Die Enttarnung der geheimen Stasi-Mitarbeiter

Eher zufällig stießen Mitarbeiter der operativen Gruppe auf einen Stasi-Befehl zu geheimen Mitarbeitern. Die Existenz dieser Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) war bislang unbekannt. Es waren Stasi-Mitarbeiter, die getarnt in anderen Bereiches des Staates tätig waren dem MfS zur Loyalität verpflichtet waren. Trotz Stasi-Auflösung waren sie bislang unerkannt.

Das staatliche Auflösungskomitee, auch Eichhorn-komitee nach seinem Leiter genannt, wollten diesen Skandal offenbar vertuschen. Sie verweigerten die Herausgabe des Befehls an die Bürgerkontrolleure. Stasi-Auflöser Hans Schwenke ersann eine Kriegslist.

Film Hans Schwenke, damals operative Gruppe.

Die Bürgerkontrolleure hielten Ende Mai die sogenannte OibE-Ordnung 6/86 des MfS in den Händen. Sie definierte die OibE als „Angehörige des MfS, die im Interesse der dem MfS übertragenen Verantwortung zur umfassenden Gewährleistung der staatlichen Sicherheit auf den Gebieten der Abwehr und der Aufklärung unter Legendierung ihres Dienstverhältnisses in sicherheitspolitische bedeutsamen Postionen im Staatapparat, der Volkswirtschaft oder in deren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (Einsatzobjekte) eingesetzt wirksam werden.“

Ordnung 6/86, BStU Die ehemaligen Stasimitarbeiter versuchten den Fund zu verharmlosen, OibE seien dienstuntaugliche Mitarbeiter, die man in andere Bereich weggelobt habe bzw. aus finanziellen Gründen habe loswerden müssen.[1] Später stellte ich heraus, dass wichtige Schlüsselpositionen z.B. bei der Kriminalpolizei, im Ministerrat oder in den Bereichen für Inneres, die die Ausreiseantragsteller bekämpften mit OibEs besetzt waren.

Diese Information war so brisant, dass Hans Schwenke sie nicht für sich behalten wollte, obwohl die Mitarbeiter der operativen Gruppe eigentlich zum Schweigen verpflichtet werden sollte. Listiger Weise veröffentlichte das ehemalige SED-Mitglied Schwenke seinen Fund im ehemaligen SED-Zentralorgan Neues Deutschland. Der Skandal war damit doppelt so groß.

Hans Schwenkes zweiter Streich „Mielkes Befehl 6/86 und die Uberlebensordnung des MfS". ND 19.6.1990, Seite 6. https://www.nd-archiv.de/ausgabe/1990-06-19

Schwenke sollte vom Leiter des Auflösungskomitees, Eichhorn, diszipliniert werden, aber man schreckte davor zurück, um nicht noch mehr öffentlichen Wirbel zu erzeugen. Der Artikel war durchaus angreifbar, Schwenke hatte über eine Überlebensordnung des MfS spekuliert, wonach die OibEs im Krisenfall Staatsvermögen zugunsten von MfS-Seilschaften sichern sollten. Doch diese Anweisung hatte Schwenke nicht finden können, sondern kannte nur Gerüchte. Die von ihm zitierte Ordnung 8/86 regelte, wie sich später herausstelle, andere Sachverhalte.[2]

Doch auch machte der Artikel zu den geheimen Stasimitarbeitern einen Skandal öffentlich. Der Sonderausschuss der Volkskammer zur Kontrolle der MfS-Auflösung nahm sich der Sache an. Da sie von Innenminister Diestel wenig Unterstützung erwarteten, versuchten sie Diestel „auszutricksen“. So erinnert es Harry Ewert. Der Stasiauflöser hatte Informationen, dass die Gehaltsliste der Stasi in Form von elektronischen Bändern in einem Objekt der Grenztruppen in Pätz, im Südosten von Berlin eingelagert sei. Zusammen mit zwei Volkskammerabgeordneten, fuhren sie mit Parlamentslimousinen und einer Polizeieskorte dorthin.

Film Harry Ewert, damals Stasiauflöser 

Aus den Bändern wurden alle auffälligen Daten von MfS-Mitarbeitern herausgefiltert und an Hand von Personalkarteien der Nachweis einer OibE-Tätigkeit geführt.[3] Die operative Gruppe und Volkskammerabgeordnete schwärmten in der Folgezeit sogar in die Bezirke aus, um OibE zu enttarnten. Ehemalige Mitglieder der Bürgerkomitees, die jetzt für den Sonderausschuss der Volkskammer in den Regionen tätig waren, führten Befragungen mit den Verdächtigten durch, erinnert sich Felber an seine Besuche in Karl-Marx-Stadt und Dresden.

Dass die Abgeordneten eigenständig mit den Personalakten hantierten führte zum Konflikt mit dem Innenminister Peter Michael Diestel, der im Juni den Parlamentsausschüsse den Aktenzugang vorübergehend sperrte. Es kam schließlich zu einem Kompromiss.[4] Diestel war selber angreifbar, da noch im September OibEs in seinem Innenministerium entdeckt wurden.[5]Selbst dem Diestel unterstellten Komitee zur Auflösung des MfS saßen, MfS-Mitarbeiter in Schlüsselfunktionen.

Film Harry Ewert, damals Stasiauflöser 

Dass im staatlichen Auflösungkomitee, dem sogenannten Einhorn-Komitee  so viele OibEs, so lange unentdeckt tätig waren, nährte damals den Eindruck, die Stasi habe sich in Eigenregie aufgelöst. Ganz falsch war dies nicht. Aber ohne die Bürgeraktititäten wäre es gar nicht so weit gekommen.  Weiteren Staub wirbelte das ARD-Fernsehmagazin „Kontraste“ mit einem Beitrag zu Thema auf, der weitere OibEs enttarnte.

Unentdeckt in die deutsche Einheit - Die Stasi-Offiziere im "besonderen Einsatz". „Kontraste“ vom 11. September 1990

Trotz des erheblichen öffentlichen Drucks konnte bis zur Deutschen Einheit nur ein Teil der ehemaligen MfS-Mitarbeiter in Tarnfunktionen entdeckt werden. Nach dem Ende der Volkskammer „versandete“ die Angelegenheit, meint heute der ehemalige Abgeordnete Konrad Felber.   

 


[1] Worst, Anne: Das Ende eines Geheimdienstes, Berlin 1991, S. 120ff

[2] Die kleine Anfrage 12/98 gibt Aufschluss darüber wie MfS-Mitarbeiter versuchten Vermöge an die Seite zu schaffen. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/12/019/1201998.pdf

[3] Gill, David; Schröter, Ulrich: Das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1991, S. 283

[4] Gill, David; Schröter, Ulrich: Das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1991, S. 283f

[5] Worst, Anne: Das Ende eines Geheimdienstes, Berlin 1991, S. 122