Das Ende der Kreisdienststelle Fürstenwalde

Von Inge Czerwinskse1

Inspektion statt Auflösung— Zum Ende der Kreisdienststelle Fürstenwalde des MFS

1. Initiatoren der Besetzung

Initiatoren der Besetzung in Fürstenwalde war eine Gruppe von fünf bis sechs Bürgern, darunter waren Pfarrer Fichtmüller, der Künstler Friedrich Stachat und Torsten Schruhl von ,,Demokratie Jetzt“.

2. Zeitliche Abläufe bei der Besetzung

Der zeitliche Ablauf kann rückblickend nicht mehr exakt rekonstruiert werden, da den Zeitzeugen Unterlagen fehlen. Die Protokolle des Runden Tisches Kreis und Stadt Fürstenwalde werden in Kreisarchiv Beeskow verwahrt. Die Besetzung der Kreisdienststelle des MfS in der Dr.-Wilhelm-Külz-Straße in Fürstenwalde kann treffender als ,,Inspektion“ bezeichnet werden. Dies fand in der ersten oder zweiten Dezemberwoche 1989 statt.

3. Kooperationspartner

Einziger Kooperationspartner war die Staatsanwaltschaft.

4. Vorgehensweise

Mit der Staatsanwaltschaft wurde der Zugang zum MfS erreicht. Dann folgte die Begehung der gesamten Anlage. In jedem Dienstzimmer wurden die Schränke versiegelt. Am folgenden Morgen wurden die Siegel um 7 Uhr überprüft.

5. Bildung des lokalen Bürgerkomitees

Die Besetzung bzw. Inspektion der Fürstenwalder Kreisdienststelle ist im Zusammenhang mit dem Runden Tisch zu sehen. Am 30. November 1989 fand im Festsaal des Alten Rathauses die konstituierende Sitzung des ,,Runden Tisches - Stadt und Kreis Fürstenwalde“ statt.

6. Arbeitsweise des lokalen Bürgerkomitees

Zur Sicherung des Runden Tisches wurden die Modalitäten festgelegt. Superintendent Kuhn übernahm die Moderation. Festgelegt wurde der Ablauf der Sitzungen, die Stimmberechtigungen, in welcher Weise die Parteien und Bürgerbewegungen die Presse informieren sollen und die Art der Protokolle. Ansprechpartner für die Bevölkerung und Kontaktadressen wurden benannt. Am Runden Tisch wurde eine ,,Kommission zur Überprüfung von Amtsmissbrauch“ gebildet. Sie nahmen zügig ihre Arbeit auf.

7. Kooperation mit Bürgern

Die Kooperation mit der Bevölkerung und Vertretern der ,,neuen“ politischen Gruppen am Runden Tisch im damalige Landkreis Fürstenwalde war intensiv. Sie war geprägt von Offenheit. Es gab frühzeitig Hinweise auf Aktenvernichtung in der Kreisdienststellte. Diese Hinweise wurden dann bei der Begehung oder Inspektion Anfang Dezember bestätigt. Im Keller der Dienststelle fanden sich in Regalen bis an die Decke völlig ungeordnet ,,gelagert“ Akten. Das Dienstzimmer des Dienststellenleiters, war noch fast vollständig eingerichtet. [...]

8. Aufgaben des Bürgerkomitee

[…] Laut den Protokollen des Runden Tisches im Kreisarchiv in Beeskow. Sitzung am 21. Dezember 1989 eine Anhörung des Dienststellenleiters. Ich war stimmberechtigtes Mitglied von ,,Demokratie Jetzt": und habe diese Anhörung erlebt. Sie diente ausschließlich der Verschleierung […]. Eine Arbeitsgruppe des Runden Tisches befasste sich systematisch mit der Staatssicherheit (Immobilien, wie Mobilien) und deren weitere Verwendung. Das Gebäude der Kreisverwaltung in der Wilhelm-Külz-Straße wurde dem DRK übergeben. Dafür erhielten die Bürgerrechtler und neuen Parteien das ehemalige DRK-Domizil als ,,Haus der Demokratie“ für ihre Arbeit ab Februar 1990 übertragen.

9. Verhältnis Bürgerkomitee zu Runden Tischen bzw. staatlichen Organen

Das Verhältnis der ,,oppositionellen Gruppen“ am Runden Tisch Fürstenwalde [...] zu den staatlichen Organen und Institutionen war geprägt von gegenseitigem Misstrauen. Die staatliche Stelle zeigte sich wenig kooperativ. Das kann ich an einem Beispiel illustrieren. Der in der Fürstenwalder Stadtverwaltung Inneres verantwortliche Mitarbeiter war unter Androhung von Demonstrationen und möglichen [...] Streiks dazu bereit gewesen, die Schlüssel das ,,Haus der Demokratie“ in die Dr.-Wilhelm-Külz-Straße 56 zu übergeben. (Siehe dazu auch Punkt 8).

11. Informationen über IM’s im Bürgerkomitee

Informationen über IM kursierten im Herbst 1989 eher gerüchteweise. Erst mit den Wahlen im Frühjahr 1990 gab es Grundlagen und Handlungsmöglichkeiten zur Überprüfung auf IM-Tätigkeit. Allerdings gab es Anfang 1991 den Versuch eines hauptamtlichen Mitarbeiters des MfS Fürstenwalde, wieder als Chemie-Lehrer im Schuldienst zu arbeiten. Massive Proteste von Lehrern, Eltern und Schülern haben dies verhindert.

12.—15. Positionierung zur Aktenvernichtung, Zusammenarbeit mit der Presse, erwähnenswerte Ergebnisse, vorhandene Nachweise. Zu diesen Punkten verweise ich auf die Protokolle des Runden Tisches, die im Kreisarchiv in Beeskow lagern.

Anmerkungen:

Um die Bedeutung einer Kreisdienststelle des MfS erfassen zu können, sind meines Erachtens einige Erläuterungen hilfreich. Dies möchte ich im Folgenden darstellen. Die Kreisstadt Fürstenwalde/ Spree liegt im Randgebiet von Berlin und nicht weit entfernt von der Grenzstadt Frankfurt (Oder). 1989 hatte die Stadt rund 35.000 Einwohner. Sie war wichtiger Industriestandort unter anderem mit dem Reifenwerk ,,Pneumant“, ,,Gisag“ und mit dem ,,VEB Chemie- und Tankanlagenbau“, der in das nichtsozialistische Ausland exportierte. Die Stadt beherbergte die Samariteranstalten, eine konfessionelle Stiftung für die Betreuung, Behandlung und Förderung mehrfach behinderter Menschen. In dieser Ausbildungsstätte sammelten sich gleichzeitig kritische junge Menschen. Darüber hinaus war Fürstenwalde Militärstützpunkt der NVA und der sowjetischen Streitkräfte. Im nahe gelegenen Bad Saarow existierte die Militär-Medizinische Akademie. Die Rauener Berge beherbergten den „Fuchsbau“, die unterirdische zentrale Luftraumüberwachung der Staaten des Warschauer Paktes. Die Situation in Fürstenwalde/ Spree glich der anderer Städte in der DDR 1989: Versorgungsengpässe, Unzufriedenheit in der Bevölkerung, starke Ausreisewelle, Umweltaktivitäten. Im Oktober 1989 wurde durch das Pfarrerehepaar Ute und Heino Winkler die ,,Kirchliche Initiativgruppe“ gegründet. Im Pfarrhaus trafen sich Gleichgesinnte, um zu diskutieren und erste Aktionen zu organisieren. Dort kursierten auch Materialien über neue Oppositionsgruppen und Parteien („Demokratie jetzt“, „Neues Forum“, „Demokratischer Aufbruch“, „SDP“, „Die Grünen in der DDR“). Die Gruppen formierten sich und vor allem das ,,Neue Forum“ zählte bald viele Mitglieder. Die „Kirchliche Initiativgruppe“ bereitete gemeinsam mit Vertretern der Bürgerbewegung und den neuen Parteien die ersten Kundgebungen am Dom in Fürstenwalde am Abend des 3. November 1989 vor. Auch die große Demonstration vorn 11. November 1989 wurde dort vorbereitet.

[...]

Mit der Bildung des Runden Tisches am 30. November wurde die Erstbegehung der MfS-Kreisdienststelle legitimiert. Allerdings war hier von den Genossen schon „ganze Arbeit“ geleistet worden. Die Monitore in den Diensträumen waren ausgeschaltet, Material war entfernt bzw. schon im Heizhaus verbrannt worden. Der Waffenraum war Anfang Dezember 1989 noch gefüllt gewesen. Auf dem Dachboden lagen Sandsäcke vor den Fenstern. Heute arbeitet in den Gebäuden das Deutsche Rote Kreuz laut einem Beschluss des Runden Tisches. Vor dem Hause hat eine Bürgerinitiative am 18. Marz 2007 eine Stelle errichtet. Sie tragt folgende Inschrift: „Von 1965 bis 1989 befand sich in diesem Hause die Kreisdienststelle des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Ende 1989 beobachteten 68 offizielle und über 500 inoffizielle Mitarbeiter Tausende Menschen aus der Region, sammelten Daten, die zur Einschüchterung - Verfolgung – oder Verhaftung führen konnten.“

 

 

Quellen:

Protokolle des Runden Tisches des Kreises und der Stadt Fürstenwalde im Archiv des Landkreises Oder-Spree in Beeskow.

Projektarbeit von Schfilern des Katholischen Gymnasiums ,,Berhard.inum“ in Fürstenwalde.

Die Geschichte des MfS in Fürstenwalde, betreut von Franz Josef Niehus.

Unterlagen (Kopien) der Kreisdienststelle des 1\IfS in Fürstenwalde in der BStU-Außenstelle Frankfurt (Oder).

Stadt Fürstenwalde (Hg.): Oben und unten und X-mal gewendet. Demokratiebewegungen in Fürstenwalde vom Mittelalter bis 1989 (Fürstenwalder Lesebuch, Bd. 2), Fürstenwalde 2009.

1Zeitzeuging