Besetzung der Dresdener Bezirksverwaltung und die Zeit danach- Recherchebericht

Autorin: Ilona Rau

Textgliederung:

Regionalhistorischer Hintergrund

Die Besetzung

Die Auflösungskommission

Weitere Aktivitäten nach der Auflösung

 

Text:

Besetzung der Dresdener Bezirksverwaltung und die Zeit danach – ein Recherchebericht

Autorin: Ilona Rau

Regionalhistorischer Hintergrund

Die entscheidenden Tage, die die Demonstrationen in Dresden auslösen sind der 3.-8. Oktober mit den Ereignissen rund um den Hauptbahnhof. Die Führung der DDR hatte sich entschieden, Tausende Menschen, die in die Prager Botschaft geflüchtet waren, über das Gebiet der DDR in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen. Entlang der Zugstrecke Prag - Bad Schandau - Dresden - Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) – Reichenbach Plauen - Hof warten noch Tausende auf eine Chance, entweder in die Prager Botschaft zu gelangen oder noch in einen der Züge einsteigen zu können, um direkt in die Bundesrepublik zu gelangen. Die Regierung der DDR versucht mit Transportpolizei, Polizei und MfS entlang der Strecke und in den Bahnhöfen die Menschen davon abzuhalten und zur Rückkehr in Ihre Heimatorte zu bewegen. Doch vergebens. Der Wille, die DDR endgültig zu verlassen, ist bei diesen Menschen so stark, dass sie selbst die Konfrontation mit der Polizei nicht mehr scheuen. Auf dem Dresdner Hauptbahnhof kommt zu den ersten tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Ausreisewilligen und der Polizei, als die Polizei versucht, das Bahnhofsgebäude zu räumen. Den ganzen Tag über herrscht die Gewalt auch vor dem Hauptbahnhof. Dresdner solidarisieren sich mit den Ausreisewilligen. Es kommt zu Verhaftungen und Verletzten. Nur langsam gelingt es der Polizei und der inzwischen ebenfalls eingesetzten Armee, den Bahnhof zu räumen. Inzwischen verlagern sich Ansammlungen und kleine Demonstrationen auf die Dresdener Innenstadt, die Prager Straße und Plätze wie den Altmarkt, den Theater- oder den Fetscherplatz. Ab dem 7. Oktober tauchen bei ersten Demonstrationen dann Plakate mit Sprüchen auf, wie: „Wie bleiben hier, Reformen wollen wir!“ „Schließt Euch an, wir brauchen jeden Mann.“ „Gorbi, Gorbi“ und „Wir fordern Neues Forum“. Am Abend des 8. Oktober wird eine folgenreiche Entscheidung gefällt. Auf der Prager Straße sind Demonstranten von Polizei und Armee eingekesselt. Durch Vermittlungen von Kirchenvertretern, den Kaplanen Frank Richter und Andreas Leuschner, gelingt es, den Oberleutnant einer Anti-Terror-Einheit der Deutschen Volkspolizei1 zu überreden, sich um einen kompetenten Gesprächsteilnehmer von der staatlicher Seite zu bemühen.2 Schließlich werden zwanzig Freiwillige benannt, die am Montag, den 9. Oktober um 9.00 Uhr erste Gespräche mit dem Oberbürgermeister Berghofer führen sollen. Diese „Gruppe der 20“ ist spontan entstanden, doch in den folgenden Wochen sollte sie sich regelmäßig in die Politik der Stadt einmischen. Die beiden Kaplane geben die Führungsrolle aus kirchenpolitischen Gründen schon am Montagabend an Herbert Wagner ab, der später zum Oberbürgermeister von Dresden gewählt werden sollte. Es werden Arbeitsgruppen gebildet, in die auch Bürger mit Fachkenntnissen integriert werden. Sie befassen sich mit wichtigen Themen der Stadtentwicklung.

Zunächst formulieren sie gemeinsam allgemeinpolitische Forderungen, die bereits am Montag vorliegen: Reisefreiheit, Pressefreiheit, Einführung eines Zivildienstes, Legalisierung des Neuen Forums, offener und gewaltfreier Dialog in der Gesellschaft, Wahlfreiheit, Recht auf friedliche Demonstrationen und Freilassung der politischen Gefangenen, besonders jener, die in den vergangenen Tagen in Dresden inhaftiert worden sind.3

Am Abend des 9. Oktober 1989 berichten Mitglieder der „Gruppe der 20“ in jeweils zwei Veranstaltungen in der überfüllten Kreuzkirche und weiteren drei Kirchen von den ersten Gesprächen mit dem Oberbürgermeister. Ca. 20 000 Dresdner hören an diesem Abend gespannt zu. Der Weg zum Dialog für durchgreifende Veränderungen ohne Gewalt hat begonnen.

 

In den folgenden Wochen breiten sich die Demonstrationen auf viele Städte des Bezirkes aus. Sie greifen die schon genannten Forderungen auf und verstärken so den Druck auf die Machthabenden. Fast täglich finden inzwischen Demonstrationen statt. In Dresden gehen sie immer vom Stadtzentrum aus, vorbei an der Katholischen Hofkirche über die Elbe und über eine der nächsten Brücken zur sogenannten „Cockerwiese“4. Hier enden die Demonstrationen mit einer Kundgebung, auf der jeder das Wort ergreifen kann, der will.

Und es wollen viele. Sowohl Vertreter des alten Machtapparates als auch Menschen, die sich ihre Enttäuschung von der Seele reden wollen und Ideen für die Zukunft haben. Am 27. Oktober nehmen ca. 100 000 Personen an einer solchen Kundgebung teil.5

Die „Gruppe der 20“ verschafft sich inzwischen eine Legitimation durch die „Eine-Mark-Aktion“. Bürger können der „Gruppe der 20“ ihr Vertrauen „schenken“, in dem sie eine Mark auf ein Konto überweisen. Über hunderttausend Menschen stellen sich auf dieses Weise hinter die Gruppe. Die SED-Führung hatte ihr bisher immer wieder die Legitimation, für die Bevölkerung zu reden, abgesprochen.

Anfang November verkündet der Ministerrat der DDR, dass der Bau des umstrittenen Reinstsiliziumwerkes in Dresden-Gittersee gestoppt wird. Für die Protestbewegung in Dresden ist das ein wichtiger Erfolg. Seit Monaten bemühen sich deren Protagonisten, den Bau zu verhindern, da sie den dafür notwendigen Transport der hochentzündlichen Chemikalie Trichlorsilan vom Chemiewerk Nünchritz bei Riesa nach Dresden -Gittersee als sehr gefährlich einschätzen.

Die Vertreter der Reformbewegungen in Leipzig und Dresden entscheiden sich Anfang November, ihre Demonstrationen künftig anzumelden und jeweils am Montag durchzuführen. Die erste genehmigte „Montagsdemo“ findet in Dresden am 6. November statt. Eine zusätzliche große Demonstration mit anschließender Kundgebung auf dem Theaterplatz findet am Samstag, den 19. November statt. Aufgerufen haben die Kunst- und Kulturschaffenden des Bezirkes Dresden. Immer wieder keimen Versuche auf, den montäglichen Demonstrationszug zur Bezirksverwaltung der Staatssicherheit umzuleiten. Doch die Organisatoren verhindern dies, weil sie befürchten, das MfS könne durch Provokateure herausgefordert werden, Waffen einzusetzen.

In anderen Städten des Bezirkes demonstrieren die Einwohner nun auch regelmäßig, die Protestbewegung breitet sich flächendeckend aus. Die Öffnung der Grenzen am 9. November ändert daran nichts. Die Zahl der Teilnehmer nimmt zwar etwas ab, dafür wird der Ruf nach der Deutschen Einheit immer lauter. Auch die Wiederherstellung der Länder wie vor 1952 wird zum Thema. Solche Demonstrationen finden bis in den Februar 1990 statt.

Die Besetzung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden, Bautzner Straße

Am 5. Dezember kommt es dann auch in Dresden zu der von vielen Demonstranten lang erwarteten Besetzung der ehemaligen Bezirksverwaltung des MfS an der Bautzner Straße. Inzwischen ist es in Bezirksamt für Nationale Sicherheit umbenannt worden.

Zuvor hatten Vertreter des Neuen Forums aus anderen Bezirken berichtet, dass durch die Staatssicherheit in großem Umfang Schriftgut vernichtet würde und deshalb die Bezirksämter in Erfurt, Gera, Rostock und Leipzig bereits besetzt worden seien.

In Dresden wird daraufhin gegen das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) eine Anzeige wegen des Verstoßes gegen den damaligen Sabotageparagraphen gestellt. Fünf Personen, darunter zwei vom Neuen Forum und zwei vom Demokratischen Aufbruch, zeigen das AfNS am Morgen des 5. Dezembers bei der Bezirksverwaltung der Volkspolizei (BDVP) an. Zudem ist geplant, gegen 17.00 Uhr zusammen mit dem Bezirksstaatsanwalt und einem Militärstaatsanwalt das Gelände des Bezirksamtes zu betreten und die Ermittlungen zunächst durch Versiegelung der Diensträume zu beginnen.

Über den Rundfunk-Sender Dresden wird die Bevölkerung der Stadt von Arnold Vaatz, zu der Zeit Vertreter des Neuen Forum zu einer Demonstration vor dem Eingang des Bezirksamtes des AfNS aufgerufen.6 Dieser Aufruf verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Stadt, so dass sich die Initiatoren entscheiden, bereits am frühen Nachmittag mit ihrer Aktion zu beginnen. Als sie am Bezirksamt ankommen, warten bereits Hunderte Menschen vor dem Tor. An die Sandsteinmauer, die das Gelände der Staatssicherheit zur Straße hin abschirmt, schreiben Studenten der Kunsthochschule, mit Farbeimern in der Hand Parolen, die ihnen teilweise von anderen zugerufen werden.

Die Bürgervertretung wird in das Gelände des Bezirksamtes eingelassen. Nach anfänglichen Diskussionen mit dem dortigen Leiter, Generalmajor Horst Böhm, beginnen die Bürgervertretung und der Bezirksstaatsanwalt damit die Büros zu versiegeln. Hauptamtliche Mitarbeiter stehen daneben, beobachten oder erteilen zunächst bereitwillig Auskünfte.

Gegen 16.30 trifft Superintendent Christof Ziemer vor dem Eingang der BV ein. Er wird ohne Weiteres durch eine Seitentür eingelassen. Nach seiner Aussage drückt sofort darauf ein AfNS- Mitarbeiter auf den Knopf neben der Tür. Damit öffnet sich das große Tor und die Massen können auf das Gelände strömen. Als die hauptamtlichen Mitarbeiter in den Räumen dies bemerken, kippt die Stimmung. Sie werden aggressiver und unfreundlicher. Offenbar gewinnt bei ihnen die Angst vor einer Eskalation Oberhand. Arnold Vaatz von der Bürgervertretung unterbricht sofort die Versiegelungsaktion und begibt sich auf den Hof des BAfNS. Ihm wird ein Megafon gereicht. Mit den Worten „Jeder, der hier zur Gewalt greift, ist ein Stasi-Mann“ kann die Menge beruhigt werden, denn keiner möchte zu „denen“ gehören.

Das Versiegeln geht weiter. Die Menschenmenge besetzt nach und nach alle zentralen Gebäude. Kein Zugang kann jedoch zum Archiv erzwungen werden. Ebenso wird die Kaderabteilung nach einem heftigen Disput mit dem stellvertretenden Abteilungsleiter, Oberstleutnant Roland Sparmann, aus der Versieglung herausgenommen. Er wollte verhindern, dass die Bürgervertreter an die Personalakten der Stasi-Mitarbeiter herankommen.7 Das Gebäude der Telefonüberwachung (Abteilung 26) wird ebenso durchsucht wie das Hauptgebäude mit dem großen Kinosaal. Dort will der Leiter des Bezirksamtes, Generalmajor Horst Böhm, zu den Menschen sprechen. Aber die aufgebrachte Menge will ihn nicht hören, so dass er nur unter dem Schutz von Superintendent Christof Ziemer und den Vertretern des NF aus dem Saal gebracht werden kann. Gegen 22.00 Uhr werden dann einige Ausgewählte in die Untersuchungshaftanstalt eingelassen. Alle Untersuchungshäftlinge sind, wie sich später herausstellt, bereits am 23. November entlassen worden. Nur in den Zellen im Keller des Hauptgebäudes sitzen Vollzugshäftlinge aus den Haftanstalten Bautzen und Görlitz, die in der Bezirksverwaltung u.a. in der Wäscherei gearbeitet hatten. In ihren Zellen ist die Farbe auffällig frisch, offenbar gerade überstrichen, sie ist noch nicht einmal ganz trocken. Staatsanwalt Lindner veranlasst schließlich nach 22.00 Uhr, dass die Räume vollständig geräumt und versiegelt werden. Um 6.00 Uhr morgens ist zunächst alles erledigt.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Bezirksverwaltung, in der Angelikastraße, hat der sowjetische Geheimdienst KGB seinen Sitz in einer Villa. Der Versuch einiger Bürger, dieses Gebäude ebenfalls zu betreten, wird durch Sowjetsoldaten, bewaffnet mit der Kalaschnikow, energisch unterbunden. Die sich bis heute haltende Behauptung, Wladimir Putin sei dabei gewesen, kann von niemanden wirklich bestätigt werden. Ein Mitglied des Neuen Forums sieht stattdessen einen sowjetischen Offizier die ganze Zeit auf dem Hof der Bezirksverwaltung stehen, der die Besetzung beobachtet, aber keinerlei Reaktion zeigt.

Noch in der Nacht ruft der Stellvertreter von Generalmajor Böhm, Oberst Winfried Linke, alle Abteilungsleiter zusammen. Da keiner die entscheidende Weisung geben will, besteht ein Machtvakuum, das Superintendent Christof Ziemer erkennt. Er schickt die Stasi-Mitarbeiter kurzerhand nach Hause, mit der Maßgabe, sich in den folgenden Tagen zur Verfügung zu halten. Widerstandslos folgen die Abteilungsleiter der Aufforderung.

Anschließend prüft Superintendent Ziemer gemeinsam mit einem Vertreter des Neuen Forums, ob die Waffen im Keller sicher verschlossen sind. Schließlich fährt er zur Bezirksverwaltung der Deutschen Volkspolizei (BDVP) und fordert sie auf, durch Präsenz auf dem Gelände der Bezirksverwaltung etwaige Eskalationen zu verhindern. Ohne Widerspruch verspricht der Diensthabende Offizier, dem nachzukommen.8

So kommt es dann in den folgenden Tagen zu der sogenannten Sicherheitspartnerschaft zwischen der Polizei und den Bürgern, die sich zur Wache bereit erklären.

Im Bericht der gemeinsamen Kommission aus Bürgervertretern und Beauftragten der DDR im AfNS heißt es später zum Hergang der Besetzung: „Am 5.12.1989 wurde von Bürgern im Rahmen eines Gespräches mit der BDVP Anzeige gegen das damalige Amt für Nationale Sicherheit erstattet. Gegen 13.00 Uhr begann der Bezirksstaatsanwalt im Beisein von Bürgervertretern mit der Sicherung und Versieglung vorhandenen Materials. Gegen 17.00 Uhr wurde das Bezirksamt für Nationale Sicherheit von ca. 5000 Bürgern besetzt. Ab 22.00 Uhr wurden Kräfte der DVP [Deutsche Volkspolizei] herangeführt, die in Sicherheitspartnerschaft mit den Bürgern die weitere Sicherung des Objektes übernahmen. Alle Mitarbeiter des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit verließen bis 6.12.1989, 6.00 Uhr, unter Aufsicht der Bürgervertreter das Objekt. Seit diesem Zeitpunkt steht das Objekt unter Kontrolle der DVP in Zusammenarbeit mit den Bürgervertretern.“9

Am 6.12.1989 findet um 10.00 Uhr ein Gespräch zwischen Bezirksstaatsanwalt, Bürgervertretern (auch Bürgerinitiative, BI genannt), Militärstaatsanwalt, Kriminalpolizei und BDVP statt. Im Ergebnis übernimmt die Bürgerinitiative gemeinsam mit der Polizei die Objektsicherung. Es wird für 15.30 Uhr eine Besichtigung des gesamten Stasi-Komplexe, im Beisein der Presse, vereinbart. Es kommt allerdings nur zur Besichtigung der Untersuchungshaftanstalt, da für andere Gebäude keine Schlüssel vorhanden sind. Gegen 17.00 Uhr trifft die vom Ministerpräsidenten Modrow eingesetzte Regierungskommission aus Berlin ein. Eine erste Beratung zwischen Bürgervertretern und der Regierungskommission findet statt.

Die Auflösungskommission

Der Regierungskommission gehören als Leiter Dieter Stein aus dem Wirtschaftsministerium, Oberst Dieter Schlegel vom Innenministerium und Oberst Dr. Horst Hillenhagen vom ehemaligen MfS in Berlin an, wo er als Stellvertreter der Abwehrhauptabteilung II tätig war.10

Zur Bürgervertretung gehören fünf Vertreter der „Gruppe der 20“, bzw. des Neuen Forums wie Jörg Naumann und Arnold Vaatz, sowie fünf Vertreter der Kirche, u.a. Superintendent Christof Ziemer.

Nach einer kontroversen Diskussion werden folgende 7 Punkte als Grundlage für die weitere gemeinsame Arbeit festgelegt und am 7.12. vom Vorsitzenden des Ministerrates bestätigt:

  1. Offenlegung und eindeutige Information über die territoriale Struktur, Aufgabenstellung, Funktionsbereiche, Verantwortlichkeit und den Umfang der Tätigkeit des ehemaligen MfS auf Bezirks- und Kreisebene

  2. Offenlegung und Einsichtnahme in alle Unterlagen, um Entscheidungen treffen zu können, was begründet geheim gehalten werden muss

  3. Offenlegung aller gegen Bürger und Gruppen gerichteten Arbeit und deren Aufarbeitung

  4. Gewährleistung des Zugangs zu allen Einrichtungen, Gebäuden und Räume

  5. Entbindung der Mitarbeiter des Bezirksamtes von der Schweigepflicht zur Ermöglichung notwendiger Auskünfte

  6. Ermöglichung von Kontrollen arbeitender Bereiche durch Bürgervertreter

  7. Prüfung der Verletzung geltender Rechts- und internationaler Rechtsnormen

Das Ziel der Untersuchung soll dabei die Neubestimmung des Begriffes der nationalen Sicherheit und Neuordnung der Aufgaben sein.11

Auch am Runden Tisch des Bezirkes Dresden ist die Auflösung der Staatssicherheit eines der zentralen Themen. Er tritt nach einer Auftaktveranstaltung eine Woche zuvor erstmals am 8.12. . zusammen. Einem Aufruf des Runden Tisches folgen 37 Personen, die sich am 13.12.1989 erstmals auf dem Stasi-Gelände im Konferenzzimmer des ehemaligen Leiters versammeln. Sie wollen sich an der Auflösung des MfS/AfNS beteiligen. Sieben sind Mitglieder von Blockparteien, acht Vertreter der Kirchen, 16 gehören der Opposition an, die übrigen sind BürgerInnen, die sich mehr oder weniger spontan entschieden haben, sich hier zu engagieren. Die Leitung der Zusammenkunft übernimmt ein Vertreter des Neuen Forum.

Die Kommission gibt sich eine feste Struktur. Neben dem sogenannten Stab mit je einem Mitglied der Arbeitsgruppen, Vertretern der Regierung und vier Vertretern der bisherigen Kommission werden sechs, später sieben Arbeitsgruppen (AGs) gebildet. Sie beschäftigten sich schwerpunktmäßig mit den Gebäuden, kümmern sich um die Kontrolle des Geländes und die Entlassung der hauptamtlichen MitarbeiterInnen. Die AG 2 klärt mit Unterstützung von Mitarbeitern des Staatsarchivs, welche Akten aufbewahrt werden müssen bzw. mittelfristig oder sofort vernichtet werden können. Sie prüft auch, welche Möglichkeiten bestehen, Bürgeranfragen zu den betreffenden Akten zu beantworten. Ähnlich soll die AG 4 die Frage beantworten, welche EDV-Träger archiviert oder gelöscht werden können und ob es sinnvoll ist, Daten von einem künftigen Nachrichtendienst bzw. Verfassungsschutz übernehmen zu lassen. Unabhängig von diesen AG existiert noch die AG 3 - Quellenschutz. Entsprechend der Entscheidung des Dresdener Runden Tisches werden vier zuverlässige Bürger in diese AG gewählt. Sie sollen über die Fragen des Quellenschutzes und der Aufbewahrungsfristen von Akten republikweit eine Klärung herbeiführen.12 Dabei dürfen sie stichprobenartige Kontrollen in den Akten vornehmen. Die AG Recht prüft und begleitet Anzeigen von Bürgern.

Die Arbeitsgruppen fangen sofort an zu arbeiten. Man gönnt sich nur kurze Unterbrechungen über Weihnachten. Schwierigkeiten gibt es bei der Objektsicherung. Gerade über die Feiertage ist es schwierig, BürgerInnen zu finden, die sich an der jeweils vierstündigen Wache beteiligen. Anfang Januar wird deshalb nochmals ein Presseaufruf an die Dresdner gestartet, sich auch weiterhin zu beteiligen. Besonders die Kontrolle der herausfahrenden LKW kann von den wenigen Mitgliedern der AG 6 nicht ausreichend gesichert werden. Die Akten der Auslandsaufklärung werden durch den ehemaligen Leiter der Abteilung X, Oberst Herbert Köhler, unter Androhung von Waffeneinsatz erzwungen. Sie werden zu Baracken im nahegelegenen Jägerpark gefahren. Wohin sie von da gebracht werden, ist für die Außenstehenden bis heute nicht nachvollziehbar.13

Als es am 15. Januar 1990 endlich in Berlin zur Besetzung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit kommt, sind einige Mitglieder der Bürgerinitiative (BI) schon im Vorfeld an den vorbereitenden Koordinierungstreffens der Bürgerkomitees beteiligt.

Link in Arbeit

Am 31. März sind alle hauptamtlichen Mitarbeiter bis auf zehn entlassen. Diese Zehn verbleiben vorerst im Arbeitsstab, der auf dem Gelände der BV Aufräumungsarbeiten verrichtet. Die von Modrow entsandten Regierungskommissionsmitglieder beenden ebenfalls am 31. März ihre Tätigkeit. Der Bezirksstab arbeitet allerdings unter der Leitung des Vertreters des Rates des Bezirks und Sonja Rottig von der BI weiter.

Weitere Aktivitäten nach der Auflösung

Am 2. April kommt es noch einmal zu einer großen Demonstration vor den Toren der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit. Das Neue Forum hatte aufgerufen, die Überprüfung des neu gewählten Parlamentes auf Mitarbeit im ehemaligen MfS zu fordern.

Ca. 10.000 Dresdner kommen dem Aufruf nach. Als die Forderung DDR-weit durchgesetzt werden kann, gehen in den folgenden Monaten auch in Dresden Überprüfungsanforderungen der Volkskammer zu den neu gewählten Parlamentariern ein. Der Zugang zum Archiv ist inzwischen für die BI geregelt. Im Zusammenhang mit den ersten Hinweisen auf Belastungen von Abgeordneten kommt es zu Kontakten mit Journalisten des „Spiegel“.

In dieser Zeit findet auch eine von der BI organisierte Gesprächsrunde im Fernsehen zum Thema „Die moralische Schuld der inoffiziellen Mitarbeiter“ u.a. mit Superintendent Christof Ziemer statt. Die Sendung produziert ein Filmteam aus Hamburg, das seinen Sitz in einer der Villen auf dem Gelände der ehemaligen Bezirksverwaltung hat. Dieses Filmteam ist der BI auch sehr behilflich, wenn es um so praktische Dinge wie Kopieren oder Faxen geht. Inzwischen wird den Bürgerinitiativen und Bürgerkomitees aller Bezirke klar, dass an eine wie auch immer geartete Aktenvernichtung nicht zu denken ist. Noch ist zu wenig über die Arbeitsweise und damit auch über die Inhalte der Akten des MfS/AfNS bekannt.

Bei den gemeinsamen Diskussionen der Bürgerkomitees aller Bezirke wird allen Beteiligten klar, dass rechtliche Grundlagen für den Umgang mit den Stasiunterlagen geschaffen werden müssen. Dieses findet dann auch die Zustimmung der Volkskammer, so dass dann am 24.August 1990 ein Gesetz über die Stasi-Unterlagen verabschiedet wird. Dieses ist unter maßgeblicher Mitwirkung der Bürgerkomitees entstanden. Da es aber nicht in den Einigungsvertrag übernommen werden soll, führt dies nochmals zu Kundgebungen in Dresden. Im September gehen die Dresdener nach einem Aufruf der autonomen Gruppe „Wolfspelz“ und des Neuen Forums auf die Straße. Sie protestieren dagegen, dass die Akten nach der Deutschen Einheit an das Bundesarchiv Koblenz übergeben werden sollen. Die Akten sollen ihrer Meinung nach vielmehr vor Ort bleiben. Am Waldschlösschenareal an der Bautzner Str. unterhalb des Bezirksamtes kommen nochmal einmal tausende Dresdner zusammen. Auch die Gruppe „Wolfspelz“, fordert in Zelten vor dem Tor des BA mit einem längeren Hungerstreik, dass die Akten am Ort bleiben. Diese Aktionen finden parallel zu anderen in der DDR statt, wie dem Hungerstreik von Berliner Bürgerrechtlern und Stasiauflösern in Berlin. Die Proteste in der DDR führen schließlich zu einem Kompromiss im Einigungsvertrag. Dieser führt ab dem 3.10.1990 zur Bildung der Behörde des Sonderbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. In dessen Dresdener Außenstelle beginnen fünf Mitglieder der BI ihre Arbeit in der neu geschaffenen Behörde.14

Anmerkungen:

1 Frank Pappermann

2 Herbert Wagner: 20 gegen die SED. Der Dresdener Weg in die Freiheit, Stuttgart Leipzig 2000, S.15

3 Michael Richter/Erich Sobeslavsky: Entscheidungstage in Sachsen, Behörde des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Dresden 1999, S.58.

4 Hier fand 1988 ein Konzert mit Joe Cocker statt.

5 Richter/Sobeslavsky, S.93

6 Wagner, S.103

7 Arnold Vaatz im Interview mit Ilona Rau vom 3.5.1996, S.12

8 Interview Ilona Rau mit Christoph Ziemer o.D.

9 Bericht der gemeinsamen Kommission aus Bürgervertretern und Beauftragten der Regierung der DDR im ehemaligen Amt für Nationale Sicherheit des Bezirkes Dresden v. 03.01.1990 an den Runden Tisch des Bezirkes Dresden.

10 Dieter Stein war Mitarbeiter im Bauministerium und wie sich später herausstellte, Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des MfS, Dieter Schlegel kam vom Ministerium des Innern, Dr. Horst Hillenhagen kam vom MfS Berlin von der Hauptverwaltung Spionageabwehr (HA II)

11 1. Bericht der gemeinsamen Kommission aus Bürgervertretern und Beauftragten der Regierungskommission der DDR im ehemaligen Amt für Nationale Sicherheit des Bezirkes Dresden vom 3.1.1990

12 Als Mitglieder der Gruppe Quellenschutz wurden zwei Vertreter der ev. Kirche und zwei vertrauenswürdige Vertreter aus der Kultur benannt.

13 Aussage Gerhard Klinkert, Mitglied der BI.