Fuchs, du hast die Gans gestohlen...

Erfahrungsbericht von Pfarrer Matthias Gürtler.1 

Einleitung

Die Bürger der Oderstadt Frankfurt hatten sich im Dezember energisch gegen die Stasi gewendet. Doch die Personaldecke der aktiven Bürgerrechtler war dünn. Nur einzelne kümmerten sich kontinuierlich um die Stasi-Auflösung. Erst spät, Anfang Januar, wurde eine Art Kontrollausschuss gebildet, allerdings auf staatliche Initiative hin. Lediglich die Vertreter der evangelischen Kirche bildeten hier eine Art Gegengewicht gegen die Staatsvertreter. Sie hatten es schwer. Denn auf Seiten der Bürger dominierte von Anfang an Rosemarie Fuchs als Stasi-Auflöserin. Sie gab den Anstoß für den Titel dieses Beitrages. Die Halbleiteringenieurin Rosemarie Fuchs war im Herbst 89 zum Neuen Forum gestoßen, war von Dezember an in der Stasi-Frage engagiert. Sie stimmte sich aber kaum mit den Bürgerrechtlern, dafür umso mehr mit den Staatsvertretern ab. Dies zeigt der folgende Erfahrungsbericht des damaligen Eberswalder Pfarrers, Matthias Gürtler, der mit einem Amtskollegen von Januar bis März 1990 an der Auflösung der Frankfurter Bezirksverwaltung beteiligt war.

I. Späte Kontrolle

Der 19. Januar 1990 war ein Freitag. Um 10.00 Uhr sollte sich die „Koordinierungsgruppe zur Auflösung des ehemaligen MfS“ in Frankfurt/Oder zu ihrer konstituierenden Sitzung treffen.

Am vorausgegangenen Dienstag hatte es am Bezirks-Runden-Tisch Frankfurt eine „heftige Kontroverse“ gegeben. Der Runde Tisch forderte eine „ausgewogene Zusammensetzung der Gruppe“.2 Generalsuperintendent Leopold Esselbach aus Eberswalde, der den RT moderierte, äußerte sich kritisch gegenüber dem Regierungsvertreter der Modrow-Regierung, Jürgen Grajcarek. Grajcarek war am 8.12.1989 von Modrow nach Frankfurt geschickt worden, um das am 17.11.1989 in AfNS umbenannte MfS aufzulösen. Grajcarek „vergaß“ einfach die beiden Vertreter der Evangelischen Kirche zur Auflösungskoordinierungsgruppe einzuladen. Erst im letzten Augenblick konnte dies durch Intervention des Generalsuperintendenten korrigiert werden.

Als Abgesandte der Kirche wurden ich, Matthias Gürtler, und mein Amtskollege Justus Werdin aus Greiffenberg benannt. Ich begegnete dem Regierungsvertreter Grajcarek mit Vorsicht und, als ich merkte, dass er den Eindruck des korrekten und gebildeten Berliner Politprofis vermitteln wollte, auch mit Skepsis. Welche Befehle oder Absichten Grajcarek im Schilde führte, lässt sich bis heute aus den mir vorliegenden Quellen, es sind im Wesentlichen die Protokolle, nicht erschließen. Reinhard Kusch bezeichnet Grajcarek in seinem Buch als verdeckten Stasi-Offizier im besonderen Einsatz.3 Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass Grajcarek im Hinterzimmer die Fäden zog.

Dass die aus der Gruppe des Neuen Forum stammende Rosemarie Fuchs bei der konstituierenden Sitzung der Koordinierungsgruppe den Vorsitz übernehmen sollte, war wohl schon vorher abgemachte Sache. Das Protokoll der konstituierenden Sitzung vom 19. Januar, vermittelt den Eindruck, dass Fuchs und Grajcarek von vornherein Hand in Hand arbeiteten: „Herr Grajcarek und Frau Fuchs erläuterten zu Beginn die Aufgaben der Koordinierungsgruppe und gaben zugleich einen ersten Überblick über den Stand der Arbeiten zur Auflösung.“4

Die Protokolle, die mir vorliegen, hat ein Mitarbeiter der Regierungskommission, also ein Mitarbeiter Grajcareks, mit Namen H. Dobbrick, geschrieben. Dass es ihm darum ging, Emotionen zu dämpfen, Widersprüche zu vermeiden und weitere Fragen zu verhindern, erkennt der aufmerksame Leser auch noch nach vielen Jahren. Aber wer sonst hätte in dieser „Männerrunde mit Fuchs“ Protokoll führen sollen? Eine weitere Vertreterin des Frankfurter NF hätte als Protokollantin hinzugezogen werden können. Bei der nächsten friedlichen Revolution sind wir klüger!

Unter den immerhin 22 Teilnehmern der ersten Sitzung waren 10, die unmittelbar zum vormaligen System gehörten: 3 Mitarbeiter der Modrow-Regierung, 3 vom AfNS, darunter Oberstleutnant Gerhard Weckener, der damalige Chef des Amtes und Nachfolger von Generalmajor Heinz Engelhardt; dann zwei Staatsanwälte und unter den Mitgliedern der Parteien ein SED/PDS-Mitglied. Und schließlich Major Klaus Bischoff von der Bezirkspolizei. Sein Name begegnete mir im November 1990 noch einmal, als er an meinem Wohnort, Eberswalde, Chef der Eberswalder Polizei werden sollte. Ein Eberswalder Polizist sagte dazu: „Major Bischoff hat uns [im Herbst '89] befohlen, bei der Durchfahrt der Botschaftszüge aus Budapest und Prag unnachsichtig gegen Bürger vorzugehen, die sich den Zügen nähern wollen.“5 Doch Anfang 1990, in Frankfurt, gehörte Bischoff zur den Mitgliedern der Sicherheitspartnerschaft. Kurz vorher noch hatten Volkspolizei, MfS, Justiz der DDR, Gesellschaft für Sport und Technik (GST), die NVA, die FDJ, die SED, und andere Wand an Wand und Hand in Hand mit einander gegen die Volksbewegung gearbeitet. Partner des operativen Zusammenwirkens hatte die Stasi dies genannt.

Ich kannte die Rolle der Polizei aus eigener Erfahrung. Von 1972-1974 war ich zum Militärdienst bei der 20. VP-Bereitschaft in Potsdam-Eiche eingezogen worden. Dadurch bekam ich manchen Einblick in die „inneren Organe“ der DDR. Tief eingeprägt hat sich mir die Übung auf  dem Exerzierplatz. In der Mitte stand eine Figur aus Metall, mannsgroß, die wie ein Stehaufmännchen funktionierte. An den Seiten des Platzes standen grüne Schützenpanzerwagen (SPW), zwischen ihnen in einer Linie Bereitschaftspolizisten mit Kalaschnikow, aufgepflanztem Bajonett und Schutzmaske, hinter ihnen Tränengasschützen. Dann kam der Befehl zum Losmarschieren. Die Schützenpanzer und die Bereitschaftspolizisten rückten vor. Der Wasserwerfer zielte auf die Figur in der Mitte. Aus dem Lautsprecher dröhnte es: „Bürger, stellen Sie Ihre gesetzwidrigen Handlungen ein. Verlassen Sie den Platz in Richtung Potsdamer Straße...“ An der fiktiven Straße standen die LKWs Typ W50 bereit zum Abtransport der Demonstranten. Die Bereitschaftspolizei übte damals für die Jugend-Weltfestspiele 1973 in der DDR, später im Herbst 1989 kamen ähnliche Strategien gegen Demonstranten zum Einsatz.

Es war inkonsequent, aber dennoch klug, die Polizei 1989/90 für die Sicherheitspartnerschaft zu wählen. Ganz im Sinne der Bibel „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben...“

Auf der konstituierenden Sitzung der Koordinierungsgruppe in Frankfurt wurde beschlossen, Arbeitsgruppen zu bilden. Zu den „vorgegebenen“ zählten:

  1. Objekte

  2. Unterlagen

  3. Kader

  4. Sicherheitspartnerschaft

Die Wortwahl war ganz im Stil des alten Systems. Durch meinen Pfarrerkollegen Justus Werdin und mich ist eine fünfte Gruppe vorgeschlagen und beschlossen worden: „Verflechtungen“. Diese sollte die Verbindungen zwischen MfS, SED und Staatsanwaltschaft aufhellen.

In dem Buch „Unter uns: die Stasi“ beschreibt Justus Werdin, wie der ehemalige Abteilungsleiter der Auswerter des MfS (Auswertungs- und Kontrollgruppe, AKG) versuchte die Gruppe „Verflechtung“ im Ungewissen zu lassen: „Jedesmal gab es von seiner Seite Versuche, eine verträgliche kollegiale Atmosphäre herzustellen, und zwar auf der Ebene: Wir wissen ja alle nichts. Was soll ich Ihnen sagen. Ihre Kollegen in den anderen Bezirken haben ja schon alles herausgefunden. Wir haben’s auch aufgeschrieben. Es liegt ja alles vor. Mehr weiß ich auch nicht. Vieles, was jetzt so Schlagzeilen macht, hat ja bei uns im Bezirk keine Rolle gespielt. Was ich Ihnen heute gesagt habe, hätte ich Ihnen gar nicht sagen dürfen.“6 Mit dem Abstand von heute frage ich mich, ob die Modrow-Regierung  das Auflösungskomitee nur beschäftigte, um sich selbst Freiraum zu verschaffen. I

Ohnehin war die Kontrolle nicht sehr eng, da das Komitee nur einmal die Woche zusammenkam und im Wesentlichen auf die Berichte der vor Ort Tätigen angewiesen war.

Der Zwischenbericht zum Stand der Auflösung des MfS im Bezirk Frankfurt/Oder vom 6.2.1990 zeigt, wie die Mitarbeiter des AfNS ihre menschenverachtenden Spitzeldienste verharmlosten, schön färbten bzw. verschleierten. Ein Beispiel aus dem Zwischenbericht der Auflösungskommission macht dies deutlich. Die Arbeit des Referates 4, in dem sich immerhin 6 Mitarbeiter und ein Referatsleiter mit den Kirchgemeinden und Religionsgemeinschaften beschäftigten, wurde folgendermaßen beschrieben: „Grundorientierung der Arbeit war, nicht das bestehende Verhältnis (nach Gespräch vom 6.3.1978) zwischen Staat und Kirche stören.“7 Arbeitsschwerpunkt war die Kontrolle der Tätigkeit der „Zeugen Jehovas“. In Wirklichkeit hatte dieses Referat alle oppositionellen Regungen innerhalb der Kirche verfolgt. Ich selbst war ins Visier dieser Abteilung gekommen. Während meines Dienstes als Pfarrer in Eggesin (1981 - 1986) wurde ich von der Stasi als Feind beobachtet (OPK „Pazifist“) und unter dem Kz 4.1.3. registriert, das für Personen stand im Spannungsfall interniert werden sollten. .

II. Wer zu spät kommt, der entdeckt, was versteckt werden soll

Die fünfte Sitzung der Koordinierungskommission zur Auflösung des AfNS begann mit einem Eklat. Ich war, aus Eberswalde kommend, zu spät in Frankfurt angekommen. Ich eilte über den tristen Hof der Bezirksverwaltung und sah im Vorbeilaufen die offene Tür eines Nebengebäudes. Dort arbeiteten zwei Stasileute an einer Maschine. Ich ging instinktiv in das Haus hinein und sah, wie die MfS-Leute Akten in den dortigen Papierwolf steckten. Ich nahm eine Akte aus dem Sack vor der Maschine. Die MfS-Mitarbeiter wollten sie mir abnehmen. Sechs Säcke mit vernichteten Akten lagen bereits auf einem nebenstehenden LKW. Die Situation erschien bedrohlich. Ich eilte mit der Akte hinauf zur Sitzung. Die Tagesordnung wurde unterbrochen. Die Vorsitzende, Frau Fuchs, verlangte, dass ich ihr sofort die Akte aushändige. Die Situation war äußerst gespannt. Ich ließ mich nicht abhalten, unter den misstrauischen Augen der Funktionäre die Akte von Artur Ueckert, der als Mitarbeiter der Reichsbahn von der Stasi beobachtet worden war, durchzublättern und notierte Stichworte zu deren Inhalt. Von einem Augenblick auf den anderen ist an diesem Tag, dem 15.2.1990, deutlich geworden, dass die Auflösungskommission mit ihren Sitzungen und Anhörungen nicht in der Lage war, die Weiterarbeit des MfS/AfNS zu unterbinden. Die Kommission bemäntelte den lautlosen Rückzug des MfS/AfNS, während die Bürger darauf vertrauten, dass das MfS nun unter Kontrolle sei.

Die Aktenvernichtung wurde zur Anzeige gebracht, die Kriminalpolizei ermittelte und vernahm Zeugen. Die Zeugenaussagen konnten widersprüchlicher gar nicht sein.8 Frau Fuchs gab zu Protokoll: „…für die Verkollerung wurden nur doppelte Exemplare bestimmt. Dadurch sollte garantiert werden, daß immer ein Exemplar erhalten blieb.“9 MfS-Mann Peter Graumann sagte: „Zu den Akten ist zu sagen, dass es allen Personen untersagt war, sie zu lesen. Wobei ich sagen muss, dass wir als ehemalige Mitarbeiter schon vom rein Äußerlichen der Akten wussten, was es für welche sind. Sie hatten eine rote oder blaue Farbe“10 Christoph Dobberstein war von Frau Fuchs eingesetzt worden, um ehrenamtlich beim Aussortieren der Akten zu helfen: „…die Beurteilung darüber, was wichtig ist und was nicht, sei jedem einzelnen Mitarbeiter selbst überlassen worden.“11

Der die Untersuchung leitende Kriminalist Hacker kam am 5.3.1990 zu der Schlussfolgerung: „Der Verdacht des Zeugen Gürtler, dass zum Zeitpunkt des Auffindens der Akte durch ihn Material aus dem Sack verkollert wurde, hat sich nicht bestätigt.“

Wenn ich die Protokolle der Zeugenvernehmungen heute noch einmal lese, kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass entweder System hinter der Verkollerung stand oder die angebliche Kontrolle versagt hatte, oder beides. Wenn der Kriminalist Hacker doch wenigstens die Widersprüchlichkeit der Aussagen aufgezeigt hätte!12

Im Gegensatz zu dieser harmlosen Einschätzung schien der Regierungsvertreter den Einblick in die Vernichtungsarbeit für durchaus brisant zu halten. Dies zeigt sein Zwischenbericht an den Runden Tisch des Bezirkes vom 6.3.1990: „Die Beratung der Koordinierungsgruppe zum Problem Veröffentlichung dieses Vorfalls vor Bekanntwerden des Ergebnisses, ergab auf Grund der hohen Sensibilität der Materie Unterlagen und des Vermeidenwollens von Emotionen in der Bevölkerung auf der Grundlage von Verdachtsmomenten ein Votum gegen eine verfrühte Veröffentlichung. Dies ist sicherlich ein Standpunkt, den man auch aus anderer Sicht sehen kann.“ Ferner heißt es: „Der Verdacht einer Straftat hat sich bei der Prüfung der Anzeige nicht bestätigt.“

Es war den Verantwortlichen durch ihre Verzögerungstaktik gelungen, den Skandal bis zur Bedeutungslosigkeit herunterzuspielen. Nicht die Arbeit der Kommission mit Frau Fuchs an der Spitze wurde in Frage gestellt, sondern es resignierten im Gegenteil die kritischen Geister in dem Gremium.

Am 21.2.1990 erklärte der Frankfurter Pfarrer Christian Gehlsen, einer der wenigen Aufrechten in der Kommission, seinen Rücktritt. Anlass war, dass Frau Fuchs Christian Gehlsen den Zutritt zu Arbeitsräumen im ehemaligen MfS verwehrt hatte.

Gehlsen forderte den Rücktritt von Frau Fuchs und die Einsetzung einer Untersuchungskommission, die die Arbeit des Regierungsverantwortlichen und der Mitarbeiter des ehemaligen MfS begutachtete. Dazu kam es jedoch nicht, ganz im Gegenteil. Das Protokoll zur Beratung der Koordinierungsgruppe vom 15.3.1990 vermerkt: „Frau Fuchs wird die Gesamtverantwortung für die ordnungsgemäße Verlagerung des Archivs in den Schutzbau übertragen...“ Am folgenden 22.3. wurde dann festgelegt, dass Zugang zu den Akten nur noch Rosemarie Fuchs und Gerhard Carius, vom Staatsarchiv Potsdam hätten. Auch ich verließ im März resigniert die Kommission.

Das Duo Fuchs/Grajcarek nutzte nun ihr faktisches Monopol, um die Linie der Regierung umzusetzen. Bezeichnend ist die Resolution, die die beiden verfassten. Rosemarie Fuchs nannte sich nunmehr „Leiterin des Bürgerkomitees“ ohne dafür eine hinreichende Legitimation zu besitzen. Schon am 15. Januar war sie bei den Vorgängen um die Lahmlegung der MfS-Zentrale als Vertreterin des Frankfurter Bürgerkomitees aufgetreten, obwohl ein solches nie existiert hat. Auch das gemeinsame Schreiben vom 16.3.1990, das nichts Geringeres forderte, als die Zerstörung der meisten Akten, war eine solche Anmaßung. Angeblich war es „i.A. der Koordinierungsgruppe“ verfasst. Es richtete sich an die Bevollmächtigten der DDR-Regierung zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit, zu Händen ihres Sekretärs Fritz Peter. Im 5. Absatz schrieben die beiden in vertrauter Einheit: „Das Beispiel Wolfgang Schnur13 zeigt, dass ein Quellen- und Datenschutz nur gewährleistet werden kann, wenn die Vernichtung aller personenbezogenen Akten, mit Ausnahme der Gerichtsakten, zur Abwendung einer gesellschaftlichen Destabilisierung vorgenommen werden könnte.“

Ob Rosemarie Fuchs schon zu früheren Zeiten mit der Stasi verstrickt war, ist oft gemutmaßt, aber nie belegt worden. Ihr selbstherrliches Agieren als Stasi-Auflöserin, die sich lieber mit den staatlichen Vertretern arrangierte, statt sich mit den Bürgervertretern abzustimmen, erscheint zwielichtig, wie auch ihr späteres Agieren. Auf geschickte Weise verschaffte sie sich als selbsternanntes Mitglied in der Koordinierungsrunde der Bürgerkomitees der DDR eine Legitimation. Später gelang es Frau Fuchs einen Sitz für die FDP im Brandenburger Landtag zu erobern. Im Landtag war sie Mitglied im Untersuchungsausschuss, der den Stasiverstrickungen von Ministerpräsident Manfred Stolpe nachging. Frau Fuchs, die Stasi-Auflöserin, fiel dort keineswegs durch großen Aufklärungswillen auf. Den Zeitungen hat sie dagegen seit 1990 ausreichend Stoff gegeben. Der Gipfel war, dass sie offenbar einen eigenen Anschlag gegen sich geplant hatte, und mit einem Stasi-Mann zusammen eine Firma betreiben wollte: „Abgeordnete Fuchs weist Anschuldigungen zurück“ (MOZ 16.3.1993), „“Blockflöte“ räumte MfS-Zentrale auf“ (FOCUS 11/93), „Knallkörper im Auto der FDP-Politikerin Fuchs. Polizei fand verkabelte Sprenghülsen im Privatwagen“ (MOZ 1.4.1993), „Frau Fuchs geht vor Gericht“ Sie „hat gegen die Bürgerrechtlerin Freya Klier und Pfarrer Matthias Gürtler aus Eberswalde Strafanzeige wegen Verleumdung erhoben...“ (MOZ 14.4.1993), „Die Selbstbedienung der Rosemarie Fuchs. Treuhand: FDP-Abgeordnete hat sich persönlich bereichert. Ermittlungen wegen Untreue“ (FOCUS 12/93).

Die skandalumwitterte Rosemarie Fuchs starb 2002, ohne dass das Geheimnis um ihre Person bisher gelüftet werden konnte.

III. Resümee: Fuchs, du wirst die Gans hergeben!

Aufschlussreich ist der Vergleich zwischen Kreisdienststellen im Bezirk und der Abwicklung Frankfurter Zentrale. Die Besetzungen der Kreisdienststellen am 3. Dezember 1989 in Angermünde und am 4. Dezember in Eberswalde unterschieden sich deutlich von der Situation in Frankfurt. Die Kreisstädte wurden vom MfS schnell gänzlich „aufgegeben“. In einem Schreiben des „Verfassungsschutzes der DDR“ Berlin vom 11.12.1989 „zur Organisation der Auflösung der Kreisämter“ wurde vom Lageoffizier, Major Reinecker, angewiesen, die Auflösung stabsmäßig zu organisieren. In dem Schreiben heißt es: „Nichts darf zurückbleiben, was zur Diskreditierung des Amtes für Nationale Sicherheit missbraucht werden könnte.“ Sogar das Mobiliar sollte verstellt werden. Eine ähnliche Anweisung muss allerdings schon früher bestanden haben, denn bereits Anfang Dezember waren die beiden Kreisdienststellen leer geräumt, Akten vernichtet bzw. zur Bezirksverwaltung transportiert worden. Die Lage dieser Dienststellen mitten in den Städten umringt von Bürgern, deren Geduld am Ende war, führte zur totalen Einstellung der geheimpolizeilichen „Arbeit“. Die Kreisdienststelle Eberswalde war so leer, wie die Katze den Teller ableckt.14

In der Bezirksstadt Frankfurt dagegen war die Verbindung der Bürgervertreter in der Auflösungskommission zur lokalen Bürgerbewegung schwach. Eine wirkliche Kontrolle und auch die kritische Beobachtung durch Journalisten und eine Information der Öffentlichkeit waren daher kaum möglich. Die Lücke, die durch den Rücktritt von Pfarrer Gehlsen entstand, konnte nicht geschlossen werden.

Dennoch ging die Rechnung nicht auf, einen Kern des MfS in der Bezirksstadt zu erhalten. Rechtfertigungserklärungen, warum ein Amt, natürlich neu ausgerichtet, weiter nötig sei, sind zwar in mündlichen und schriftlichen Überlieferungen in verschiedenen Varianten nachweisbar. So sollte z. B. der Rechtsextremismus bekämpft werden. Daher sollten Akten vernichtet werden, die hätten beweisen können, wie das MfS wirklich gearbeitet hatte und wer daran beteiligt war. Aber auch hier war diese Absicht nicht vollkommen zu verwirklichen. Die Gänse ließen sich nicht weiter einsperren! Damals wie heute ziehen im Herbst und im Frühjahr Gänse mit ihrem Freiheitsschnattern und klarem Ziel über Greifswald hinweg.15

Anmerkungen:

1Überarbeiteter Vortrag von 2004.

2 Leopold Esselbach. Brief an Matthias Gürtler vom 18.1.1990. Im Privatbesitz des Autors.

3 Kusch, Reinhard: Kollaps ohne Agonie. Das Ende des SED-Regimes im Bezirk Frankfurt (Oder).  Frankfurt/Oder 1999, S. 92.

5  Am 24.11.1990 schrieb ich einen Brief an den damaligen Brandenburger Innenminister Alwin Ziel, bei Personalentscheidungen diese Geschichte zu berücksichtigen. Chefin der Eberswalder Polizei wurde schließlich die Stasi-Auflöserin, Uta Leichsenring.

6 Werdin, Justus. Unter uns: die Stasi. Berichte der Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit im Bezirk Frankfurt (Oder), Berlin 1990, S. 47.

7 Zwischenbericht zum Stand der Auflösung des MfS im Bezirk Frankfurt (Oder) vom 6.2.1990 von der Arbeitsgruppe der Koordinierungskommission Organisations-, Befehlsstruktur, Verflechtung.

8 Akte 26 Js 275/93, der Staatsanwaltschaft Frankfurt (O), 29.4.1993 Im Privatbesitz des Autors.

9 Akte 26 Js 275/93 S. 6/81.

10 Vernehmungsprotokoll des ehemaligen Angehörigen des MfS Peter Graumann vom 1.3.90.

11 Akte 26 Js 275/93 S. 2/77.

12 Herr Hacker arbeitete später als Kriminalist in verantwortlicher Position in der Polizeiwache Frankfurt/Oder. Am Freitag, den 3.12.2004 fragte ich, 15 Jahre nach unserer ersten Begegnung, Herrn Hacker, ob er damals eine Vorgabe für sein Untersuchungsergebnis gehabt hätte. Er erinnerte sich nach kurzer Bedenkzeit an die damalige Untersuchung, wies aber solche Vermutungen weit von sich. „Wer sollte mir denn gesagt haben, was herauskommen muss? Das habe ich mir nie vorschreiben lassen! Sie haben mich damals doch kennengelernt!“ Meine Antwort: „Zum Beispiel der Regierungsvertreter!“

Herr Hacker hörte zu und lachte dann: „Sie waren doch diejenigen, die in der ersten Reihe standen!“.

13 Der Rechtsanwalt Wolfgang Schnur galt lange als Unterstützer der kirchlichen Opposition, nach den Stasi-Besetzungen wurde er als hochkarätiger Stasi-IM enttarnt.

14 Ausstellung des Stadtmuseums Eberswalde 2014.

15 Mein Dank gilt der Runden Ecke Leipzig für die Tagung vom 3. - 5.12.2004 mit Vertretern der Bürgerkomitees in den DDR Bezirken, Martin Gutzeit für seinen Besuch in Greifswald und die Bereitstellung von umfangreichem Material aus der Zeit von 1989/90 ebenso Klaus Richter, dem derzeitigen Leiter der Außenstelle BSTU Frankfurt für die Unterstützung, den Mitstreitern der friedlichen Revolution in EW.