ehemaligen Stasi-Spionagechef Markus Wolf. Aber das ist der Bevölkerung nicht zuzumuten. Wolf zieht daher zurück. Offenkundig ist inzwischen, dass der Innenminister der ersten demokratisch gewählten DDR-Regierung eher den Kurs verfolgt, alte Kader bis hin zu Stasi-Leuten zu integrieren, als mit Hilfe von Bürgerrechtlern einen radikalen Aufarbeitungskurs zu fahren. Vermutlich ist auch diese Strategie von West-Beratern forciert und gutgeheißen worden. Die Innenpolitiker des Westens machen sich Sorgen, dass das Heer der ehemaligen Stasi-Mitarbeiter aus dem Ruder laufen könnte, gar Terroranschläge planen und mit den sowjetischen Geheimdiensten gemeinsame Sache machen könnte.So kommt es immer wieder zur Konfrontation zwischen den Vertretern, die sich lange in Bürgerkomitees engagiert hatten und dem Innenminister.

1Nach Worst und Gill/Schröter