Die Besetzung der MfS-Bezirksbehörde Potsdam am 5.12.1989

 

Autor: Manfred Kruczek

(in Bearbeitung)

Initiatoren der Besetzung

Waren Mitglieder des Potsdamer Neuen Forums nach Beschlussfassung durch den Sprecherrat am 4. Dezember 1989. Am Wochenende zuvor waren die beiden aus Potsdam stammenden Erstunterzeichner des Neuen-Forum-Gründungsaufrufes, Rudolf Tschäpe und Reinhard Meinel von eine Beratung aus Grünheide zurückgekehrt . Dort hatte das DDR-weite Neue Forum einen Aufruf an Oppositionsgruppen formuliert, vor dem Hintergrund der Vernichtung von Akten und der Verbringung von Volksvermögen ins Ausland (z.B. KoKo-Chef Schalck-Golodkowski), Kontrollgruppen zur Unterbindung dieser Machenschaften zu bilden. Bereits am 3.Dezember waren das ZK der SED und das Politbüro unter Egon Krenz zurückgetreten.

 

Zeitliche Abläufe

Um 10:00 Uhr drang am 5.Dezember eine aus 6 Personen( Anette Flade, Heidrun Liepe, Detlef Kaminski, Manfred Kruczek, Reinhard Meinel, Rudolf Tschöpe) bestehende Abordnung des Neuen Forums (NF) in den Amtsraum von Potsdams Oberbürgermeister Manfred Bille ein. Das apathisch wirkende Stadtoberhaupt mußte gegenüber der auf Rädern herbei geeilten "Fahrrad-Fraktion" einräumen, keine deeskalierenden Maßnahmen zur Lösung (besser: Auflösung) des MfS-Apparates in der Stadt Potsdam eingeleitet zu haben. Bereits seit der Potsdamer Großdemonstration vom 4.November 1989 endeten die wöchentlichen Protestmärsche vor der MfS-Bezirkssdienststelle , wurde dabei immer lauter "Stasi-raus"! skandiert. Als dann noch rauchende Schornsteine auf die begonnene Aktenvernichtung schließen ließen, drohte die Situation zu eskalieren. Doch 4 Wochen nach dem Mauerfall standen allein im Bezirk Potsdam noch über 4.000 Stasi-Kräfte unter Waffen, wußte keiner, wie diese Front aus Mielkes ehemaligem Imperium auf das sich abzeichnende Eindringen eines immer selbstbewusster werdendes Volkes reagieren würde. Das inzwischen ohne Partei-Anweisungen auf sich selbst angewiesene und damit hilfloses Stadtoberhaupt versuchte zunächst noch, die Eindringlinge von einer sofortigen Stasi-Besetzung abzuhalten und stattdessen das weitere Vorgehen erst am Nachmittag in einer Beratung mit Herbert Tzschoppe, Vorsitzender des Rates des Bezirkes Potsdam, abzustimmen. Doch war schon längst Gefahr im Verzug, weshalb das NF nunmehr die Marschrichtung vorgab. Und diese lautete: Sofortige Besetzung der Bezirksbehörde durch Sperrung aller Tore, lückenlose Ein-und Ausgangskontrollen aller Personen und Fahrzeuge sowie Sicherung des Schriftgutes vor weiterer Vernichtung. Dazu forderte das Neue Forum über die Telefonleitung des Oberbürgermeisters die unter Pt. 3 genannten staatlichen Organe auf, sich umgehend am Eingang Hegelallee der MfS-Bezirksbehörde einzufinden. Mit dieser Zielstellung begannen um 11.30 Uhr die Besetzung und Kontrolle (Kfz., Personen) aller Ein- und Ausgänge der Bezirksbehörde in Kooperation mit Volkspolizei und Staatsanwaltschaft. Dabei lehnte Bezirksstaatsanwalt Bernd Keßler zunächst seine Mitwirkung am angestrebten Format einer Sicherheitspartnerschaft mit der wenig überzeugenden Begründung ab, er hätte bereits ein Ende der Aktenvernichtung angeordnet, beugte sich dann aber dem Druck der Besetzer und kommt mit. Inzwischen hat die Abordnung des Neuen Forums ihre Anhängerschaft zur Verstärkung mobilisiert, eine der wenigen vertrauenswürdigen Journalistinnen ist Ute Samtleben, die ebenfalls telefonisch aus dem OB-Büro hinzugezogen wird.

Gegen 12.00 Uhr beginnen die Verhandlungen von drei Vertretern des Neuen Forums mit dem Leiter der MfS-Bezirksbehörde, Helmut Schickart und Volkspolizei-Generalmajor Erich Griebsch zu den Modalitäten der Besetzung, während an den Toren die Kontrollmaßnahmen anlaufen. Dabei werden Laster kontrolliert, PKW- Kofferhauben angehoben und die Taschen der das Objekt verlassenden Stasi-Bediensteten durch die angerückten Polizeikräfte inspiziert, die bei ihren Aktionen wiederum von den Bürgern selbst überwacht bzw. beobachtet werden. Inzwischen nimmt der Druck der Straße mit über 100 wartenden Personen zu, warnt die Verhandlungsgruppe den Stasi-Chef, die Situation könne jeden Moment außer Kontrolle geraten, wenn er nicht einlenkt. Dazu hat das Neue Forum weitere Teile seiner Anhängerschaft mobilisiert, darunter auch den gleich auf der anderen Straßenseite im katholischen Pfarrhaus wohnende Kaplan Johannes Kliegel. Er unterstützte-anders als mancher seiner Amtsbrüder - schon seit Längerem ganz offen die Oppositionellen und brachte seinen Fotoapparat für einige historische Aufnahmen dieser Phase mit. Auch eher zufällig hinzukommende Passanten verstärken die wartenden Menge, womit die Situation immer kritischer wurde, bis gegen 12:30 Uhr als erstes Zugeständnis nunmehr eine Abordnung von 30 Personen hinein gelassen wird. Sie teilt sich in drei Gruppen auf, um sich-ohne Orientierungshilfe durch das Stasi-Personal- eine erste Übersicht vom Gesamtkomplex zu verschaffen und die Gebäude nach Spuren von Akten zu durchsuchen. Im völligen Gegensatz zu der erst 6 Wochen später -am 15.Januar 1990 unter nach wie vor fragwürdigen Umständen erfolgten Erstürmung des Ostberliner Stasi-Zentrale -verlief diese Besetzung äußerst diszipliniert, fanden keine Plünderungen u.ä. statt. Dabei standen die Bürger erstmals einer -inwischen allerdings nicht mehr unsichtbaren- Front aus Stasi-Kräften gegenüber, von deren früherer Homogenität nichts mehr zu spüren war. Ihr Erscheinungsbild reichte von "lässig-arrogant" bis zu "aufgelöst in Endzeitstimmung".

So verweigerten z.B. die im Kassenraum versammelten Genossen ebenso wie die der Kaderabteilung jegliche Auskunft zur Struktur oder Personalstärke der Behörde. Besonders verstockt reagierten sechs Tschekisten in einem Art Technik-Raum. Sie bezeichneten sich als lediglich "reine Technik-Freaks", um sich nach einer länger andauernden Raterunde des ebenso 6 Personen umfassenden Rateteams als Teil der Inneren Abwehr/Bereich Telefonüberwachung zu entpuppen.

Um 14.00 Uhr teilt sich die Gruppe der Besetzer. Während der größte Teil die Aktensicherungsmaßnahmen einschließlich der Versiegelungen von Räumen vorantreibt, begibt sich eine aus 6 Personen bestehende Abordnung ins Stadthaus, um die zuvor vereinbarten Verhandlungstermin zu den Modus der Stasi-Auflösung festzulegen. Wie im Foto (folgt noch) dokumentiert, sitzen auf der einen Seite die Carola Stabe (Argus), Ute Samtleben( Zeitung Märkische Union), Anette Flade, Detlef Kaminski, Manfred Kruczek (alle Neues Forum) sowie Rainer Speer (SDP), während die staatlichen Organe durch Herbert Tzschoppe, Vorsitzenden des Rates des Bezirks, OBM Manfred Bille, Dr. Aljoscha Weigel( MA Sicherheit Rat des Bezirks), VP-Major Hülsenbeck u.a. vertreten sind. Zwar beeilten sich die Restbestände der Staatsmacht zu erklären, wie intensiv man sich um die im Backwarenkombinat sichergestellten KoKo-Antiquitäten, Oldtimer oder ausgelagerte Waffen der DDR-Staatsjagd gekümmert hätte, doch scheitert ihr Versuch, man habe schon "alles im Griff" kläglich. Denn dagegen standen bereits die ersten beim Neuen Forum eingegangenen Anzeigen aus der Bevölkerung zu eilig verlassenen konspirativen Wohnungen, mysteriösen Transportaktionen oder entdeckten Waffenlagern. In dieser Situation kippte die Stimmung, geriet die einst so unantastbare Staatsmacht in die Defensive. Die Regeln einer umumkehrbaren Stasi-Auflösung bestimmte fortan die Bürgerbewegung. Zur Koordinierung der dazu erforderlichen Schritte wurde das Bürgerkomitee "Rat der Volkskontrolle"(BK "RVK") beschlossen. Dieses Gremium, welches zuerst den Schutz von Dokumenten und Sachwerten des einstigen Stasi-Imperiums gewährleisten sollte, "um die Durchführung von kriminellen Machenschaften und eine Verdunkelung ebensolcher Absichten durch die Vernichtung von Schrift-und Archivgut zwecks der Verfolgung solcher Handlungen zu verhindern", konstituierte sich am nächsten Tag, dem 6.Dezember 1989.

Kooperationspartner

Während die Volkspolizei am 5. Dezember 1989 umgehend auf die Sicherheitspartnerschaft einging, Ein- und Ausgänge des Stasi-Komplexes bewachte, MfS-Personal und deren Kfz kontrollierte, gab sich die Staatsanwaltschaft reserviert. Dies gilt sowohl für den Tag der Stasi-Besetzung als auch für die Arbeit im Bürgerkomitee. Auch der Oberbürgermeister und seine Stadträte kooperierten nur widerwillig, verschleppten sogar zuvor gegebene Zusagen zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Bürgerkomitees.

Destruktiv war auch die Zusammenarbeit mit dem Militärstaatsanwalt, an den 21 von Bürgern eingegangene Fälle weitergeleitet worden waren. Wichtige Anklagen wurden wegen eines sog. "unverschuldeten Verbotsirrtums" schnöde fallen gelassen. Dazu gehören die Verfahren gegen gegen den ehemaligen Potsdamer Bezirks-Stasi-Chef Generalmajor Schickart und den Chef der Abteilung M (Postkontrolle) wegen Verletzung des Briefgeheimnisses und des verbrecherischen Diebstahls aus Postsendungen. Zwar waren beide im Januar vorläufig festgenommen, doch im April wieder freigelassen worden. Dem darüber empörten RVK bleibt nur noch die Information der Öffentlichkeit dazur, welchen Stand die aktuelle"Rechtspflege" noch hat( siehe BNN vom 10.4.1990), verbunden mit der Aufforderung an die künftig politisch Verantwortlichen, diese Fehlentscheidungen rückgängig zu machen(Vgl. auch Rechenschaftsbericht des RKV). Auch die insgesamt 17 Bürger- Anzeigen gegen SED-Bezirks-und Kreisleitungsfunktionäre, leitende Kader aus Bezirks-und Stadtverwaltungen sowie einzelne Bürgermeister wegen der Aneignung von Grundstücken, Häusern oder Bungalows führten in keinem Fall zu einer Anklage: Der Strafbestand "Amtsmissbrauch" war bereits im Jahr 1968 aus dem DDR-Strafgesetzbuch gestrichen worden. Dagegen hatte sich die Sicherheitspartnerschaft mit der Deutschen Volkspolizei, vertreten durch den VPKA-Chef, OSL Adam, auch für die schrittweise Entwaffnung des MfS zuständig, bewährt.

Vorgehensweise

Wie unter Pkt. 3 dargestellt, übernahm die Volkspolizei die Kontrolle von MfS-Personal einschließlich Kfz, während die NF-Vertreter die Gesamtaufsicht ausübten. Die Versiegelung erfolgte durch die Staatsanwälte in Gegenwart der NF-Vertreter, sekundiert durch Volkspolizei u.a. Im Vordergrund stand die Sicherung des noch vorhandenen Aktenmaterials. Außerhalb der Bezirksbehörde wurden weitere ehemalige Stasi-Objekte von der Bürgerbewegung aufgesucht bzw. auch kontrolliert: So betraten bereits am Abend des 5.Dezember Frau und Herr Rüdiger die Untersuchungsanstalt des MfS in der Potsdamer Innenstadt(heute Gedenkstätte Lindenstraße). An diesem Ort, an dem die politischen Häftlinge über Jahrzehnte der Willkür ihrer Stasi-Vernehmer hilflos ausgeliefert waren, saßen zu diesem Zeitpunkt nur noch fünf Autoschieber ein, welche nach Angaben der Stasi-Bediensteten zuvor von der Kripo überstellt worden waren. Die politischen Häftlinge waren bereits im Zuge einer Amnestie im Oktober entlassen worden. Eine Versiegelung der Räume blieb in diesem Objekt aus, zumal die meisten Akten schon weggeschafft worden waren, angeblich in die Bezirksbehörde. Am gleichen Abend stießen ca. 20 Bürger vor der ehemaligen MfS- Kreisdienststelle Puschkinallee auf große Haufen mit offenkundig eilig geschredderten Akten. Das Gebäude ist verschlossen und der bald danach auftauchende Stasi-Oberst Puchert, Leiter der Einrichtung, verweigert in anmaßendem Ton den Einlass, weshalb sich die Bürgergruppe auf Kontrollen der Dienst-KfZ beschrankt und dann wieder abzieht. Doch um Mitternacht betreten drei Bürger mit einem Staatsanwalt dennoch das Objekt, um die Raume doch noch zu versiegeln. Dabei ist zu berücksichtigen , dass sich die Ereignisse in dieser ersten Nacht der Stasi-Besetzung überschlugen und dabei allein das seit Oktober des Jahres in der Babelsberger Friedrichskirche vom Pfarrer-Ehepaar Flade eingerichtete Kontaktbüro des Neuen Forums in der Bevölkerung breites Vertrauen besaß. Dort versammelten sich am Abend des 5.12.1989 ab 22 Uhr deren Akteure, um ihre Vertreter für das am Folgetag zu gründende BK "Rat der Volkskontrolle" festzulegen, wobei die Wahl nach einigen Diskussionen auf Detlef Kaminski, Dr.Bernd Reuter und Manfred Kruczek fiel. Während sich die beiden Erstgenannten nach einigen Wochen durch Karsten Fietzke und Ralph Würfel ersetzen ließen, blieb Manfred Kruczek in Kontinuität dem Komitee verbunden. Gleich nach dieser Personaldiskussion gingen jedoch in dieser Nacht bis nach 2 Uhr ständig Bürgerhinweise zu entdeckten oder auch nur vermuteten Stasi-Objekten ein. Sie betrafen u.a. die Hochschule des MfS im benachbarten Golm, eine Bungalow-Siedlung in Groß Glienicke, ein Objekt in Horstwalde bei Luckenwalde sowie verschiedene Potsdamer Gebäude. Dabei war es einem Phänomen von bürgerbewegtem Engagement zu verdanken, dass es durch die Bereitschaft von "einfachen Bürgern", ihre PKW dafür bereitzustellen, gelang, zusammen mit den Akteuren des Neuen Forums auch bis in die entlegensten Ecken zu fahren, um Stasi- Objekte aufzuspüren. Diese Stunden, aber auch die folgenden Wochen, waren von der Überzeugung getragen, diesem verhassten Machtinstrument der SED ein jähes Ende zu bereiten. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass in dieser Nacht auch fingierte Meldungen eingingen, um die Akteure -zum verlängerten Schutz der eigenen Rückzugsräume-auf falsche Fährten zu locken. Derartige Aktionen der- nach wie vor- gegnerischen Seite lieferten einen Vorgeschmack auf ein ähnliches Versteckspiel, welches die meisten Regierungsvertreter Modrows dann in dem am Folgetag gegründeten Bürgerkomitee betrieben.

Bildung des BK "Rat der Volkskontrolle" (Initiatoren; Zusammensetzung)

Mit seiner Konstituierung am 6. Dezember 1989 standen den 10 systemtragenden DDR-Parteien bzw. Massenorganisationen SED-PDS, CDU, LDPD. NDPD, Kulturbund, DBD, VdgB, FDGB, FDJ, DFD die 10 neuen Gruppierungen Neues Forum, SDP/SPD, Aktion Katholischer Christen, Arche (Katholische Kirche), Evangelische Kirche, Antifa, Vereinigte Linke, Grüne Liga (ARGUS), Kontakte und Bund der Berufssoldaten gegenüber, wobei sich die letztgenannte Vereinigung ausschließlich aus höheren NVA-Dienstgraden zusammensetzte. Bis Januar 1990 gehörte auch "Demokratie Jetzt" dazu , die sich dann ebenso wie die FDJ, die NDPD, die VdgB und die "Vereinigte Linke"zurückzogen. Jede Vereinigung verfügte dabei über eine Stimme. Ohne Stimmrecht nahmen die ABI und Oberstleutnant Adam, Leiter des Volkspolizeiamtes Potsdam, an den Sitzungen teil. Bei dieser Zusammensetzung war bei wichtigen Entscheidungen ein Patt der beiden Lager, wenn nicht sogar ein Übergewicht der Etablierten zu befürchten und damit Stillstand in Sachen einer kompromisslosen Stasi-Auflösung vorprogrammiert. Daher beantragte das Neue Forum, dass politische Vereinigungen immer dann vom Stimmrecht ausgeschlossen sind, wenn es bei Abstimmungen zum Umgang mit Korruption und Amtsmissbrauch um die betreffende Partei-im Klartext-um die SED-PDS selbst ging. Damit wurde der "Einheitspartei" die Führungsrolle entzogen, war doch gerade sie krampfhaft bemüht, demokratisches Grundverständnis zu repräsentieren und keine Sonderrechte zu beanspruchen. Schließlich stellte sich-was nicht wirklich überraschte- heraus, dass die fünf Vertreter der DDR-Massenorganisationen DFD, FDGB, FDJ, VdgB und Kulturbund ganz nebenbei das SED-Parteibuch besaßen. Die Nationale Front stand also noch, bröckelte aber dahin, was für einige der späteren Abstimmungen noch wichtig werden sollte. Denn anders wäre es nicht möglich gewesen, z.B. den vom Bürgerkomitee "RVK" entdeckten Modrow-(Ministerratsbeschluss) zur Privilegierung ausscheidender MfS-Mitarbeiter mit millionenschweren Übergangszahlungen dann auch bundesweit zu veröffentlichen.

Arbeitsweise des BK

Die Arbeitsweise wurde durch eine Geschäftsordnung bestimmt. Diese orientierte sich weitestgehend an einem vom Neuen Forum als Überraschungscoup vorgebrachten Entwurf, dem die "Etablierten"- ohnehin in die Defensive gedrängt - nichts entgegenzusetzen hatte. Danach wechselte die Sitzungsleitung zwischen etablierten und neuen Bewegungen von Sitzung zu Sitzung. Zwischen dem 6. Dezember 1989 und 26. April 1990 fanden 21, durchgängig protokollierte, Sitzungen, in der Regel jeweils Donnerstag ab 17.00 Uhr im Stadthaus statt. Bezeichnend für die damalige Situation war der erste Eintrag vom 8.12.1989: Ein Oberleutnant des in Potsdam beheimateten NVA-Militärarchivs stellt fest, dass "in seinem Betrieb noch alles i.O. wäre", befürchtet aber Übergriffe" durch die jetzt aufkommenden Bewegungen. In die richtige Richtung ging dagegen der letzte Eintrag vom März 1990 durch Pfarrer H.-J. Schalinski. Er war einer der entscheidenden Potsdamer Akteure bei der Aufdeckung des Wahlbetruges vom 7.Mai 1989 und forderte eine "Unterstützung betreffs Einsichtnahme in seine Staatssicherheitsakten". Damit hatte er exakt beschrieben, dass die Verhinderung weiterer Aktenvernichtungsaktionen durch die DDR-Opposition immerhin noch so zahlreiche Belege für die jahrzehntelange Bespitzelung eines ganzen Volkes sichern konnte, dass es erstmalig gelang, die menschenverachtenden Methoden eines allgegenwärtigen Geheimdienstes zum Überleben einer kommunistischen Diktatur, hier der SED, vor aller Welt offenzulegen. Die im Bürgerkomitee eingegangenen Anzeigen bzw. Hinweise betrafen ein breites Spektrum der DDR-Wirklichkeit : Einen großen Teil nahm dabei die Wohnungspolitik ein. Dabei betrafen eine ganze Serie von Anzeigen leitende SED-Kader, die sich aufgrund ihrer privilegierten Stellung Volkseigentum beschafften. Anlassbezogen lud der RVK zur Gewährleistung der städtischen Lebensfunktionen die-in aller Regel noch auf ihrem einstigen Posten verbliebenen-Amtsträger ein, um pragmatische Lösungen zu finden. In einigen Fällen intervenierte er auch gegen aktuelle Entscheidungen der noch etablierten Stadtregierung. Dies betraf z.B. die von ihr noch beabsichtigte Werbevermarktung Potsdams durch die Kölner Firma Stroer, die damit eine völlig unakzeptable Alleinstellung erhalten hörte.

Kooperation Bürgerkomitee/Bevölkerung

Das am 8. Dezember 1989 eingerichtete ständige Kontaktbüro war zweifelsfrei das Herzstück dieses Bürgerkomitees. Hier gingen insgesamt 566 Anzeigen aus der Bevölkerung über Amtsmissbrauch, Korruption sowie zur Aufdeckung von Stasi-Objekten ein. Sie wurden fortlaufend nummeriert und nach Zuordnung zu 5 Themenfeldern (AG) schrittweise bearbeitet. Das täglich bis einschließlich Samstag (anfänglich ab 7:30/später von 12:00- bis 20:00 Uhr) besetzte Bürgerbüro schuf in einer Zeit des politischen Vakuums Vertrauen in die sich neu formierenden demokratischen Strukturen und war gleichzeitig erste Anlaufstelle für Opfer bzw. Bedrängte der SED-Diktatur. Es war jeweils von einem Vertreter der etablierten sowie einem der neuen Bewegung besetzt, damit bei den kontrollfähig erfassten Bürgerhinweisen nichts unter den Tisch gekehrt werden konnte. So war z.B. der (Block)-CDU die Aktion katholischer Christen zugeordnet.

Aufgaben des BK

1.) Öffentliche Kontrolle der Auflösung aller Dienststellen des ehemaligen MfS im Bezirk Potsdam einschließlich der Entwaffnung aller MfS- Dienstkräfte sowie die Unterbindung weiterer geheimdienstlicher Aktivitäten

2.) Schutz von Dokumenten und Schriftgut des MfS vor der Vernichtung, um kriminelle Machenschaften aufzudecken und deren Verdunkelung zu begegnen.

3.) Sicherung einer funktionierenden öffentlichen Daseinsfürsorge einschließlich Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Versorgung, Gesundheitswesen u.a. durch Stabilisierung der kommunalen Strukturen, z.B durch den Einsatz von NVA-Soldaten in Krankenhäusern u.ä.

4.) Entgegennahme von Anzeigen zu Amtsmissbrauch und Korruption sowie deren weitere Bearbeitung; Annahme von ersten Anträgen zur Rehabilitierung politisch Verfolgter

5.) Klärung von Eigentumsverhältnissen und Einkünften der SED-PDS sowie der Blockparteien

Verhältnis Bürgerkomitee zu Runden Tischen bzw. Staat. Organen

Wie im Abschlussbericht zum RVK festgestellt, war dieses Bürgerkomitee bereits wirksam, als an den Runden Tisch (in Potsdam) noch nicht zu denken war, wurden hier zuerst auch Aufgaben der Versorgung einschließlich des friedlichen Einsatzes von NVA-Kräften in verschiedenen Bereichen der Volkswirtschaft gelöst. Einen Teil dieser Aufgaben übernahmen später auch die Runden Tische. Ihnen gegenüber lehnte der RVK in seiner Sitzung vom 11.1.1990 eine Rechenschaftspflicht ab. Zur Begründung erklärten die Vertreter des Neuen Forums, dass hier kein Unterstellungsverhältnis existiert und der RVK allein schon durch die Entsendung des Regierungsbeauftragten in seinen Rat als eine Art von Unterhändler dem Bürgerkomitee eine höhere Autorität verliehen hat. Der Oberbürgermeister und seine Stadträte waren dagegen nicht bereit, in diesen Monaten politischen Vakuums auch nur ansatzweise den RVK in Verantwortung für das Gemeinwohl zu unterstützen. Sie hatten damit die Chance vertan, wenigstens in ihren letzten Dienstmonaten ehrlich dem Bürgerwohl verpflichtet zu sein und sich damit einen halbwegs akzeptablen Abgang zu verschaffen. Die Protokolle des RVK belegen ihr destruktives Agieren.

Kooperationsebene BK/ Regierungsbeauftragte der Modrow-Regierung

Ähnlich destruktiv wie die v.g. örtlichen Organe verhielt sich auch die von Modrow eingesetzte Regierungskommission für den Bezirk Potsdam. Sie stand unter Führung von Wolfgang Splett, ergänzt durch Oberst Prof. Dr. Ebeling vom Ministerium des Innern, später ersetzt durch Oberst Dr. Hans-Georg Holzendorf. Ihnen wurde mit Oberstleutnant Fremde (lt.Rüdiger/Rogall handelt es sich bei diesem höchstwahrscheinlich um den am 15.6.1946 geborenen Uwe Fremde, erfasst in der Dokumentation"die andere", Ausgabe 24/91 Berlin des Neuen Forums) ein MfS-Apparatschik zur Seite gestellt, der noch 5 Minuten nach 12 gegen das Bürgerkomitee agierte, offenbar in der Hoffnung, das MfS noch irgendwie in die neue Zeit (als Verfassungsschutz) hinüber zu retten. Respekt- und würdelos war sein wochenlanges Versteckspiel um die Liste mit konspirativen Stasi-Objekten im Bezirk Potsdam. An seinem betont arroganten Auftreten wurde deutlich, wie schwer sich Stasi-Obrigkeiten damit taten, nun von denen bestimmt zu werden, die ihnen einst bedingungslos ausgeliefert waren. Auch der Auftrag von Splett konzentrierte sich zuerst darauf, die Arbeitsfähigkeit wichtiger Teilbereiche des einstigen MfS vor der Drohkulisse angeblicher "Verfassungsfeinde"-als Synonym für die einst als "feindlich-negative Kräfte" eingestuften DDR-Oppositionelle- wieder herzustellen. Massiv bedrängte die Nachhut des MfS im Zusammenspiel mit Modrows Regierungskommission die Bürgerrechtler, einer weitgehenden Aktenvernichtung zuzustimmen, um die Spuren ihres Handelns gegen die eigene Bevölkerung so zu verwischen , dass man in einer dann "reformierten" DDR (wovon ja auch ein beachtlicher Teil der Bürgerbewegten erstaunlicherweise ebenso schwärmte) wieder Aufgaben zur Sicherung des Staatswesens anvertraut bekäme. Zur Begründung ihres Fortbestandes wurden insbesondere rechtsradikale Aktivitäten angeführt, obwohl das MfS in den letzten Jahren der DDR- noch im Vollbesitz seiner Macht - bei derartige Ausschreitungen immer häufiger nichts unternahm. Dies betraf z.B. das Agieren rechtsradikaler Fans ausgerechnet im Umfeld des von Stasi-Chef Erich Mielke protegierten Fußballclubs BFC Dynamo oder den Überfall von Rechtsradikalen auf die Ostberliner Zionskirche bei einem illegalen Konzert der Band "element of crime" im Jahr 1987.

Information über IM's im BK

Die Ergebnisse diesbezüglicher Recherchen sind in der Reihe Brandenburgische Historische Schriften, herausgegeben von der Brandenburgische Landeszentrale für Politische Bildung, G. Rüdiger/G. Rogall: "Die 111 Tage des Potsdamer Bürgerkomitees  Rat der Volkskontrolle 1989/90 " unter Punkt 7.2. dokumentiert. Danach waren sechs von jenen insgesamt 27 Teilnehmern, welche mindestens an 6 Sitzungen des RVK mitwirkten, als IM erfasst. Sie verteilten sich mit jeweils drei Personen gleichmäßig auf die etablierten und neuen Bewegungen, zwei der letzteren als Vertreter der beiden Konfessionen. Keiner dieser sechs IM hatte sich dem RVK offenbart. Darunter befand sich auch eine Person der PDS-Fraktion, die 1990 in den Brandenburger Landtag einzog und im Rahmen der dortigen Überprüfungen das Mandat dann auf Druck der eigenen Fraktion zurückgab. Von den weiteren 50 Mitgliedern des RKV, die an weniger als sechs Sitzungen dabei waren, liegen zu vier Personen IM-Erfassungen vor. Dabei erhielt die unter IM" Rolf" erfaßte Person im Rahmen der in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung durch einen Sonderauschuß 1994 vorgenommenen Stasi- Überprüfung eine ohne Gegenstimme ausgesprochene Empfehlung zur Mandatsniederlegung(l. auch Landtagsgutachten Enquete-Kommission Brandenburg vom 7.6.2011). Dem kam die entsprechende Person nicht nach, um noch bis zum Jahr 2014 Stadtverordneter zu bleiben, was aufgrund dieser langen ehrenamtlichen Tätigkeit im gleichen Jahr mit einem Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Potsdam gewürdigt worden war.

Positionen des BK zur Stasi-Aktenvernichtung

Von seinem Selbstverständnis her wurde das Bürgerkomitee anlassbezogen gegründet, um die begonnene Aktenvernichtung zu stoppen. Dieser Grundkonsens blieb in diesem Gremium unangetastete Arbeitsgrundlage, was sich auch aus der Dominanz der hier offensiv agierende neuen Bewegungen erklären läßt. Eine anderes Binnenverhältnis bestand dagegen in der Kommission zur Sichtung der Stasi-Akten, der sog. Schriftgutkommission. Die von drei Regierungsvertretern dominierte Kommission verfolgte mit Hinweisen- auf eine angeblich sonst drohende "Lynchjustiz" die Fortsetzung der Aktenvernichtung. Dies entsprach auch der von Ministerpräsident Hans Modrow vorgegebenen Linie, wie ein von ihm am 7.Dezember 1989 an die Regierungsbeauftragten verschicktes geheimes Telegramm belegt. Danach sollten-gegebenenfalls unter Einbeziehung von Bürgervertretern- "unberechtigt angelegte Dokumente", also die Stasi-Akten über Bürger, vernichtet werden(Vgl. Rüdiger/Rogall, Abs. 6.6.6) . Zwar lenkte Modrow noch am gleichen Tag gegenüber dem Zentralen Runden Tisch ein, indem er nunmehr eine Sicherstellung des Materials verkündet, doch versuchte er bereits am 12.Dezember mit einer Anweisung zur Vernichtung unberechtigt gesammelter Informationen über Bürger, wieder sein ursprüngliches Ziel durchzusetzen. Allerdings war dieser Schritt mit der wichtigen Einschränkung verbunden, die Vernichtungsaktion nur im Konsens mit den Bürgervertretern umzusetzen(Vgl.R/R). Daraufhin gründet der für den Bezirk Potsdam eingesetzte Regierungsvertreter Splett am 12.Dezember die "Kommission über die öffentliche Kontrolle zur weiteren Sicherung, Sichtung und eventuell teilweisen Vernichtung von Schriftgut des NASI-Bezirksamtes Potsdam". Es existierte unter der Leitung Spletts, der auch für alle Berichte zur Sichtung der Papierberge aus MfS-Akten zuständig war. In ihrem am 22.Dezember 1989 veröffentlichten Zwischenbericht empfiehlt sie, sowohl die Betroffenenakten (im Ergebnis der Bespitzelungen entstanden) als auch die Kaderakten der hauptamtlichen MfS-Leute zu vernichten. Aus Protest gegen diese mehrheitlich ausgesprochene Empfehlung suchen zwei dem Gremium angehörende bürgerbewegten Vertreter, Volker Wiedersberg (Potsdam Initiative) und Ralph Würfel (Neues Forum), die …Öffentlichkeit und stellen in der Presse (BNN/MV vom 4.Januar 1990 fest: Die Kommission schützt die Spitzel, weniger die Bürger .. " und "Die Tätigkeiten der Staatssicherheit sind in bisher kaum untersuchtem Ausmaß Verbrechen. "Dossiers sind unsere Geschichte" lautete ihre Botschaft. Dieser bürgerbewegte Hilferuf wird in einem Dokument der Regierungsvertreter ( RHG/ZRT; aufgefunden in der R.-Havemann Gesellschaft) vom 7.Januar 1990 " Zum Stand der Auflösung des ehemaligen Bezirksamtes Potsdam" wie folgt beurteilt:" Danach beziehen" die Vertreter beider Oppositionsgruppen (" Potsdamer Initiative" und" Neues Forum"/d.A.) besonders in den letzten Tagen konsequente Positionen zur Ablehnung einer Vernichtung der Akten. Sie stellen damit bereits erreichte Ergebnisse in dieser Hinsicht in Frage. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch Veröffentlichungen in der Bezirkspresse am 04.01.1990 , in dem sich diese Vertreter im nachhinein gegen den Zwischenbericht vom 22.12.1989 verwahren und das ehemalige MfS als "Instrument des politischen Terrors " bezeichnen."(Ende des Zitats).

Befördert durch die gleichzeitige Mitgliedschaft von Ralph Würfel im BK "Rat der Volkskontrolle" verlangt dieses Gremium in seiner folgenden Sitzung vom Regierungsbeauftragten Splett umgehend Aufklärung, woraufhin sich dieser unter dem Druck der hier entschlossen handelnden                         Akteure für andere Mehrheiten einsetzte und von einer (angeblich) vorgesehenen Aktenvernichtung kleinlaut distanziert. Zwischen Januar und März 1990 werden dann alle Aktenbestände (einschl. der Stasi-Hochschule in Golm) in einen Bunker bei Bornim gebracht und dem Potsdamer Staatsarchiv übergeben. Zu vermerken ist in diesem Zusammenhang, dass der langjährige Leiter des Potsdamer Staatsarchivs, Dr. Friedrich Beck, im Rahmen seines Mitwirkens in der v.g. 15-köpfigen Schriftgutkommission ebenso wie die beiden Bürgerbewegten öffentlich für den vollständigen Erhalt der Akten eintrat, denn" um aus der Geschichte zu lernen, brauchen wir dazu die entsprechenden Quellen"(Vgl.R/R unter 6.6.6). Festzuhalten ist jedoch auch, dass die Schriftgutkommission -bei nur einer Gegenstimme- einer teilweisen Vernichtung von Unterlagen aus der MfS-Untersuchungshaftanstalt in der (heutigen) Lindenstraße zustimmte, weil es sich angeblich um doppelte Ausfertigungen handelte (ebenda).

Zusammenarbeit BK/Presseorgane

Die Lokalpresse erhielt nach jeder RVK-Sitzung Informationen zu deren Ergebnissen und gab diese zum Teil wieder. Bemerkenswert war, dass die unter Punkt 14 ausgeführte Aufdeckung des MRB zu den Übergangszahlungen an MfS-Leute nur von den BNN (am 23.12.89 /heute PNN), nicht aber von MV (heute MAZ) und ADN vermeldet worden waren. Insgesamt war die Presse bemüht, objektiv die Sitzungsergebnisse wiederzugeben, Bewertungen in Form von Kommentaren waren dagegen noch weitestgehend unüblich.

Erwähnenswerte Ergebnisse des Bürgerkomitees

Für bundesweites Aufsehen sorgte die Aufdeckung des Ministerratsbeschlusses vom 14. Dezember 1989 zur Gewährung von millionenschweren Übergangszahlungen an Angehörige des in Auflösung befindlichen MfS. Auslöser war eine dem Bürgerbüro unter laufender Nummer 117 anonym(!) am 13.12.1989 von einem Mitarbeiter der DDR-Staatsbank gegebene Hinweis zu dort vom MfS getätigte Bargeldabhebungen in erheblichem Umfang. Danach sollten insgesamt ca.100 Mio Mark in den folgenden Monaten bereitgestellt werden. Der dazu in der nächsten Sitzung befragte Regierungsbeauftragte räumt zwar die Gewährung von Übergangszahlungen an die ausscheidenden MfS-Kräfte ein, verschweigt jedoch, dass der am 14. Dezember 1989 unter Modrow gefasste Ministerratsbeschluss eine noch viel größere Privilegierung enthielt, indem zusätzlich zu den Abfindungen noch 3 Jahre lang Übergangsgelder von bis zu 80% des bisherigen (bei Stasi-Leuten überdurchschnittlichen) Nettoverdienstes gewährt werden soll. Daraufhin richtet der RVK sofort ein Protestschreiben an die Regierung und veröffentlicht wenige Tage danach-einzig gegen die Stimme der SED-PDS- den Gesamtinhalt des Beschlusses. Seine Veröffentlichung führte in der Bezirkspresse zu einer Protestwelle von Leserbriefen nicht nur Einzelner, sondern ganzer Betriebskollektive wie aus dem Potsdamer Wohnungsbaukombinat. Bundesweit wurde der Skandal erst am 2. Januar 1990 durch ARD und ZDF bekannt. Der DDR-weite Protest gegen diesen nassforschen Privilegierungsversuch stoppte die schon für alle sicher geglaubte Bescherung Tausender ehemaliger Stasi-Mitarbeiter. Der Ministerratsbeschluss wurde im Januar zurückgenommen, weitere Zahlungen wenigstens eingestellt. Der Vorgang macht aber auch deutlich, wem sich die DDR-Regierung unter Modrow noch immer verpflichtet fühlte.

2.) 566 Bürgeranliegen an das Kontaktbüro führten zu mindestens 100 Anzeigen an die Staatsanwaltschaft, viele davon wegen Amtsmissbrauch und Korruption. Beispiel:  Eine Gartensiedlung am Glindower See soll von MfS-Offizieren genutzt werden. Die Fläche soll vor 15 Jahren vom MfS  beschlagnahmt worden sein. Der Bürger fragt, ob diese MfS-Offiziere denn wenigstens Pacht gezahlt hätten . Aber auch ungeklärte Todesfälle durch MfS-Einwirkung sind unter den Anzeigen oder erste Anträge zur Rehabilitierung politisch Verfolgter. Undurchsichtiger Grundstücks-oder Hauserwerb durch leitende SED-Kader, zum Teil auch erst in den Wirren des noch laufenden Umbruchs praktiziert, sind häufiger Gegenstand zumeist konkreter Hinweise. Die vom BK begleitete Entwaffnung der Kreisdienststellen des Potsdamer Bezirks-MfS bezog sich u.a. auf 468 Maschinenpistolen, 30 Panzerbüchsen, 428 Schlagstöcke, 87 Handfesseln, 48 Führungsketten und sogar 300 Handgranaten- im Ernstfall vorgesehen gegen das eigene Volk.

Stand der Auflösung

Laut Lagebericht der Regierungskommission vom 7.1.1990 war das Potsdamer Bezirksamt nur noch bedingt arbeitsfähig. Die Realisierung operativer Arbeitsprozesse war nicht mehr möglich, nur die Spionageabwehr war noch aktiv. Aber auch diese Einschätzung ist bereits aufgrund eines kritischen Vorfalls vom 7. Dezember 1989 zu relativieren: An diesem Tag wurde durch (MfS)-Angehörige der Passkontrolle Drewitz/Dreilinden ein Aufruf verbreitet, den grenzüberschreitenden Verkehr zu blockieren, wenn die von der Bürgerbewegung dort außer Betrieb gesetzte erkennungsdienstliche Technik nicht wieder eingesetzt werden darf. Dabei wurde vom Neuen Forum in Kooperation mit der Volkspolizei verhindert, dass dieses Flugblatt weiterverbreitet und-wie beabsichtigt -über den Radiosender Potsdam eine Schließung der Grenzübergangsstelle nach Berlin(West) angedroht wird. Diese Aktion hätte durchaus zu einer gefährlichen Eskalation führen können, wäre sie nicht unterbunden worden. Auch daher war eine kontrollierte Entwaffnung unabdinglich, nur weigerten sich die MfS-Vertreter, die Soll-Bestände an Waffen aller Art offen zu legen. Damit war unklar, ob im allgemeinen Durcheinander auch Waffen "mit nach Hause genommen " worden sind. Auch der Regierungsbeauftragte lehnt die Einsicht in die Übergabelisten für Waffen ab , während die Volkspolizei -ganz im Sinne des RVK-eine schriftliche Bestätigung dafür einfordert, dass alle Waffen des MfS an die NVA(bis 15.12.) bzw die BDVP(bis 22.12.) und die Grenztruppen(bis 11.1.90)vollständig übergeben worden sind (vgl.R./R. unter 6.6.6).Über den MfS-Personalabbau wurde im RVK in jeder Sitzung Rechenschaft abgelegt, wobei vermieden werden sollte, dass sich deren Zugänge auf bestimmte Einrichtungen konzentrieren. So wurde später bekannt, dass speziell in Potsdam 28 ehemalige MfS-Mitarbeiter(innen) ausgerechnet im Bildungswesen Unterschlupf fanden.

Atmosphäre /Konflikte im Bürgerkomitee

Die Hauptkonfliktlinie verlief naturgemäß zwischen den Regierungsvertretern und denen der neuen Bewegungen, insbes. von Neuem Forum und Argus. Dies betraf über Wochen die Weigerung zur Herausgabe der vollständigen MfS-Objektliste sowie das schon beschriebene Versteckspiel mit dem Inhalt aktueller Ministerratsbeschlüsse. Von konsequentem Aufarbeitungswillen war besonders die Haltung des Argus-Vertreters Hartmut Schiemann geprägt, der mit seinen 26 Anfragen vom 31.1.1990 zu Person und Rollenspiel des MfS-OSL Fremde dessen nach wie vor auf Herrschaftswissen ausgerichtete intransparente Verhalten entblößte. So verweigerte er die Namensliste der IM mit Hinweis auf den Datenschutz ebenso wie die Auskunft darüber, ob die IM inzwischen wenigstens deaktiviert worden seien. Zudem musste er einräumen, immer noch im Dienstverhältnis zum DDR-Geheimdienst zu stehen und an Schweigepflichten gebunden zu sein. Zudem wurde der Generalstaatsanwalt von Hartmut Schiemann (Argus) im Januar 1990 schriftlich aufgefordert zu prüfen, ob das MfS als kriminelle Vereinigung eingestuft werden kann. Nur das Neue Forum stimmte dem vorbehaltlos zu, während sich von den neuen Bewegungen die Vereinigte Linke und Antifa klar dagegen aussprachen, sich andere zumindest enthielten. Auch der Versuch des Argus-Vertreters, die ehemalige SED-Führung wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch durch die Volkskammer untersuchen zu lassen, wurde im RVK durch eine Mehrheit zerredet. Erfolgreicher war sein Vorstoß zur Offenlegung von Eigentums-und finanziellen Verhältnissen der DDR-Parteien und Massenorganisationen. So musste in der Sitzung vom 25.1.1990 Heinz Vietze, ehemaliger Vorsitzender der SED-Bezirksleitung Potsdam, zu deren Besitzverhältnissen am Havelblick (sog. "Kreml", seit 1955 Eigentum von Fundament ), der Bezirksparteischule, dem Bayerischen Haus als Gästehaus der Partei u.a. Stellung nehmen oder auch zu einer ganzen Reihe idyllisch gelegener und von Parteikadern genutzter "Erholungsobjekte" Farbe bekennen.

Im Rückblick ist festzustellen, dass sich etablierte Parteien und Bürgerbewegungen immer weniger als Blöcke gegenüberstanden, sondern-anders als die Regierungsvertreter - um konstruktive Lösungen und Abwehr möglicher Gefahren in einer Situation des politischen Vakuums bemüht waren. Dazu hat auch beigetragen, dass der RVK durch den Ausstieg bekannter Vertreter (aus beiden Lagern) immer starker von Personen der zweiten oder dritten Reihe geprägt war. Dies betraf neben zwei Wechseln in der 3 köpfigen Vertretung des Neuen Forums auch den Wechsel in der SED-PDS: Deren ursprünglicher Vertreter war der Vorsitzende der SED-Kreisleitung, Rolf Kutzmutz, späterer Bundesgeschäftsführer der PDS. Er nahm nur an einer einzigen Sitzung des RKV teil. Es war die vom 12.Dezember 1989, als der Vertreter des Neuen Forums (Manfred Kruczek), alle Anwesenden vor Eintritt in die Tagesordnung zu einer Gedenkminute für den gerade verstorbenen russischen Bürgerrechtler Andrej Sacharow aufforderte. Alle Anwesenden folgten der Aufforderung ohne Kommentar, aber nicht alle erschienen zur nächsten Sitzung wieder.

Vorhandene Nachweise/Protokolle

Das Potsdamer BK hatte nach 21 Sitzungen am 26. April 1990 seine Tätigkeit beendet. Alle Sitzungen und die 5 Arbeitsgruppenergebnisse sind lückenlos protokolliert. Ein Abschlussbericht liegt ebenfalls vor. Alle Dokumente wurden der Potsdamer Stadtverwaltung zur Weiterverfolgung der noch offenen Fälle anlässlich der ersten freien Kommunalwahlen im Mai 1990 übergeben.  Daher wurde auf der 3.Tagung der Stadtverordneten im September 1990 auf Antrag von Manfred Kruczek (Neues Forum/Argus) beschlossen, dem Rechtsausschuß die Klärung der nicht abgeschlossenen Fälle von Bürgeranzeigen zu Machtmißbrauch und Korruption zu übertragen. Eine Erfüllung dieser Beschlußlage ist jedoch nicht nachweisbar. Anderenfalls wäre es auch nicht möglich gewesen, dass die Stadtverwaltung die ihr vom Bürgerkomitee dazu übergebenen Originaldokumente bald danach-offenkundig ohne Quittung- an Interessenten weiter und ist auch im Nachhinein nicht mehr an einer Rekonstruktion der damaligen Ereignisse an Hand vieler sich im Privatbesitz befindlichen Dokumente interessiert. Damit weist das Potsdamer Stadtarchiv- ausgerechnet für die entscheidende Phase der Friedlichen Revolution mit sich damals täglich überschlagenden Ereignissen-weitestgehend eine Leerstelle aus. Daher werden die aus Privatbesitz erhaltenen Dokumente des BK (Protokolle, Abschlussbericht, Nachweis über 566 Bürgeranzeigen u.ö.)schrittweise dem Argus-Archiv in den Räumen der Gedenkstätte Lindenstraße zur Archivierung übergeben.

Resümee

Trotz der bereits im November 1989 begonnenen Aktenvernichtung bleibt beeindruckend, in welchem Ausmaß dennoch das aktenkundige Stasi-Erbe als wichtige Trophäe der Friedlichen Revolution gerettet werden konnte. Auf deren Grundlage wurden 20 Jahre danach bei der Stasi-Überprüfung des Brandenburger Landtags eine ganze Serie von Stasi-Fällen aufgedeckt. Sie erschütterten das gerade von Ministerpräsident Matthias Platzeck aus SPD und LINKEN geschmiedete Regierungsbündnis so nachhaltig, dass sich auch die Landesregierung nicht mehr länger einer Überprüfung ihrer leitenden Bediensteten verschließen konnte. Denn um wieviel hemmungsloser waren Schlüsselfunktionen in Landesregierung und auf kommunaler Ebene von den sogenannten DDR-Eliten durchsetzt, wäre die Aktenvernichtung Anfang Dezember 1989 nicht entschlossen gestoppt worden Anders als auf Landesebene Brandenburgs war die Stasi-Überprüfung in der Landeshauptstadt Potsdam seit Anfang der 90er Jahre ein Selbstverständnis, welches auch noch heute- 30 Jahre später- fortgesetzt wird, um das Vertrauen in die neu entstandenen demokratischen Strukturen zu entwickeln bzw. zu erhalten. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass keine der 15 ehemaligen DDR-Bezirkshauptstädte in ihrer Stadtverwaltung eine auch nur annähernd hohe Belastungsquote wie Potsdam aufwies: Lag dieser Wert im DDR-Durchschnitt bei 3 bis 5 %, waren es in Potsdam 18,5 %. Wie auf eine Große Anfrage der Bürgerbewegung eingeräumt wurde, lagen per 30.6.1998 bei 939 überprüften Verwaltungsmitarbeitern in 174 Fällen belastende Bescheide der BStU vor. Die Belastungsquote im Endstadium der DDR dürfte noch deutlich höher gewesen sein, hatte doch inzwischen eine beachtliche Anzahl von( Stasi-belasteten) Mitarbeitern in Kenntnis der bevorstehenden Stasi-Überprüfung ihren Dienst nach Inkrafttreten des Stasiunterlagengesetzes (StUG) im Jahr 1992 quittiert. Die anschließende Bewertung des v.g. IM-Tätigkeit war allerdings so differenziert vorgenommen worden, dass immerhin 99 von 174 als belastet eingestuften IM dennoch weiterbeschäftigt wurden. Die Beibehaltung der Stasi-Überprüfung besaß eine große präventive Wirkung, denn im Jahr 2003 hatte die Belastungsquote mit nur noch 5 % Normalmaß erreicht. An dieser Entwicklung haben die aus der Stasi-Besetzung vom 5.12.1989 bzw. dem Bürgerkomitee stammenden und dann 1990 in die Stadtverordnetenversammlung gewählten damaligen Akteure einen nachweislich entscheidenden Anteil. Sie standen mit einem halben Dutzend Volksvertretern für die personelle Kontinuität zwischen den demokratischen Aufbrüchen von 1989 und den ersten freien Kommunalwahlen vom 6.Mai 1990 und gehörten überwiegend der Fraktion Neues Forum/Argus und in einem Fall der SPD an. Ihre bürgerbewegte Mission bestand darin, Glaubwürdigkeit zur Stärkung der gerade errungenen Demokratie herzustellen. Um deren Verteidigung geht es auch heute. Deshalb bleibt es unverzichtbar, die Nachfolgegeneration gegen extremistische Tendenzen zu immunisieren und von der Bewahrung demokratischer Lebensverhältnisse zu überzeugen.

Anmerkungen in Arbeit