II. Die Besetzung der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR am 4. Dezember 1989 in Erfurt

3. Der 4. Dezember 1989 – Der Tag der Besetzung

etwa 6.45 Uhr

Kerstin Schön und Sabine Fabian fahren zu Gabi Stötzer (damals Gabi Kachold), die sie über die Oppositionsgruppe „Frauen für Veränderung“ kennen. Sie erzählen von ihrer Absicht, um die Aktenvernichtung der Staatsicherheit zu stoppen, und Gabi Stötzer sagt sofort ihre Mitwirkung zu. Die Frauen setzen Sabine Fabian an ihrer Arbeitsstelle, der Wissenschaftlichen Allgemein Bibliothek, ab. Dort hat sie ein Telefon, und sie versucht nun per Telefon, möglichst viele von der Notwendigkeit einer sofortigen Stasibesetzung zu überzeugen. In den volkseigenen Betrieben fanden Montagfrüh in der Regel Arbeitsberatungen statt und alle Arbeiter sind an einem Ort ansprechbar. So gelingt es sehr kurzfristig eine große Zahl Menschen anzusprechen, ihnen Informationen über die Besetzung des MfS/AfNS weiterzugeben und sie zur Teilnahme aufzufordern.

Bild 6 Während der Besetzung am 4.12.1989,  Foto: Archiv GfZ

7.00 Uhr

Angelika Schön fährt in die Evangelische Predigerschule, an der sie studiert. Dort mobilisiert sie ihre Mitstudenten zur Mitwirkung an der Besetzung des MfS/AfNS. „Ich bin am Montag früher aufgestanden als sonst. Das Studium im Augustinerkloster in der damaligen Predigerschule, die evangelische Theologieausbildung begann mit dem Unterricht um 8 Uhr. Frühstück war dort zwischen viertel und halb 8 Uhr. Ich wohnte zwar nicht dort, kam aber immer schon zum Frühstück dazu. Diesmal bin ich extra eine halbe Stunde eher mit meinem Rad dahin gefahren, schon 7 Uhr, bevor die überhaupt den ersten Kaffee schnuppern konnten. Da habe ich schon gesagt: „Heute ist Ausnahme, heute müssen wir die Akten von der Staatssicherheit sichern. Ihr müsst alle mitkommen.“[1] Eine Mitstudentin informiert sogleich das katholische Priesterseminar, und Angelika Schön fährt mit dem Rad zu weiteren Bekannten aus der Offenen Arbeit in Erfurt.

Zur gleichen Zeit fahren Kerstin Schön und Gabi Stötzer zu zwei weiteren Mitstreiterinnen: zunächst zu Claudia Bogenhardt, die durch Gabi Stötzer von dem Vorhaben in Kenntnis gesetzt wird. Kerstin Schön fährt allein weiter zu Tely Büchner, um auch Matthias Büchnerin das Vorhaben einzubeziehen. Er schläft jedoch noch, da er gerade erst aus Grünheide von der Zusammenkunft der überregionalen Initiativgruppe des Neuen Forum zurückgekommen war.

Aber Tely Büchner, obwohl hochschwanger, ist sofort bereit, mitzugehen. Sie kann sich noch gut an das Haustürklingeln erinnern:

„Und dann am Morgen des 4. Dezember, hat es bei mir an der Haustür geklingelt und da stand Kerstin Schön vor der Tür und wollte eigentlich Matthias Büchner, also meinen damaligen Mann sprechen. Mein Mann kam in der Nacht aus Berlin und ist erst früh gegen 4.00 Uhr oder 5.00 Uhr zurückgekommen und deshalb hatten wir auch noch überhaupt keine Zeit gehabt darüber zu sprechen, was nun in Berlin konkret rausgekommen ist. Es war auch nicht möglich, ihn zu wecken, und deswegen haben wir gedacht, wir setzen uns jetzt erst mal zusammen und sprechen darüber, was wir jetzt machen und wie wir die Aktenvernichtung verhindern können. Kerstin Schön hat dann zu mir gesagt, dass es jetzt an der Zeit sei, das Ganze zu initiieren und in einer Art Lauffeuer oder Schneeballprinzip flächendeckend in Erfurt in Gang zu setzen.“ [2]

zwischen 7.00 und 8.00 Uhr

Die Mitarbeiterin im Büro der Evangelischen Augustinergemeinde Eva-Maria Hase hatte es im Herbst 1989 übernommen, als Sekretärin im neu gegründeten „Demokratischen Aufbruch“ (DA) mitzuarbeiten[3]. Als sie am Morgen des 4. Dezember 1989 zur Arbeit geht, bemerkt sie auf dem Weg ungewöhnlich starken Verbrennungsgeruch, der anders war als der sonst gewohnte Smog der Herbst- und Winter­monate in Erfurt. Bereits beim Betreten ihres Büros, zwischen 7 und 7:30 Uhr, klingelt das Telefon und noch im Mantel nimmt sie den Hörer ab. Es meldet sich eine männliche Stimme mit der Frage; “Sind Sie das Büro des DA?“ Das bejahend berichtete der Teilnehmer: „Ich bin bei der Stadtwirtschaft auf der Mülldeponie in Schwerborn beschäftigt, täglich kommen LKW’s an mit Verbrennungsrückständen von Papier, Papierasche und Metallteilen, wie sie in Ordner verwendet werden. Ich möchte das mitteilen!“[4]

Sie informierte sofort telefonisch Almuth Falcke über diese überaus wichtige Mitteilung.[5] Später geht die sie zur Bezirksverwaltung des AfNS/MfS in die Andreasstraße, sieht die dort bereits versammelten Bürger. Es ist kalt. Sie eilt zurück zum Augustinerkloster und veran­lasst, dass in der Küche der Predigerschule Tee gekocht wurde[6], Der im selben Haus wohnende Kirchenmusiker Dietrich Ehrenwerth fährt mit seinem PKW zwei große Thermos­behälter zur Andreasstraße[7].

Kurz danach geht in der Predigerschule ein Anruf ein, von der Sekre­tärin des DA oder von Almuth Falcke[8]. Nach diesem Anruf lässt der Leiter der Predigerschule, Pfarrer Lippold, den Unterricht ausfallen und beordert seine Mitarbeiter und Studenten zum MfS/AfNS in die Andreasstraße.

In der Zwischenzeit werden weitere vertrauensvolle Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus anderen Gruppen über das Vorhaben der Beset­zung durch Almuth Falcke und Kerstin Schön telefonisch oder persönlich informiert. Kerstin Schön klingelt bei dem Pfarrerehepaar Sigrid und Johannes Staemmler sowie dem Jugenddiakon Matthias Sengewald an der Haustür und informiert sie. Auch Almuth und Probst Dr. Heino Falcke werden durch sie informiert. Probst Falcke erinnert sich noch genau an das Telefongespräch während ihres Frühstücks zwischen 7.30 und 8.00 Uhr. [9].

 Es ist der 4. Dezember 1989. Sehr früh klingelt das Telefon, eine Mitstreiterin von ‚Frauen für Veränderung‘ sagt: "Die Stasi raucht schwarz!" Schwarz? Die haben doch Gasheizung? Akten werden verbrannt! Schon seit Tagen gab es Gerüchte darüber. Ich rufe an, wer mir einfällt, wer mitmachen könnte bei der Besetzung der Stasizentrale.“[10]  

Auch Manfred Ruge, Mitglied des Neues Forum und späterer Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, erhält einen Anruf von Kerstin Schön mit der Mitteilung, die BV des AfNS/MfS zu besetzen und die Vernichtung der Akten zu verhindern. Er erinnert sich:

„Am 4.12.1989 morgens 7 Uhr erreichte mich der Anruf von Frau Dr. Schön, die von der beginnenden Aktenvernichtung auf dem Stasi-Gelände berichtete. Eine halbe Stunde später sprachen wir bei dem Interims-Oberbürgermeister Hirschfeld vor, der auch nichts Besseres wusste, als uns an die Staatsanwaltschaft zu verweisen.”[11]

Doch auch andere Telefone laufen heiß. So informiert Gabi Stötzer Elisabeth Kaufhold, die in der Poliklinik Mitte arbeitet, und diese setzt wiederum Barbara Sengewald (damals Weisshuhn) sofort in Kenntnis. Die meisten Frauen kennen sich über die Gruppe „Frauen für Veränderung“[12] und vertrauen sich. Sie wissen, dass sie in diesem Moment auf einander zählen können. Durch die verschiedenen Anrufe bei Mitgliedern der oppositionellen Bewegung kommen nun viele Aktionen parallel in Gang.

gegen 8.00 Uhr

Nach den Anrufen bei Freunden und möglichen Unterstützern fährt Almuth Falcke mit ihrem Mann an das rückseitige Tor hinter dem Bezirksgericht (heute Bechtheimer Straße). Sie stellen zunächst ihren eigenen PKW quer zur Straße. Später blockiert dann ein LKW der Städtischen Verkehrsbetriebe[13] die Zufahrt, sodass der Eingang abgesperrt ist. Almuth Falcke erzählte hierzu folgende Anekdote[14]:

Nachdem mein Mann mit seinem Wartburg die Ausfahrt, als erste Präventivmaßnahme, versperrt hatte, kam das Fahrzeug der städti­schen Müllabfuhr zur Hilfe. Der Fahrer sagte zu meinem Mann: ’Hau mit deiner Karre ab, wir können das mit unserem LKW viel besser!’“

Auch Elisabeth Kaufhold und Barbara Sengewald treffen gegen 8.00 Uhr, von ihren Arbeitsstellen kommend, an der Bezirksverwaltung ein. Immer mehr Menschen finden sich vor dem Haupteingang in der Andreasstraße ein.

Bild 7 Ein Fahrzeug der Verkehrsbetriebe blockiert die Zufahrt  Foto: A.Giesler

nach 8.00 Uhr

Kerstin Schön, Gabi Stötzer, Tely Büchner und Claudia Bogenhardt begeben sich gemeinsam zum Rathaus. Hier findet seit 8.00 Uhr die erste Ratssitzung[15] mit dem neuen amtierenden Oberbürgermeister Siegfried Hirschfeld statt. Manfred Ruge findet sich zur gleichen Zeit im Rathaus ein. Er kennt Hirschfeld und sie wollen mit ihm sprechen.

„Also wir haben überlegt, was sind jetzt die Schaltstellen? Wo sind die wichtigen Stellen? Wo werden Entscheidungen getroffen? Und wer kann wem was weiterleiten? Und da haben wir gedacht, die wichtigen Stellen sind die Stadt und der Rat des Bezirkes. Und in dieser Reihenfolge haben wir’s gemacht. Wir wollten einfach, dass an diesen Schaltstellen quasi die Befehle, oder die Anordnungen, oder das Kurzschließen passiert, zu den entsprechenden Verantwortlichen der Staatssicherheit… Wir haben sicherlich auch gedacht, dass es nicht besonders sinnvoll ist, einfach gleich direkt den Kontakt zur Staatssicherheit zu suchen. Heute im Nachhinein betrachtet man das sicherlich immer ein bisschen anders. Wie sind die Strukturen wirklich gewesen und hatte denn die Stadt oder der Rat des Bezirkes überhaupt Zugriff oder die Möglichkeit, dort was anzuordnen. Also wir sind da glaube ich auch relativ naiv rangegangen.[16]

Die Sitzung wird unterbrochen und die vier Frauen und Manfred Ruge teilen den Versammelten mit, dass in der Bezirksverwaltung des MfS/AfNS Akten vernichtet werden und dass diese Stasi-Behörde nun besetzt wird. Sie fordern den Oberbürgermeister und die Ratsver­sammlung auf, an der Verhinderung der Aktenvernichtung und der Sicherstellung der Unterlagen mitzuwirken „…um zu verhindern, dass mit den vielen Daten, die über so viele Bürger gesammelt wurden, weiterhin Missbrauch getrieben wird und auch, um Verschleierungen von Amtsmissbrauch bis hin zu Verbrechen zu unterbinden“,.[17] Der Oberbürgermeister begibt sich mit den fünf Personen in sein Büro, um kurz mit ihnen zu sprechen, er muss in die Ratssitzung zurück. In diesem Gespräch macht er deutlich, dass „er da nichts machen kann. Sie müssen sich an die Staatsanwaltschaft wenden, und wenn sie auf Stadtebene etwas erreichen wollen, müssen sie zur Kreisdienststelle des MfS gehen.“[18]

Hirschfeld beauftragt den amtierenden Stadtrat für Inneres [19], sich weiter um die Anliegen der Gruppe zu kümmern. Zusammen mit Gabi Stötzer und Claudia Bogenhardt fährt er zur Kreisdienststelle des MfS/AfNS in die Straße der Einheit und stellt dort den Kontakt mit dem Leiter der Kreisdienststelle Oberst Schneeberg her.

Zur gleichen Zeit fahren Kerstin Schön und Tely Büchner zum Rat des Bezirkes Erfurt. Im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Arthur Swatek[20] wird ihnen nach ihrer Mitteilung, dass die Bezirksverwaltung und die Kreisdienststelle des AfNS/MfS gerade besetzt werden sollen, zugesichert, dass die Türen dieser Dienst­objekte geöffnet werden, um eine Eskalation zu vermeiden. Swatek war zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich bereits über die Situation vor Ort informiert. „Wir haben uns mit ihm unterhalten und sind bei ihm geradezu in offene Arme gefallen. Er hat dann sein Leid über die Situation geklagt und darüber gesprochen, wie er die Dinge sieht. Er hat zum Teil die bekannte politische Haltung vertreten, nach wie vor vertreten, aber nicht borniert. Man hatte den Eindruck, dass es auch für ihn nicht vollkommen überraschend kam. Und er hat gesagt, er wird mit den entsprechenden Verantwortlichen reden und versuchen, dass diese die Türen dort öffnen. Es ging ja auch immer darum, dass wir verhindern wollten, dass die Besetzung der Staats­sicherheit mit Gewalt passiert. Zu diesem Zeitpunkt stand ja immer noch alles auf der Kippe.“[21]

Manfred Ruge fährt nach dem Gespräch im Rathaus direkt zur Bezirksverwaltung des MfS/AfNS in die Andreasstraße.

9.00 Uhr

Die Meldung über die Besetzung der Stasi verbreitet sich wie ein Lauffeuer. In kürzester Zeit füllen sich die Straßen um das Dienst­objekt und zirka 500 Menschen[22] wollen dort hinein. Mit Sprech­chören „Wir wollen rein“ und „Aufmachen!“ machen sie sich Luft.

Unterstützung kommt aus allen Teilen der Bevölkerung. Betriebsan­gehörige aus dem Büromaschinenwerk Optima und dem Funkwerk, die Angestellten der Buchhandlung Peterknecht, Studenten der beiden kirchlichen Ausbildungsstätten und ihre Dozenten, Mitarbeiter aus den Kirchgemeinden, Bürger, die durch mündliches Weitersagen, bei Einkäufen in Kaufhallen oder anderswo von der „Stasi-Blockade“ erfahren.

Durch Sabine Fabian, Verena Kyselka und andere Bürger wird in Betrieben, auf Baustellen und über den Funk der Erfurter Verkehrsbetriebe dazu aufgerufen, die Bezirksbehörde zu umstellen und zu bewachen. Kurzerhand wird beschlossen, jedes Auto, welches die Ausfahrt zur Bezirksbehörde passieren will, aufzuhalten und den Kofferraum zu kontrollieren. LKWs wird die Zufahrt generell verweigert. Das querstehende Fahrzeug der Verkehrsbetriebe blockiert weiter die Straße. Das MfS hat zwar inzwischen die Verkehrsbetriebe aufgefordert, das Fahrzeug wegzufahren. Der Leiter der Verkehrsleitstelle schaut sich die Situation vor Ort an und entscheidet, sich der Anordnung des Direktors zu widersetzen[23]. Der LKW bleibt stehen.

Bild 8 Bürger kontrollieren einen ausfahrenden PKW  Foto: Archiv GfZ

Als Manfred Ruge zurückkommt, fahren Barbara Sengewald, Angelika Schön[24] und er nach kurzer Beratung zur Bezirksstaatsanwaltschaft. Angelika Schön kennt das Gebäude, da sie nach einer Hausdurchsu­chung dort ihre Sachen wieder abholen musste. „Es sollte noch jemand von offizieller Stelle mitkommen, denn es war im Grunde genommen so, dass wir rechtsstaatliche Elemente einforderten, womit die staatlichen Stellen völlig überfordert waren. Das hatten sie nicht erwartet.“[25] Der Staatsanwalt soll eine Verfügung zur sofortigen Einstellung der Vernichtung von Akten und der Einstellung der Arbeit der Bezirksverwaltung des MfS/AfNS erwirken. Die drei werden Zeu­gen von mehreren Telefongesprächen zwischen dem Bezirksstaatsan­walt, der Bezirksverwaltung des MfS/AfNS und dem Rat des Bezirkes.

Bezirksstaatsanwalt Sander erklärt nach langem Hinhalten, dass nicht er, sondern die Militärstaatsanwaltschaft für die verlangten Regelun­gen zuständig ist. Doch Barbara Sengewald und Angelika Schön lassen nicht locker, sie wollen wissen, wie es nun weitergeht. Ihnen wird mitgeteilt, dass der Militärstaatsanwalt mittlerweile informiert ist und sich bereits auf dem Weg zur Bezirksverwaltung des MfS/AfNS befindet. Daraufhin fahren sie wieder zur Andreasstraße zurück.[26]

Auch Herbert Gräser, genannt „Leo“, erhält auf seiner Arbeitsstelle einen Anruf. Er ist einer der aktiven Leute in der Offenen Arbeit und hat Kontakt zu vielen Oppositionellen in Erfurt. Was damals noch nicht bekannt ist: „Leo“ ist als IMB „Schubert“ einer der wichtigsten Informanten der Stasi[27]. Sein Führungsoffizier ruft ihn an und fordert ihn auf, unbedingt mit zur Andreasstraße zu kommen. Er wird wie viele andere auch den ganzen Tag mit dort sein, und ist von nun an auch bei der Stasiauflösung ganz aktiv dabei.

gegen 10.00 Uhr

Der Leiter der Bezirksverwaltung Generalmajor Josef Schwarz stimmt sich telefonisch mit dem Bezirksstaatsanwalt Sander über weitere Maßnahmen ab und lässt auf Weisung alle Waffen in die Waffen­kammer verbringen. Danach erhält eine Delegation von zehn Bürgerinnen und Bürgern Eintritt in die Bezirksverwaltung des MfS/AfNS und wird bis zum Konferenzzimmer geführt[28]. Dort prangt groß und deutlich an der Stirnwand:  ”Ruhm den Tschekisten!” [29]

Nach kurzer Abstimmung unter den Vorgelassenen wird Almuth Falcke als Sprecherin der Gruppe benannt. Im Konferenzraum stellen sich der Leiter der Bezirksverwaltung Generalmajor Josef Schwarz und sein erster Stellvertreter sowie weitere Mitarbeiter des MfS/AfNS dem Gespräch. Zugegen sind auch die Staatsanwälte Helmut Rudat und Richard Ilgen und die später erschienenen Militärstaatsanwälte Horst Weißmantel und Lippol[30], sowie der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes und Verantwortliche für Inneres, Heinz Hartmann.

Die Verhandlung

Die Sprecherin der „Besetzer“, Almuth Falcke, trägt gegenüber dem Leiter der Staatssicherheit Generalmajor Josef Schwarz folgende Forderungen vor:

  • sofortige Beendigung der Arbeit dieser Behörde,
  • sofortiger Stopp der Aktenverbrennung,
  • Vorlage eines Gebäudeplans zur Kontrolle aller Räume,
  • Zugang zu den Computern,
  • Aussagen darüber, was mit den vorhandenen Unterlagen geschieht, Versiegelung der Archive bis der Staatsanwalt eine ordnungsgemäße Untersuchung beginnt.[31]

Die Entgegnungen von Generalmajor Schwarz sind reichlich primitiv und auf Verdummung und Desinformation der Delegation angelegt. Almuth Falcke erinnert sich:

„Dr. Schwarz begrüßte uns: ‚Ja, was wollen Sie hier, was machen Sie hier? Sie behindern meine, unsere Behörde an der Arbeit’. Und da haben wir gesagt: ‚Ja, das wollen wir auch, dass die Arbeit eingestellt wird und deshalb haben wir auch die Staatsanwaltschaft hergebeten. Wir verlangen sofort Einsicht in alle Räume, die das Gebäude hat. Damit wir auch sicher sind, dass es alle Räume sind, verlangen wir einen Plan von diesem Gebäude. Und wir verlangen Zugang zum Computer.’ Daraufhin Dr. Schwarz: ‚Wir tun hier niemand Unrecht. Sie haben keine Berechtigung, das hier zu machen. Wir handeln nur nach den Gesetzen der DDR.’

Da habe ich gesagt: ‚Ja, eben diese Gesetze wollen wir ändern. Und deshalb machen wir dies. Und hier unter uns sind auch Leute, die sehr unter Ihrer Behörde gelitten haben. Wir wollen, dass die Arbeit hier aufhört’. Und dann habe ich noch einmal die Forderungen genannt. Und da sagte er: ‚Also, einen Plan des Hauses habe ich selber nicht. Ich weiß selber nicht wie viel Räume hier sind’. Und dann: ‚Und einen Computer gibt es nicht. Wissen Sie, Genosse Mielke ist ein alter Mann, der ist nicht für so moderne Sachen, wie einen Computer’."[32]

Die zwischenzeitlich eingetroffenen Staatsanwälte Helmut Rudat und Richard Ilgen erklären sich ebenfalls für die Klärung der Anliegen der „Besetzer“ nicht zuständig. Daraufhin werden die Militärstaatsanwälte Weißmantel vom Bezirksgrenzkommando und Lippol von der 4. Mot-Schützen-Division angefordert. Es wird eine Begehung der Bezirksver­waltung vereinbart. Während drinnen über Verfahrensfragen, Möglichkeiten und Zuständigkeiten gesprochen wird, versammeln sich draußen immer mehr Menschen. Bürger bekunden spontan ihre Solidarität mit den Besetzern, indem sie heißen Kaffee und Tee bringen.

Bild 9 Besetzer/innen mit dem Leiter der Bezirksverwaltung Generalmajor Schwarz [33]  Foto: S. Fromm 
(Das Foto zeigt ein späteres Gespräch, nicht das mit der ersten Gruppe der 10).  

Generalmajor Josef Schwarz † (in der Mitte): (vlnr. hinten): Rolf Tanz †, unbekannte Person (Günther Richter † ?), Gabi Stötzer (Kachold), Barbara Sengewald (Weisshuhn), (vlnr. vorn): Tely (Petra) Büchner (unten), Kerstin Schön (v. hinten), Arthur Wild † (v. hinten), unbekannte Person, Johannes Staemmler. (Foto: S. Fromm)

nach 10.00 Uhr

Kerstin Schön und Tely Büchner fahren nach dem Gespräch im Rat des Bezirkes zur Kreisdienststelle. Dort treffen sie Ulrich Scheidt. Er ist Biologe im Naturkundemuseum und mit seinen Kollegen durch einen Anruf aus der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek bereits über die Besetzung informiert:

„Wir standen vor dem Haus, kamen nicht rein. Diskussionen entspann­ten sich. Nicht weit von mir haben sich Kerstin Schön und Tely Büchner unterhalten, dass irgendwas in der Andreasstraße wäre und dass sie dorthin wollten. Da bin ich zu ihnen hingegangen und sie sagten, die eine ist Vertreterin für das „Neue Forum“ und die andere für „Frauen für Veränderung“. Ich erwiderte, dass ich mich als Grüner verstehe und ich möchte als Vertreter der Grünen an so einer Runde teilnehmen. Sie schauten mich beide ein bisschen verwundert und gerade Kerstin (Schön) sehr distanziert an. Dann sagte sie ja, ist okay, komm mit.“[34]

4. Die Besetzung

Zusammen fahren sie zur Andreasstraße. Nachdem sie vom Einlass der Gruppe unter Führung von Almuth Falcke erfahren, begeben sie sich, weil ihnen der Zugang zum Haupteingang verwehrt wird, zur Zufahrt hinten am Domplatz (heute Bechtheimer Straße). Wie angespannt die Situation ist, schildert Ulrich Scheidt:

„Und dann gingen wir zum Haupteingang, vor dem eine große Men­schenmenge versammelt war. Kerstin, so resolut wie sie war, pochte an die Pforte. Da bewegte sich erst nichts und dann ging oben eine Klappe auf und sie sprach dann. Ich war zu weit weg und konnte das nicht im Detail hören. Ihr wurde wohl gesagt, ja gehen sie hinten rein. Wir wurden dann zum Nebeneingang gelotst. Ich ging mit den beiden mit. Wir kamen dann an diesen Nebeneingang, der nicht verschlossen war. Der Vordereingang war ja richtig zu. Da standen vielleicht 20-30 Leute maximal. Aber es war nicht verriegelt, nicht ver­rammelt. Es gab eine Schranke. Die Wachposten, die hatten – glaube ich – keine MP’s mehr. Man hatte natürlich Angst, aber das ist normal.

Die wollten uns auch nicht durchlassen. Es war eine sehr aufgeladene Stimmung. Irgendjemand schrie: ‚Die verbrennen wieder‘, als eine schwarze Rauchwolke aus einem Schornstein herauskam. Und aus dem emotionalen Affekt heraus haben wir Drei einfach die Barriere durchbrochen und sind reinmarschiert. Aus einem Abstand von 10-15 Metern drehten wir uns um und riefen den anderen zu: ‚Kommt nach!‘ Die stürmten dann los… Wir sind daraufhin hoch, an die Tür, haben dort die Wachposten beiseite geschoben und das große Tor geöffnet.“[35]

Das Postenhäuschen war mit zwei jungen Wachsoldaten besetzt, die als „Soldat auf Zeit“ ihren Wehrdienst absolvierten[36]. Die Delegation der 10 war ebenfalls durch diesen Eingang eingelassen und von einem Offizier abgeholt worden. Jetzt aber waren die Wachhabenden völlig auf sich gestellt.

„So, und dann ein paar Minuten hin und her und dann standen die so ein bisschen für sich und sagten "Ja, wir gehen dann rein" und dann habe ich zum B. gesagt "Schlagbaum auf". Und dann haben wir den Schlagbaum aufgemacht und dann gingen alle…“[37] „Und von da an konnten durch diesen Postenbereich alle rein. Da gab es dann natürlich ein Heidentheater vom Sicherheitsoffizier, ob wir wahnsinnig wären und dann habe ich gesagt, das weiß ich noch wie heute "Kommt doch mal her". Es hat sich ja bis zu dem Zeitpunkt - und das ist das, wo ich heute noch eine unheimliche Wut habe - nicht ein einziger, weder von der Wach- und Sicherungseinheit ein Offizier sehen lassen, noch vom Haus ein Offizier, noch irgendjemand, war da und hat sich um uns zwei Hansel mit 18/19 Jahren gekümmert.“[38]

Damit sind die Türen der Staatssicherheit geöffnet. Immer mehr Bürger dringen in das Gebäude ein. Zu dieser Zeit treffen Angelika Schön und Barbara Sengewald vom Staatsanwalt kommend am Haupteingang der Bezirksverwaltung ein und fordern Einlass. Nun werden auch dort durch die Gruppe mit Ulrich Scheidt die Tore geöffnet. Die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit, Trutzburg vom „Schild und Schwert der Partei“, ist in der Hand der Bürger.

Die Verhandlung mit der 10er-Gruppe läuft noch, da erscheint ein Mitarbeiter der Bezirksverwaltung und informiert Generalmajor Schwarz darüber, dass eine „Gruppe von 200 Leuten das Gelände stürmt“.

Im Fernschreiben vom Leiter der BV Erfurt Schwarz an den Leiter des MfS/AfNS Schwanitz  heißt es dazu:

„Während dieses Gesprächs im Konferenzzimmer des Leiters des Amtes[39] verschafften sich weitere Personen unter der Führung einer Frau Dr. Schön, Kerstin[40], die sich als Sprecherin eines unabhängigen Untersuchungsausschusses ausgab, gewaltsam Zugang zum Bezirks­amt und begaben sich ebenfalls in das Konferenzzimmer.“ [41]

Bild 10 Bürger am Hintereingang des MfS/AfNS  Foto: A Giesler

Bild 11 Bürger am Haupteingang des MfS/AfNS  Foto: S. Fromm

Bild 13 Bürger mit einem Offizier des MfS/AfNS (i.d. Mitte) und dem Militärstaatsanwalt  Foto: Archiv GfZ

Schwarz protestiert umgehend bei der Sprecherin der Bürgerinnen und Bürger, Almuth Falcke.

Doch es ist zu spät. Die Erfurter lassen sich nicht mehr aufhalten.

Der Leiter der Bezirksverwaltung beendet abrupt die Verhandlungen mit dem Hinweis, er wolle die „Ordnung und Arbeitsfähigkeit seiner ‚Einrichtung‘ wieder herstellen.“[42] Doch da hat er seine Befehlsgewalt bereits verloren und muss tatenlos zusehen, wie die von ihm ausspionierten Erfurter sich nun gründlich bei ihm umsehen.

In dem Fernschreiben des Erfurter MfS/AfNS-Bezirksamtes an die Berliner Zentrale über die „Gewaltsame Erzwingung des Zutritts Oppositioneller Kräfte zum Bezirksamt“ wird am Schluss festgestellt:

„Durch die Besetzung der Ein- und Ausgänge des Dienstobjektes ist das Bezirksamt handlungsunfähig.“[43]

Bild 12 Auszug aus dem Fernschreiben des Leiters der BV Erfurt vom 4.12.1989 (Archiv GfZ)
das gesamte Dokument

Die Bürgerinnen und Bürger inspizieren nun in Gruppen zusammen mit Mitarbeitern der Bezirksbehörde den Gebäudekomplex. Doch diese Kontrollgänge ähneln eher einem Versteckspiel als einer ehrlichen Aufdeckung. Von Seiten des Leiters der BV wurde die Besichtigung folgender Räumlichkeiten angewiesen:

  • die Datenendstelle der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG),
  • das Archiv der Abteilung XII,
  • die Verkollerungsanlage[44] sowie
  • das außerhalb der BV befindliche Objekt der Abteilung VIII.

Der Zugang zur Zen­tralen Personenda­tenbank (ZPDB) wird von den Mitarbeitern der BV jedoch verhindert.

Bild 14 Bürger mit leeren Aktenordnern.  Foto: Archiv GfZ

Im Heizungskeller fin­den die „Besetzer“ dann auch die Ursa­che der tags zuvor beob­achte­ten Rauch­ent­wick­lung. Bei der Gas­heizung be­findet sich eine zusätz­liche Brenn­stelle, die als Verbren­nungs­ofen dient. Un­mengen von Müllton­nen und Säcken voll schwar­zer, unvoll­stän­dig verbrann­­ter Papie­re, Aktendullis, leere Aktenordner auf deren Rücken noch der Inhalt nachlesbar ist, zerris­sene Papiere, die nicht schnell genug ver­brannt wurden, wer­den aufgefunden.

Weitere Reste der Vernichtung von Unter­lagen werden später in einem Raum mit einer Verkollerungsanlage entdeckt. Konfrontiert mit den vernichteten Akten erklärt Generalmajor Schwarz, dass der Umfang der in letzter Zeit beseitigten Akten sich im Rahmen der angeordneten „normalen“ Anweisungen bewege[45]. Zusätzlich seien nur Dossiers über „Andersdenkende“ vernichtet worden. Dass es detaillierte Anweisungen aus der Zentrale in Berlin zur Vernichtung von Akten gab, damit hielt Schwarz gegenüber den Besetzern der Bezirksverwaltung hinter dem Berg.

Die Erfurter Bürgerinnen und Bürger finden schließlich auch den Computerraum, den es nach Aussage von Generalmajor Schwarz gar nicht gibt. Der Computertechnik gilt die besondere Aufmerk­samkeit der „Besetzer“. Ist ihnen doch daran gelegen, die Löschung von Disketten und anderen Speichermaterialien zu verhindern.

„Datendienststelle” heißt dieser nur für einen kleinen Personenkreis zugängliche Raum, in dem eine Verbindung zu dem zentralen Berliner Speicher besteht. Als einige sachkundige Bürger eine Anfrage nach Berlin starten, um zu erkunden, wie das System funktioniert, kommt die lapidare Antwort: „Erfurt bekommt keine Auskunft mehr!"[46]

Später verschaffen sich die Bürger auch Zugang zu der Unter­suchungshaft des MfS/AfNS in der direkt daneben gelegenen U-Haft-Anstalt.

Bild 15 Im Heizungskeller, im Hintergrund Kerstin Schön im Gespräch mit Generalmajor Josef Schwarz, rechts neben ihr Almuth Falcke. Am Ofen sind Asche und Reste von verbrannten Akten zu sehen. Regulär nutzte das MfS nur Gasöfen zur Heizung, dadurch fiel der schwarze Rauch auf.  Foto: S. Fromm

Bild 16 Bürger vor der U-Haft  Foto: Archiv GfZ [47]

5. Die Bürgerwache

Die Erfurter Bezirksverwaltung ist nun von der Zentrale abgekoppelt. Das Berliner Ministerium hat über einen wichtigen Außenposten keine Kontrolle mehr. Ohne Plan und ohne Kenntnis der Örtlichkeiten laufen die Menschen durch das Dienstobjekt, sichten Akten, zerris­ sene Blätter, Diensträume mit hochbrisanten Inhalten. Ulrich Scheidt kommt angesichts dieses Chaos auf die Idee, die Computerzentrale zu sichern und zu bewachen. Jetzt, wo die Bürger endlich drinnen waren, durfte nichts mehr nach draußen verbracht werden. Die Bewachung der „Datendienststelle“ ist die Geburtsstunde der Bürger­wache.[48] Diese Bürgerwache bewacht ab diesen Moment über mehrere Wochen die Bezirksverwaltung. Wenig später werden der Computerraum und das Herzstück der Behörde, das zentrale Archiv, durch den Militärstaatsanwalt Weißmantel auf Verlangen der Bürgerinnen und Bürger versiegelt.

Bild 17 Militärstaatsanwalt Weißmantel versiegelt Räume. Über die Schulter blickt ihm Herbert Gräser, alias IMB Schubert   Foto: S. Fromm

Im Laufe der nächsten Stunden kommen weitere Aktive der Bürger­bewegung, des Neuen Forum und des Demokratischen Aufbruch hinzu und beteiligten sich an der Organisation der Bürgerwache.[49]

6. Die Kreisdienststelle

Während sich die Bürger der Stadt schon in der Bezirksverwaltung umschauen und die Bürgerwache gebildet wird, bleiben die Tore der Kreisdienstelle in der Straße der Einheit noch geschlossen. Erst nach zähen und mehrstündigen Verhandlungen mit dem Leiter Oberst Schneeberg sowie einem Telefongespräch mit dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes wird eine dreiköpfige Delegation mit Claudia Bogenhardt und Mathias Ladstätter[50] eingelassen. Nach einem ersten Kontroll­gang durch diese drei Personen werden die Räume versiegelt. Da die kontrollierenden Bürger keine bedeutenden Akten finden, gehen sie davon aus, dass wichtige Unterlagen bereits in die Bezirks­verwaltung umgelagert waren. Folglich verzichteten sie in der Kreis­dienststelle auf die Aufstellung einer Bürgerwache. Nur die ange­brachten Siegel werden gegen 23 Uhr auf Unversehrtheit überprüft.

Tatsächlich waren Aktenbestände aus der Kreisdienststelle Erfurt so wie auch aus anderen den Kreisdienststellen weitgehend schon in die Bezirksverwaltung gebracht worden[51].

Generalmajor Schwarz setzt am Nachmittag seinen Vorgesetzten in Berlin, Generalleutnant Wolfgang Schwanitz, von der Situation in Kenntnis.[52] Dieser kabelt umgehend ein Fernschreiben an alle Leiter der Kreis- und Bezirksämter für Nationale Sicherheit. Ab sofort sind alle informiert:

Am heutigen Tag drang eine große Menschenmenge gewaltsam in das Bezirksamt Erfurt ein. Weitere Objekte sind bedroht. Die Situation ist noch nicht bereinigt. Aus diesem Anlass wird angewiesen, sofort alle möglichen zusätzlichen Maßnahmen einzuleiten, um die Objekt­sicherung zu verstärken und kurzfristig zusätzliche Sperrmaßnahmen durchzusetzen. Der Zutritt unberechtigter Personen ist unbedingt zu verhindern. Es sind alle zur Verfügung stehenden Mittel, Löschein­rich­tungen und übergebene spezielle Mittel – außer gezielter Schuss­waf­fenanwendung – zum Einsatz zu bringen. Alle verfügbaren Kräfte sind auf diese Situation einzustellen und entsprechend zu orientieren, um die vorgenannte Aufgabe voll durchzusetzen. Mit der Volkspolizei sind weitere Abstimmungen zum Einsatz zusätzlicher Kräfte herbeizu­führen.”[53]

Bild 18  Fernschreiben des Leiters des AfNS vom 4.12.1989   Archiv GfZ

Die Stasi ist besetzt und die Gerüchte kochen hoch. Am Flughafen in Erfurt-Bindersleben starten Flugzeuge mit Akten, heißt es. Die sollen nach Rumänien ausgeflogen werden, sagt man. Gegen 18.00 Uhr fahren einige Bürger mit Günther Frank und Manfred Ruge zum Flug­hafen, um das abzuklären. Ihnen gelingt es bis zur Flugleitung im Tower vorzudringen. Dort wird ihnen versichert, dass es am Tag keine Flugbewegungen gegeben hat[54].

Am frühen Abend trifft sich ein kleiner Kreis von Aktiven, um sich im Rathaus über das weitere Vorgehen zu beraten. Der Ober­bürger­meister stellt nach langen Verhandlungen einen Raum mit Telefonan­schluss in der Wohnungstauschzentrale zur Verfügung. Das Bürger­büro nimmt unverzüglich seine Arbeit auf.[55] Durch Mundpropaganda kommen in den Abendstunden des 4. Dezember in der Evangelischen Stadtmission (Johannes-Lang-Haus) etwa einhundert Menschen zusammen. Die Versammelten beschließen, am 5. Dezember ein „Komitee zur Auflösung des Geheimdienstes MfS/AfNS“ zu gründen. Gleichzeitig wird ein Flugblatt erarbeitet, unterzeichnet von „Bürger­initiative des Kontrollausschusses“, noch in der Nacht gedruckt und am Morgen verteilt.

Bild 19 Unter dem MfS-Siegel das später selbstgefertigte der Bürgerwache, dass verhindern soll, dass Stasi-Mitarbeiter unentdeckt Zutritt haben.  Foto: A. Graupner

Bild 20 Aufruf vom 5.12.1989  Archiv GfZ

7. Die „Stasi“ ist besetzt

Unter den vielen politisch bewussten Bürgerinnen und Bürgern, die aufmerksam die Entwicklung während des Herbstes 1989 beobachten und aktiv für Veränderungen in der DDR eintreten, gibt es immer wieder mutige Menschen, die durch ihren persönlichen Einsatz Entscheidendes bewirken. Das ist am außerordentlichen Beispiel der erstmaligen Besetzung einer Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in der DDR ganz besonders hervorzuheben.

Die „Besetzung“ der Staatssicherheit in Erfurt wird möglich,

  • weil Kerstin Schön und Sabine Fabian am Morgen des 4. Dezember 1989 die Initiative ergreifen und es ihnen zusammen mit Gabi Stötzer, Tely Büchner und Claudia Bogenhardt gelingt, viele andere für ihr Vorhaben zu mobilisieren;
  • weil Angelika Schön aufgrund eigener Informationen ebenfalls unabhängig von den anderen die Initiative ergreift und viele Menschen mobilisiert;
  • weil Almuth Falcke, nachdem sie von der Aktenvernichtung erfahren hatte, mit Telefonanrufen eine weitere Informations­kette in Gang setzte;
  • weil aus der Idee, die in der DDR behauptete „Rechtsstaat­lichkeit“ beim Wort zu nehmen, offizielle Stellen wie der Rat der Stadt und der Rat des Bezirkes Erfurt durch Kerstin Schön, Gabi Stötzer, Tely Büchner, Claudia Bogenhardt sowie Manfred Ruge einerseits und andererseits die Bezirksstaatsanwaltschaft von Barbara Sengewald und Angelika Schön aufgesucht und zur Kooperation aufgefordert werden;
  • weil sich sehr schnell eine immer größer werdende Menschen­menge vor der Bezirksverwaltung und der Kreisdienststelle des MfS/AfNS einfindet;
  • weil durch den Druck der vor den Toren Versammelten eine Gruppe von zehn Personen in das Gebäude der Bezirksverwal­tung eingelassen wird, um Verhandlungen mit den Verantwort­lichen der Staatssicherheit zu führen;
  • weil diese „Gruppe der 10“ Initiative, Engagement und Mut be­weist und Almuth Falcke sich spontan bereit erklärt, die Leitung und Gesprächsführung gegenüber den leitenden Offizieren zu übernehmen – damit wird die eigentliche Besetzung ausgelöst;
  • weil Ulrich Scheidt mit der Gründung der „Bürgerwache“ und der Versiegelung der Räume das MfS/AfNS daran hindert, wieder zu seinen „normalen“ Arbeitsabläufen zurückzukehren;
  • weil durch die Krise der SED auch die Staatssicherheit in eine Krise geraten ist: als Herrschaftsinstrument der SED – als „Schild und Schwert der Partei“ war das MfS/AfNS mit dem Ende dieser Partei und durch den Druck des Volkes in seiner Macht erheblich eingeschränkt. Hinzu kam ein Motivationsverlust in den Reihen der eigenen Mitarbeiter.

Die am 4. Dezember 1989 in Erfurt begonnene und erfolgreich verlaufene erste Besetzung einer Bezirksverwaltung war eine spontane Aktion[56], für die die Zeit reif war. Begonnen mit der Kraft und dem Durchsetzungswillen mutiger Frauen konnte sie durch die Beteiligung vieler Frauen und Männer gelingen[57]. Stunden später wurde Erfurt zum Vorbild für die „Besetzungen“[58] aller anderen Bezirksämter.

Anmerkungen

[1]    Vgl. Zeitzeugengespräch mit Angelika Schön, Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt Teil 2, a.a.O.S.25ff., An ihr Eintreffen an der Erfurter Predigerschule können sich mehrere ehemalige Mitschüler noch gut erinnern.

[2]    Interview mit Tely Büchner, in: Die Geschichte des Bürgerkomitees in Erfurt, Teil I, a. a. O., S. 174 unten.

[3]     Ein Problem für die neuen Vereinigungen war, eine Ansprechstelle mit Telefon zu finden, da ja nur sehr wenige Privathaushalte über Telefon verfügten.

[4]    Die Aussage wird bestätigt durch einen Diskussionsbeitrag im Protokoll der Bera­tung des Bürgerkomitees vom 5.12.1989 15:00 Uhr (ohne Namenangabe) in dem es heißt: „Die Mülldeponie wird in letzter Zeit häufig von dem LKW LZ 67-26 ange­fahren, Fahrzeug des MfS, verbrannte Reste, Metallteile von größeren Mengen Ordner. Protokoll des Bürgerkomitees Erfurt vom 5.12.1989, im Archiv der GfZ.

[5]     Almuth Falcke arbeitet als Sekretärin für ihren Mann, Propst Heino Falcke und ist in den Frauengruppen „Freuen für Veränderung“ aktiv. Sie ist 2002 verstorben. Als Propst ist Falcke für mehrere Evangelische Kirchenkreise zuständig. Er ist aber einer der profiliertesten Kritiker der DDR. Als Theologe ist er in vielen internationalen Zusammenhängen der Ökumenischen Bewegung eingebunden.

[6]     Erzählung von Frau Hase am 30.10.2014, als Beitrag zum Vortrag von Dr. A. Rothe „Erfurt vor 25 Jahren. Die Kirchen in der Friedlichen Revolution“

[7]     Erzählung von Dietrich Ehrenwerth im Oktober 2013, Notizen zu Erzählungen verschiedener Personen zum Zeitablauf am Morgen des 4. 12. 1989, Archiv GfZ  

[8]     An den Namen des Anrufenden kann sich weder die Sekretärin noch H. Lippold selbst erinnern. In: Hartmut Lippold „Bericht über die Beteiligung der Prediger­schule Erfurt an der Besetzung der Bezirksbehörde der Staatssicherheit der DDR am 4. Dezember 1989, notiert am 3. 11. 2013, Archiv GfZ

[9]     Es ist unklar, ob es sich um das Telefonat der Sekretärin des DA oder einen Anruf von Kerstin Schön handelt, möglicherweise gab es beide Telefonate. Möglich ist auch, dass Kerstin Schön von der ganz in der Nähe wohnenden Tely Büchner persönlich bei Falckes vorbeiging. H. Falcke kann sich auf Nachfrage jedoch nur an ein Telefonat erinnern. Notizen zu Erzählungen verschiedener Personen zum Zeitablauf am Morgen des 4. 12. 1989, Archiv GfZ  

[10]   Interview mit Almuth Falcke, „Brücke“, Erfurter Straßenzeitung Nr. 26 1999, Hrg.: Kontakt in Krisen e.V., in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, S. 137.

[11] Andreas Dornheim: Politischer Umbruch in Erfurt 1989/90, Weimar 1995, S. 12.; und Redebeitrag von Manfred Ruge am 16. Januar 2014 in der Gedenkstätte Andreasstraße zum Vortrag von Dr. Jens Schöne, LStU Berlin

[12] Almuth Falcke, Verena Kyselka, Elisabeth Kaufhold und Barbara Sengewald waren ebenfalls Mitglied der „Frauen für Veränderung“.

[13] Vielfach gibt es unterschiedliche Erinnerungen, was für ein Fahrzeug es genau war. Auch in den MfS-Unterlagen gibt es falsche Angaben dazu. Fotos belegen aber, dass es ein Turmwagen für die Oberleitungsreparatur der Verkehrs­betriebe war.

[14]   anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 10. Jahrestag der Stasi-Besetzung am 4. 12. 1999, Notizen von P. Große, Archiv GfZ

[15] Es handelt sich dabei um die turnusmäßig wöchentlich stattfindende Sitzung der damaligen Stadträte, heute zu vergleichen mit den Dezernenten, nicht aber um eine Sitzung der Abgeordneten.

[16]   Interview mit Tely Büchner 2004 in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a.a.O., S. 176f.

[17] Interview der Redakteurin der SED-Tageszeitung ‚Das Volk‘, Eva-Maria Rahneberg mit Kerstin Schön noch am 4. Dezember 1989. Das Volk, 5. 12. 1989

[18] Zeitzeugengespräch mit dem früheren Oberbürgermeister Hirschfeld, telefonisch am 21. 11. und 25. 11. 2013.

[19] Der Name ist uns bekannt, er will aber nicht genannt werden. Der eigentlich zuständige Stadtrat Beuthe, inoffiziell zugleich „Offizier des MfS im besonderem Einsatz“, war schon lange Zeit krank.

[20]   Es mag heute verwundern, dass es mit hochrangigen Funktionären sofort zu einem Gespräch kam. Da aber Kerstin Schön zu diesem Zeitpunkt bereits von den Demon­strationen als Rednerin bekannt war, ist das in der damaligen Situation erklärbar.

[21]   Interview mit Tely Büchner 2004 in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a.a.O., S. 176f

[22] Fernschreiben von GMaj. Schwarz an GLtn. Schwanitz cfs 05, luft „Information über die gewaltsame Erzwingung des Zutritts oppositioneller Kräfte zum Bezirksamt für nationale Sicherheit Erfurt“ (Unterlagen der BStU Berlin, in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt Teil 2, a.a.O. S. 137ff.)

[23]   Gespräch der GfZ mit dem damaligen Leiter der Verkehrsleitstelle Nowak.

[24]   Im Fernschreiben (vgl. 42) des MfS/AfNS wird dies Kerstin Schön zugerechnet - offensichtlich eine Verwechslung durch die gleichen Familiennamen.

[25]    Interview mit Barbara Sengewald, in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt Teil 1, a.a.O., S. 153

[26] Gabi Stötzer berichtet, dass sie sich nach dem Gespräch im Rathaus gegen 9 Uhr ebenfalls zur Staatsanwaltschaft am Gothaer Platz begeben hat, um zu erreichen, dass sich die Staatsanwälte gemäß ihrer Dienstobliegenheiten dafür einsetzen, die Aktenvernichtung zu unterbinden. Gabi Stötzer suchte den Staatsanwalt der Stadt Erfurt auf, dessen Dienstsitz sie auf Grund ihrer Verurteilung wegen der Proteste gegen die Biermann-Ausweisung kannte. Ein Zusammentreffen von Gabi Stötzer mit Barbara Sengewald und Angelika Schön, die zum gleichen Zeitpunkt im Gebäude waren, erfolgt nicht. Interview mit Gabi Stötzer u.a., in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt Teil 2, a.a.O., S. 60

[27]     Mit Herbert Gräser gibt es bisher kein Interview. Dieser Fakt ist aus Gesprächen bekannt, die andere mit ihm geführt haben.

[28]   Dabei sind: Almuth Falcke, Sekretärin der Propstei und Mitglied der Gruppe »Frauen für Veränderung«; Johannes Staemmler, damals Studentenpfarrer; Dr. Bernhard Dittrich, Regens (Leiter) des katholischen Priesterseminars Erfurt; Hartmut Lippold, Rektor der Evangelischen Predigerschule; Michael Meinung, CDU-Mitglied und Redakteur beim Thüringer Tageblatt; Jörg Kallenbach, CDU-Mitglied und in der Umweltgruppe der »OASE« aktiv; Kurt Peterknecht, Buchhändler; Herbert Gräser, genannt Leo, alias IMB »Schubert«, die anderen Namen sind noch nicht bekannt

[29]   Bereits in einer Dienstanweisung vom 31. Oktober 1989 hatte Erich Mielke zum Umgang mit Demonstranten empfohlen: „Wenn sie die Absicht haben, mit uns zu sprechen, sind wir gesprächsbereit. Bilden Sie eine Abordnung von (3-5) Personen, mit denen ein Gespräch stattfinden kann.“ Für alle Fälle wurde in diesem Fernschreiben aber auch angewiesen, die Verteidigung der Dienstobjekte vorzubereiten. Aufgabenstellung zur verstärkten Gewährleistung einer hohen Sicherheit an den Dienstobjekten der BV, KD, Objektdienststellen vom 31.10.89/ BStU,MfS,BUL/Dok 005033 /VVS 0008-84/89 Seite 6 der Anlage in www.bstu.Bund.de/DE/Wissen/DDR Geschichte/ Revolutionskalender Okt..89

[30]   Fernschreiben „Information über die gewaltsame Erzwingung des Zutritts oppo­sitioneller Kräfte zum Bezirksamt für nationale Sicherheit Erfurt“, a.a.O., S. 138

[31] Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a. a. O., S. 202 f.

[32] Andreas Dornheim Politscher Umbruch in Erfurt 1989/90 Seite 146

[33] Auf dem Foto: (hinten vlnr.): Rolf Tanz †, unbekannt, Gabi Stötzer (Kachold), Barbara Sengewald (Weisshuhn), Generalmajor Schwarz †, (vorn vlnr.): Tely (Petra) Büchner (unten), Kerstin Schön (Rakuna) (v. hinten), Arthur Wild †-(v. hinten), unbekannt, Johannes Staemmler, unbekannt.

[34] Interview mit Uli Scheidt, in: Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a. a. O., S. 202.

[35] Interview mit Ulrich Scheidt 2004, in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a. a. O., S. 202f. Tely Büchner beschreibt es so: „Wir waren auch wie im Rausch. Das war so ein Zustand, wo man sagen muß, man hat auch gar keine vordergründige Angst mehr. Also es war einem schon noch bewusst, dass das alles ziemlich heikel ist. Aber man kann sich in diesem Moment nicht vorstellen, dass dort einer dieses Ding zückt und wirklich auf einen richtet und das hat ja auch keiner gemacht. Aber zum Teil fühlte ich mich schon wie aufgeputscht, aber es war so ein Selbstverständnis, dass man irgendwie dachte, jetzt ist das dran, das und das und das war so, als hätte man das schon fünfmal gemacht. Es waren so schlafwandlerische Wege, die aber auch mit viel Energie verbunden waren, mit viel Konsequenz. Aber auch diese Selbstsicher­heit, mit der wir da hingegangen sind und gesagt haben… Wir wollen jetzt sofort auch hier mit rein. Dann fingen die zwar noch an zu diskutieren, und wir sind dann einfach weitergelaufen und sind da auch einfach reingegangen.“ Interview mit Tely Büchner 2004, in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a. a. O., S. 179f.

[36]   „Soldaten auf Zeit“ leisteten freiwillig 3 statt der gesetzlich vorgeschriebenen mindestens 1 ½ Jahre Wehrdienst. Dies wurde mit garantiertem Zugang zum Abitur, zum Studium u.ä. „belohnt“. Sie wurden neben der NVA teilweise auch zu anderen militärischen Einheiten wie zum Beispiel zum Wachregiment des MfS eingezogen.

[37]   Interview mit dem Wachsoldaten S. Auf seinen Wunsch werden die konkreten Namen nicht genannt, da sie als Angehörige des Wachregimentes des MfS formal als ehemalige Mitarbeiter des MfS gelten. Sie waren zu dem Zeitpunkt bereits unbewaffnet, er schilderte, dass er schon eher aus Angst die Pistolen von beiden bei den Friseusen, die er gut kannte, im Friseursalon der Bezirksverwaltung in einem Kühlschrank versteckt hatte.

[38]   ebenda

[39] Gemeint ist das Gespräch der 10er Gruppe unter der Leitung von Almuth Falcke.

[40] In dem Schreiben heißt es dann weiter: „Die Frau Schön hatte zuvor den Staatsan­walt des Bezirkes über ihre Absicht, Archivmaterialien und andere Unterlagen im Amt für Nationale Sicherheit vor Vernichtung zu bewahren, in Kenntnis gesetzt.“ Tatsächlich war nicht Kerstin, sondern Angelika Schön mit Barbara Weisshuhn (jetzt Sengewald) und Manfred Ruge beim Staatsanwalt. Aufgrund der Nachnamensgleichheit kam es offenbar zu dieser Verwechslung.

[41] Fernschreiben von GMaj. Schwarz an GLtn. Schwanitz cfs 05, luft „Information über die gewaltsame Erzwingung des Zutritts oppositioneller Kräfte zum Bezirksamt für nationale Sicherheit Erfurt“ (Archiv der BStUBerlin, in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 2, a.a.O., S. 129ff). Tatsächlich kam es aber zu keinerlei Gewaltanwendung, weder durch die Besetzer noch durch Angehörige des MfS/AfNS.

[42] GVS Eft. 002-104/89 vom 24.11.1989/ AfNS –Bezirksamt Erfurt, Genmaj. Schwarz gemäß Dienstberatung vom 23.11.89 und Umsetzung des Schreibens vom 22.11.89 des Ltrs. AfNS. Gen.Schwanitz , in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a.a.O., S. 24

[43] vgl. Fußnote 54

[44]   In dieser Anlage wird Papier mit Wasser zu einem Brei verrührt.

[45] AfNS BA Erfurt der Leiter GVS 002-104/89 Erfurt, den 24.11.89 und Anlagen, Archiv d. BStU Erfurt Kopie im Archiv GfZ

[46] Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1,a.a.O. S. 27..

[47]   Die U-Haft war zu dieser Zeit aufgrund einer Amnestie nicht mehr belegt. Später werden in der vom MfS genutzten oberen Etage, in der anstelle von Fenstern nur Glasziegel Licht einlassen, die Akten aus den aufgelösten Kreisdienststellen eingelagert, bevor sie in der Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen zusammengeführt werden. Dadurch bleiben die Räume in dem Zustand von 1989 und sind jetzt in die Gedenk- und Bildungsstätte integriert.

[48] Uli Scheidt berichtet: „Kurz darauf schrie jemand: ‚Los in den nächsten Raum!‘. In dem Moment, wo alle losstürzten, das Nächste sehen wollten, da habe ich ganz laut gebrüllt: ‚Ihr bleibt hier‘. Alle haben mich irritiert angeguckt. ‚Wir können nicht gehen und das einfach hier weiterlaufen lassen. Die Tür muss zugemacht werden und es muss sich jemand vor die Tür setzen. Klar keiner wollte bleiben, sondern alle mitgehen. Da habe ich mich weit aus dem Fenster gelehnt: ‚Ich garantiere die Ablösung … die Leute haben dann allerdings Stunden gesessen!‘“, in: Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a. a. O., S. 202 f.

[49] Das sind unter anderen Matthias Büchner, Elmon Grobe (damals Karran), Holger Eisenberg, Dieter Klipphan, Dieter Seidel, Ilona Kühne, Christian Petzold, Dietmar Ritter und Klaus Vockerodt.

[50]   Die dritte Person ist möglicherweise Gabi Stötzer. Sie schildert die Verhandlung mit Oberst Schneeberg allerdings so, als hätte sie noch im Rathaus stattgefunden. Die Geschichte des Bürgerkomitees Teil 2, a.a.O. S. 58f

[51]   vergleiche die Anweisung von Mielke vom 6. 11.1989

[52] Fernschreiben cfs 05, luft, in: Archiv der BStU Erfurt, siehe Anlage Information über die gewaltsame Erzwingung des Zutritts oppositioneller Kräfte zum Bezirksamt für Nationale Sicherheit Erfurt.

[53] Fernschreiben cfs 17, luft vom 4.12.1989 des AfNS, Archivs der BStU Berlin, in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 2, a.a.O. S. 123

[54]   Interview mit Günter Frank, in Die Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt, Teil 1, a.a.O. S. 191f

[55] Ob zu diesem Zeitpunkt bereits die Bezeichnung „Bürgerkomitee” in Rede stand, ist nicht mehr exakt nachvollziehbar.

[56] Sowohl Gabi Stötzer in einem Artikel von 1999 als auch sie und Sabine Fabian, Kerstin Schön, Tely Büchner in ihrem gemeinsamen Interview 2009 beschreiben, wie nach und nach die nächsten Schritte beschlossen werden, von einem Plan ist an keiner Stelle die Rede: „…wir mussten selbst in die Stasizentrale hinein und beschlossen darum jetzt, sofort, mit der Stasibesetzung zu beginnen. Wir wussten nicht genau wie“. Demnach war sich K. Schön mit den anderen einig, „die Leute aufzurufen, die Staatssicherheit zu stürmen“. Übereinstimmend berichten G. Stötzer, 2000 und K. Schön „Gabi hatte dann die Idee, Frauen aus anderen Frauengruppen mit einzubeziehen“.

Die seit 2013 verbreitete Aussage, dass ein Ablaufplan für die Besetzung und wie man vorgehen könnte bereits Abend des 3. Dezember entwickelt wurde, ist deshalb frag­würdig. Sicherlich stellt sich das subjektiv in der Erinnerung so dar. Das ist aber insofern nicht relevant, als diese Personen an der Initiative und den ersten Schritten beteiligt waren.

[57] Auch die seit 2013 immer wieder zu lesende Aussage, dass „5 Frauen die Initiative ergriffen“ haben – oder sogar die Formulierung, dass „5 Frauen die Stasi besetzt haben“ ist so schlicht falsch. Es besteht kein Zweifel, dass die Gabi Stötzer, Sabine Fabian, Kerstin Schön, Tely Büchner und Claudia Bogenhardt an ganz aktiv beteiligt waren. Zugleich waren aber weitere Personen wie Angelika Schön, Almuth Falcke, Elisabeth Kaufhold, Barbara Sengewald, Manfred Ruge und Ulrich Scheidt aktiv an der Besetzung beteiligt, Es macht daher keinen Sinn, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Gruppe von Initiatorinnen abschließend zu definieren.

[58]   Am selben Abend wurden die Bezirksverwaltungen in Leipzig, Suhl und Rostock besetzt, am nächsten und Übernächsten Tag die in den anderen Bezirksstädten. Die Zentrale der Stasi in Berlin wurde jedoch erst am 15. Januar besetzt.