Vor Ort in der MfS/AfNS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg am 15. Januar 1990

Vor der Demo- Die Teilkapitulation

Der ursprüngliche Plan der Bürgerkomitees aus den Bezirken, die MfS-Zentrale ab dem 15. Januar morgens Schritt für Schritt unter Kontrolle zu nehmen, war durch verschiedene Verzögerungen aus dem Takt geraten. Die Vorab-Ankündigung am Runden Tisch vor laufenden Kameras war weitgehend misslungen. Nicht nur die Gruppe vom Runden Tisch, auch die Gruppe, die zum MfS-Gelände fahren sollte, hatte sich fast 3 Stunden verspätet. Sie trafen erst um 13.45 auf dem Gelände ein.1 Manche vermuten, dass die Fahrer der Stasi-Busse, die sie vom Hotel dorthin bringen sollten, auf Zeit spielten und Umwege fuhren.2 Der Regierung spielte diese Verzögerung insofern in die Hände, als die Aktionen vor Ort nicht den Auftritt der Regierungsvertreter am Runden Tisch störten und die Staatsvertreter eine längere Vorbereitungszeit hatten.

Interessant der Vergleich der Pläne der Bürgerkomitees im Protokoll vom 14. Januar und das später erstellte  Ablaufprotokoll zum 15. Januar:

Dokument. AblaufprotokollBl.2, Plan der Bürgerkomitees

 

Als die ersten Bürgerkomiteemitglieder endlich in Lichtenberg eintrafen, dokumentierte Spiegel-TV das Ereignis. Die Bürgerkomiteemitglieder klingelten einfach an der Pforte zum abgeriegelten Sperrbezirk- und wurden zügig eingelassen. Offenbar war die Staatsseite auf den Besuch gut vorbereitet.

Film Der Stasi-Staat. Spiegel TV. 21.1.1990.

Die meisten Bürgervertreter dürften am Mittag nicht über das offizielle Besucherzentrum des MfS/AfNS in der Ruschestraße hinausgekommen sein. Über die Abläufe gibt es bis heute keine exakte Klarheit.

Die amtierende Leitung des MfS/AfNS hatte sich weitgehend abgesetzt und wartete bei den „Freunden“ vom sowjetischen Geheimdienst KGB in Berlin-Karlshorst.

Film Heinz Engelhardt, letzter Geheimdienstchef der DDR. 

Als Diensthabenden vor Ort, hatten sie sich den Jüngsten General ausgewählt. Dieser hatte schon in den Dezembertagen an seiner ehemaligen Dienststelle in Frankfurt/Oder Nervenstärke und Flexibilität im Umgang mit Demonstranten bewiesen.3

Film Heinz Engelhardt, letzter Geheimdienstchef der DDR

Engelhardt ließ nach eigenen Bekundungen, alle Mitarbeiter entwaffnen und schickte die meisten bis auf einige „Stallwachen“ in den Gebäuden nach Hause. Wer ursprünglich auf diese Idee kam, ist unklar. Auch Vertreter der Bürgerkomitees behaupten, dass sie es waren, die darauf drängten, dass das Gelände vor der Demonstration weitgehend personenfrei sei.4 Eine gewisse Sonderrolle spielte die Spionagehauptverwaltung. Hier war etwas mehr Personal präsent. Ein Schild an der Tür sollte Personen vom Betreten abhalten. In einer Wohnung in der Nähe des Geländes befand sich ein eigener Krisenstab unter dem Leiter der Spionagehauptabteilung, Werner Großmann.5

Der damals amtierende Polizeipräsident, Dirk Bachmann, behauptet, dass die MfS/AfNS-Führung unter Heinz Engelhardt bereits am Vormittag vom Bürgerkomitee beraten wurde.6 Dabei können nur Vertreter der Bürgerkomitees gemeint sein, die seit Dezember die Bezirksverwaltungen kontrollierten. Auch Vertreter des Kontrollausschusses zur Auflösung der MfS/AfNS-Bezirksverwaltung Berlin, waren am Vormittag auf das Gelände geeilt.

Film: Bernd Madaus, damals im Kontrollausschuss zur Auflösung der MfS/AfNS-Bezirksverwaltung Berlin, Kowalkestraße, damals NDPD-Funktionär (Normannenstraße)

Der letzte Geheimdienstchef, Heinz Engelhardt nennt noch den Vertreter des Dresdner Bürgerkomitees als seine Kontaktperson. Dieser hatte, wie sich später herausstellte, bereits vor 1989 Stasi-Kontakte gehabt.7 Dies war auch Heinz Engelhardt bekannt, der in Dresden bei seinen Kollegen nachgefragte, mit wem er es zu tun hatte.8 Das Dresdner Bürgerkomiteemitglied war schon zuvor in Dresden und bei Koordinierungstreffen mit Positionen aufgetreten, die er offenbar zuvor mit Staatsvertretern abgestimmt hatte.9 Offenbar entwickelten Engelhardt und der Vertreter des Bürgerkomitees Dresden ab dem 15. Januar ein sehr kooperatives Verhältnis in Berlin. Ob dies dem leutseligen Naturell des Dresdners oder seiner Vergangenheit geschuldet war, muss offen bleiben.10

Bald nachdem die Bürgerkomiteemitglieder aus den Bezirken auf dem ehemaligen Stasi-Gelände eingetroffen waren, fand am frühen Nachmittag des 15. Januar gegen 14.40 Uhr eine Sitzung statt. An dieser nahmen Vertreter der Stasi, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Regierung sowie mehrerer Bürgerkomitees teil. Geleitet wurde die Sitzung laut Protokoll von Michael Kummer, dem Sprecher des Berliner Bürgerkomitees. Dieser scheint jedoch in die Rolle gedrängt worden zu sein, eine Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei zu bilden:

Audio: Michael Kummer, damals Sprecher der Bürgervertreter des Kontrollausschusses in der Berliner Bezirksverwaltung (Demokratie Jetzt (DJ).  Mehr...

Protokoll der Sitzung auf dem Stasigelände am 15. Januar 1990.

Wie das Protokoll zeigt, wurde in dieser Sitzung auf dem Stasi-Gelände ein bis zwei Stunden vor Beginn der Demonstration, die um 17 Uhr starten sollte, eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Bürgervertretern und Staatsseite vereinbart. Der Regierungsvertreter erklärte bei dieser Sitzung ausdrücklich, er sei "für die Initiative der Bürgerkomitees dankbar".12 Die Regierung drängte sogar auf „Vorverlegung auf Grund der Brisanz“13. der Situation. Ursprünglich und noch am Morgen des 15. hatten  die Bürgervertreter noch den 17. Januar für die ersten Kontrollbegehung der Zentrale ins Auge gefasst. Angesichts der Demo setzte die Regierung offenbar auf das Deeskalationsmodell, das zuerst in Leipzig, dann an anderen Orten, auch in der Berliner MfS-Bezirksverwaltung, angewendet worden war. Die Bürgerkomitees aus den Bezirken gingen darauf ein.

Film: Hans Modrow, damals Regierungschef der DDR (SED/ PDS).

Dieses erneute Zurückweichen der Regierung Modrow hat inzwischen zu einer scharfen Kontroverse zwischen dem ehemaligen Ministerpräsidenten und seinem damaligen Geheimdienstchef geführt.

Die Kontroverse II

Offenbar suchte die Regierung Modrow auch diesmal ein Arrangement mit den Bürgernauf Kosten der ehemaligen Stasi-Leute. Dies kam zumindest den Bürgerkomitee-Mitgliedern entgegen, die ebenso das in den Bezirken bewährte Deeskalationsmodell auch für die Zentrale anwenden wollten, mit dem Ziel den Apparat völlig lahm zu legen und abzuschalten.

Die Bürgerkomitees strebten dazu eine Sicherheitspartnerschaft mit der Staatsanwaltschaft und Polizei an.

Film Martin Montag, damals Bürgerkomitee Suhl 

Die Übereinkunft von 14.30 Uhr, die Sicherheitspartnerschaft zwischen Bürgern und Staat auf Kosten der Stasi war eine Teilkapitulation des Staates. Auch wenn Engelhardt die Befehlsgewalt über „seine Leute“ behielt, war die Außenbewachung in den Händen der Volkspolizei. Am Haupttor an der Ruschestraße hatten nun faktisch die Volkspolizei und Vertreter der Bürgerkomitees das Sagen, die dort waren, um angesichts der Demonstration zu deeskalieren. Offenkundig ging es der Regierungsseite darum, einen Konsens mit Bürgerkomitees zu erzielen, bevor die Demonstranten vor den Toren erschienen. Allerdings konnte das Ergebnis der Sitzung nicht mehr deutlich in die Öffentlichkeit kommuniziert werden. Handys gab es damals noch nicht. Der vereinbarte Lautsprecherwagen stand an anderer Stelle weitab. Ein Megaphon erwies sich als zu schwach, um die unruhige Menge zu informieren. Als die Demonstranten die Teilnehmer ab 16.30 einzutreffen begannen, wussten sie nichts von den Verabredungen hinter den Kulissen. War das eine Kommunikationspanne? Oder wollte jemand nur den Bürgerkomitees die Verantwortung zuschieben, falls die Sache aus dem Ruder laufen sollte? Beides ist denkbar, bewiesen ist es nicht.

Die Demo- Das Tor geht auf- „Die Besetzung“

10.000e versammelten sich am Nachmittag vor der MfS-Zentrale in Lichtenberg. Die Situation war eine andere als im Dezember 1989, wo die Stasi noch unter Waffen stand.

Film Christian Halbrock, damals Demonstrant

Die Motivation der Berliner Demonstranten war etwas anders als die der Vertreter aus den Bezirken.

Film Christian Halbrock, damals Demonstrant

Viel wird bis heute noch darüber spekuliert, wie das Haupttor in der Ruschestraße aufgegangen ist14 und wie es zu den Ereignissen, vor allem der Zerstörung von Glasscheiben, Mobiliar und (relativ bedeutungslosen) Akten, kommen konnte.15 Dabei ist die Frage, wie das Tor geöffnet wurde seit längerem weitgehend geklärt.16 Zwar wurden zunächst - wie angekündigt - Steine vor das Tor gemauert. Es kletterten aber auch immer mehr Menschen auf das Tor, andere drängten dagegen. Die beiden Bürgerkomiteemitglieder im Inneren des Geländes konnten die Menge nicht beruhigen. Im Getöse hielt man sie für Stasimitarbeiter. Weil die beiden Theologen Angst vor einer Massenpanik hatten, überredeten sie schließlich - entgegen ihrer eigenen Überzeugung - die Volkspolizei, einen Demonstranten gewähren zu lassen. Als dieser über das Tor gestiegen war, öffnete er es mit ihrer Billigung von innen.1 

Dies zeigen das  von den Bürgerkomitees später erstellte  Ablaufprotokoll und die Zeugenaussage eines Demoorganisatoren zum 15. Januar:

Dokument. AblaufprotokollBl.2, Büko 1501

Zeugenaussage des Demonstranten Harry Haufe vor der Kriminalpolizei. 2.2.1990, Bl 2, Bl. 3, 

Schon vor Ort machten am 15. Januar 1990 Gerüchte die Runde, Gerüchte, die bis heute nicht verstummt sind, auch wenn sie inzwischen teilweise wiederlegt sind.

Film Carlo Jordan, damals für die Grüne Partei (GP) und Wolfgang Templin, damals für die IfM am Runden Tisch

Die Legende, dass die Stasi selbst das Tor öffnete, muss heute als wiederlegt gelten. Die beiden Vertreter der Bürgerkomitees aus Suhl und Leipzig hatten damals zusammen mit der Volkspolizei schon seit ca 15 Uhr das Kommando am Außentor übertragen bekommen. Sie entschieden mit der Polizei, dem Druck der Demonstranten nachzugeben.

Der Pfarrer Martin Montag meint, es seien die Bürgerkomiteevertreter gewesen, die letztlich die Toröffnung herbeigeführt hätten. Sein Kollege Konrad Taut hat eine ein wenig andere Sicht.

Film Konrad Taut,. damals Bürgerkomitee Leipzig und Martin Montag, damals Bürgerkomitee Suhl und auf einer Veranstaltung am 15. Januar 200518, BStU 

Der letzte Stasi-Chef, an diesem Tag der Verantwortliche vor Ort, bestätigt, dass er nicht die Toröffnung angeordnet hat.

Film: Heinz Engelhardt, letzter Geheimdienstchef der DDR zur Toröffnung. 

Dass der an sich harmlose Versorgungstrakt der Stasi, das sogenannte Haus 18,  im Gegensatz zu den anderen Gebäuden im Dienstkomplex hell beleuchtet war, war vermutlich der Grund, warum die Demonstranten in dieser Richtung marschierten. Möglicherweise war dies auch eine „Inszenierung“19, die aufging. Die Demonstranten zogen mehrheitlich dorthin und erregten sich über die angeblich luxuriösen Versorgungsgüter. Brisantere Gebäude, wie das zentrale Archiv und die Spionagehauptverwaltung (HVA) blieben dagegen nach bisherigen Erkenntnissen unbehelligt.

Foto Demonstranten am 15. Januar 1990 vor dem Versorgungstrakt

Abbruch des Runden Tisches- Gemeinsame Deeskalationsversuche

Am Morgen hatte der Zentrale Runde Tisch nur unwillig über die bevorstehende Demonstration an der alten MfS-Zentrale diskutiert. Ein Beschluss war nicht gefasst worden. Der Vorschlag des Neuen Forum gemeinsam zur Demonstration zu gehen, hatte keinen Anklang gefunden.

Am Nachmittag zwangen die Ereignisse das Gremium um 17. 45 Uhr zum Abbruch der Tagung. Zuvor hatten die Mitglieder des ZRT erfahren, dass Demonstranten in das ehemalige Stasi-Gelände eingedrungen waren. Die Fernsehliveübertragung wurde für einen Sachstandsbericht unterbrochen. Laut Bericht eines der Moderatoren, konnten dort 100.000 Menschen „nicht mehr zurück gehalten werden. Es sind Tausende in das Amt eingedrungen, und es ist auf die Sicherheit der dort Beschäftigen in großer Gefahr.“20 Dieser Bericht war alarmistisch übertrieben. Er führte dazu, dass Opposionsvertreter eine Stellungnahme forderten, den Abbruch der Sitzung forderten. Auf Bitten der Volkspolizei begaben sich die Oppositionsvertreter in schon bereit gestellten Bussen vor Ort, um sich deeskalierend als Gesprächspartner anzubieten. Zuvor ließen sie die Fernsehübertragung wieder live schalten, so dass Konrad Weiß eine Erklärung vortragen konnte. Er äußerte seine „Besorgnis“ und appellierte gleich dreimal. „Bitte keine Gewalt“21.

Am Stasi-Gelände angekommen,22 versuchten mehrere Oppositionelle vom Rednerpodest aus, beruhigend auf die Menge einzuwirken. 

 

Angesichts der brisanten Meldungen von derm Demonstrantendurchbruch auf dem ehemaligen Stasi-Gelände war auch der Regierungschef, Hans Modrow (SED) war nun von Amtsgeschäften herbeigeeilt. Sein Kommen war zunächst von Protesten begleitet.

Film Hans Modrow, damals Regierungschef (SED/ PDS) 

Allerdings konnte der Regierungschef, nachdem er  von Oppostionellen dazu aufgefordert wurde, zu den Demonstranten sprechen. Ihm gelang es dabei, dann doch zu punkten.

Film Hans Modrow, damals Regierungschef (SED/ PDS) 

 

Foto Hans Modrow am Abend des 15. Januar 1990 am Rednerpult vor der ehemaligen Stasizentrale 

Begehung der Spionageabwehr (in Haus 2)

Bis heute wird behauptet, westliche Geheimdienste hätten die Situation genutzt oder sogar selber Chaos gestiftet, um heimlich in die Spionageabwehr eindringen und Unterlagen beiseite schaffen zu können. Angeblich ging es um MfS-Erkenntnisse über KGB-Mitarbeiter und enttarnte Westspione bzw. Doppelagenten in der DDR. Angeblich sollten derartige Unterlagen mit Hilfe eines leitenden Mitarbeiters der HA II, der zum Westen übergelaufen war, entwendet worden sein.23 Ein ehemaliger Mitarbeiter der Regierung Modrow nennt auch namentlich einen Verbindungsmann aus dem Westen.24

Allerdings wird diese Agentengeschichte durch Zeitzeugen relativiert, die berichten, dass das Gebäude der Spionageabwehr, das Haus 2, jedem Eindringling offenstand und von vielen Demonstranten besucht wurde. Noch in der Nacht wurden die Räume und Akten von der Militärstaatsanwaltschaft im Beisein eines Bürgervertreters versiegelt.

Film Horst Prillwitz, damals Demonstrant 

Film Hans Modrow, damals Regierungschef (SED/PDS) der DDR

Nächtliches Treffen beim Geheimdienstchef (im Haus I)

Selbst im im sogenannten Haus 1, dem Chefsitz des ehemaligen MfS, wo zuvor Erich Mielke jahrzehntelang residiert hatte, irrren Besuche umher.

Film Carlo Jordan, Wolfgang Templin, damals beide Mitglieder am Runden Tisch

Zu einer im Nachhinein skurril wirkenden Begegnung kam es Nachts. Demonstranten gelangten über das Haus 2 in das Haus 1 und trafen dort zu ihrem Erstaunen in der Chefetage auf Heinz Engelhardt, den amtierenden Leiter des MfS/AfNS.

Film Carlo Jordan, Wolfgang Templin, damals beide Mitglieder am Runden Tisch

Die zwei Mitglieder des Zentralen Runden Tisches sind Alt-Oppositionelle mit bösen Stasi-Erfahrungen: Reiseverboten, Festnahmen, Berufsverbot, in einem Fall faktische Ausweisung aus der DDR. Dennoch wirkt die Szene, von Spiegel-TV für die Ewigkeit festgehalten, erstaunlich friedfertig:

Film Carlo Jordan, Wolfgang Templin, damals beide Mitglieder am Runden Tisch. 

Film Heinz Engelhardt, damals letzter Geheimdienstchef. 

Film Der Stasi-Staat. Spiegel TV. 21.1.1990.

Vandalismus und die publizistische Folgen

Während der Inbesitznahme des Geländes durch Demonstranten gingen auch vereinzelt Scheiben zu Bruch, Papiere wurden durchwühlt und durch die Luft gewirbelt, einzelne "Souvenirs" entwendet. Allerdings berichteten schon damals mehrere Demonstranten, Glasbruch und Sprühparolen seien bereits bei ihrem Eintreffen zu sehen gewesen.25

Ob diese Sachbeschädigungen inszeniert waren, ist bis heute nicht geklärt. Im Verhältnis zum chaotischen Gesamtablauf des Abends, bei dem sich immerhin der einst bis an die Zähne bewaffnete und gefürchtete Geheimpolizeiapparat und die aufgebrachte Berliner Bevölkerung gegenüber standen, sind die Schäden vergleichsweise harmlos.

Die Empörung in den Folgetagen über Erscheinungen von Vandalismus wirkten denn auch etwas bemüht und durchsichtig. Schon während der Ereingnisse selbst hatte das DDR-Fernsehen das laufende Programm unrerbrochen und vor einer Eskalation gewarnt. Das ehemalige SED-Zentralorgan NEUES DEUTSCHLAND machte am Folgetag mit diesen Geschehnissen auf. „Erst gestürmt, dann verwüstet- Aufrufe zur Besonnenheit gingen lange unter/ Hans Modrow appellierte an Vernunft.“26 Gleich vier Artikel auf der Titelseite prangerten die Verwüstungen an und warben für die Regierung Modrow. Mit einem Bericht, einer Stellungnahme der Regierung zur „unverantwortlichen Besetzung“, einem Kommentar und einem Bericht über die gute Zusammenarbeit der Regierung mit den neuen Gruppen am Runden Tisch versuchte das NEUE DEUTSCHLAND die Vorgänge in seinem Sinne einzuordnen.

Auch in der Folgesitzung des Runden Tisches stand das Neue Forum, das die Demonstration organisiert hatte, unter Rechtfertigungsdruck. Die Demokratische Bauernpartei, die nach wie vor eng mit der SED/PSD zusammenarbeitete, zeigte sich besorgt über den friedlichen Fortgang der Revolution.27 Die Opposition musste sich pflichtgemäß entschuldigen.

 

Anmerkungen

1 Interessant ist der Vergleich zwischen dem Plan der Bürgerkomitees im Protokoll vom 14. Januar und einen später erstellten Ablaufprotokoll, Bl.2 

2 Wolfgang Loukides. Interview mit dem Autor. 17.5.2018.

3Engelhardt, Heinz:

4 Protokoll des überregionalen Treffens der Bürgerkomitees vom 14. Januar 1990 Link

5Film link. Sturm auf die Stasi. NDR 2010. https://www.youtube.com/watch?v=ohd0BpOOR8U6;

6 Diese Darstellung Bachmanns hat für viel Verwirrung und sogar für einen Prozess gesorgt. Die von ihm genannte Person, David Gill, kann es nicht gewesen sein. Er stieß erst in den Tagen danach zu den Bürgervertretern auf dem Stasigelände und wurde erst am 17. Januar zum Koordinator des Bürgerkomitees Normannenstraße. In Frage kommen als Engelhardt-Berater aber andere, die auf dem Gelände waren, wie Vertreter des Kontrollausschusses der Berliner Bezirksverwaltung, deren zivilgesellschaftliche Vertreter manchmal auch „Bürgerkomitee Berlin“ genannt wurden. Ihr Sprecher war Michael Kummer (Demokratie Jetzt, DJ ). Infrage kommen auch die Mitglieder anderer Bezirksbürgerkomitees. Kratz, Karl-Heinz; Gräfe, Hans-Jürgen (Hg.): Mittendrin. Die Berliner Volkspolizei 1989/90. Berlin 2014

7 S.Beitrag von Ilona Rau zum Bürgerkomitee Dresden.

8  Heinz Engelhardt, Interview mit dem Autor. 12. 11.2019

Bürgerkomitee Dresden.Vorlage.14.1.1990.

Archiv: BK1501_BK0) . Auch Lagebericht BArch, DC 20/

10 Der Vertreter des Dresdener Bürgerkomitee ist in 2019 verstorben. Das verabredete Interview kam nicht mehr zustande. In einem Vorab-Telefonat mit dem Autor erzählte er 2019, dass Engelhardt ihn angerufen habe, um ihn nach Berlin zurückzuholen.

11 Michael Kummer. Interview mit dem Autor. 2018

12 Protokoll über eine Beratung im ehemaligen Amt für Nationale Sicherheit am 15.1.1990 um 14.40 Uhr. Archiv des Bürgerkomitee 15. Januar.

13 Protokoll über eine Beratung im ehemaligen Amt für Nationale Sicherheit am 15.1.1990 um 14.40 Uhr. Archiv des Bürgerkomitee 15. Januar.

14 Kowalczuk, Ilko-Sascha. Endspiel: die Revolution von 1989 in der DDR. München 2011.

15 8. Sitzung des Runden Tisches vom 18. Januar 1990. Protokoll der 7. Sitzung des Runden Tisches am 15.Januar 1990. In: Thaysen, Uwe: Der Runde Tisch. Oder: Wo blieb das Volk? Opladen, Westdeutscher Verlag, 1990, Bd. II, S. 412f

16Hinweise schon bei Süß, Walter. Staatssicherheit am Ende. Berlin 1999

17 Martin Montag, E-Mail an den Autor in 2015; Süß, Walter: Staatssicherheit am Ende. Warum es den Mächtigen nicht gelang, 1989 eine Revolution zu verhindern. Berlin 1999

18Transskript der Veranstaltung „Ende einer Dienstzeit“ des BStU am 15.1.2005 In: Link in Arbeit

19 Worst, Anne: Das Ende eines Geheimdienstes, Berlin 1991 , S. 39

20 Protokoll der 7. Sitzung des Runden Tisches am 15.Januar 1990. In: Thaysen, Uwe [Hg.]: Der Zentrale Runde Tisch der DDR: Wortprotokoll und Dokumente. Wiesbaden 2000. Bd. II. S. 408f

21 Ebd. S. 409

22 Bekannt sind Ibrahim Böhme (SDP), Konrad Weiss (DJ), Ulrike Poppe (DJ), Carlo Jordan (GP), Wolfgang Templin (IfM), auch Bärbel Bohley (NF) war vor Ort, wurde aber nach Zeitzeugenaussagen von einem Teil der Demonstranten ausgepfiffen. Interview Horst Prillwitz mit dem Autor 30.12.2019

23 Förster, Andreas: Neue Erkenntnisse zur Hinterbühne der Stasi-Auflösung 1990. In: Horch und Guck 6(1997)21, S. 28-37

24 Arnold, Karl-Heinz: Schild und Schwert: das Ende von Stasi und Nasi. Berlin 1995.

25  Worst, Anne: Das Ende eines Geheimdienstes, Berlin 1991 , S. 39ff

26 ND 16.1.1990 https://www.nd-archiv.de/ausgabe/1990-01-16

27 Protokoll der 8. Sitzung des Runden Tisches am 18.Januar 1990. In: Thaysen, Uwe: Der Runde Tisch. Oder: Wo blieb das Volk? Opladen, Westdeutscher Verlag, 1990, Bd. II, S. 412f