Historischer Abriss zur Besetzung und Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und der Akteneinsichtnahme Okt 1989 bis Dez 1991

26. 10. 1989          Der in der Bevölkerung vorhandene Frust und das Misstrauen gegen den allgegenwärtige Überwachungs­apparat hatte sich bereits bei der ersten großen Demonstration am auf dem Erfurter Domplatz mit den immer lauter werdenden Sprechchören: "Stasi raus" und " Wir sind das Volk" Luft gemacht.

13. 11. 1989          Hans Modrow wird zum neuen Vorsitzenden des Ministerrates gewählt. Zum ersten Mal findet im DDR-Parlament eine offene Debatte über die Situation des Landes statt, zum ersten Mal sind Zahlen über die ökonomische Krise zu hören.

17.11.1989            Hans Modrow kündigt in seiner Regierungserklärung an, dass das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in ein Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgebildet wird.

Der verhasste Ex-Stasi-Chef Mielke gibt vor der Volkskammer die Begründung für sein langjähriges Wirken:” Ich liebe euch doch alle!”

21.11.1989                    Generalleutnant Wolfgang Schwanitz wird zum Leiter des Amtes berufen. Er stand seit den 50-iger Jahren in den Diensten des Staatssicherheits­dienstes und war einer der Stellvertreter Mielkes.

1. 12.1989             der Führungsanspruch der SED wird nach nur einer Viertelstunde Debatte in der Volkskammer aus der Verfassung gestrichen

3. 12.1989             Unter dem Druck der Bevölkerung und der Parteibasis erklären Zentralkomitee und Politbüro der SED nach der 12.Tagung des ZK der SED, geschlossen ihren Rücktritt.

Die SED-Funktionäre Honecker, Stoph, Sindermann, Mielke, Tisch, Krolikowski, Kleiber, Ziegenhahn, Müller und Albrecht werden wegen schwerer Verstöße gegen das Statut aus der Partei ausgeschlossen.

Nach Alexander Schalck-Golodkowski wird gefahndet, weil er mit der Rostocker Außenhandelsfirma IMES GmbH einen illegalen Waffenhandel aufgezogen und Devisen in die Schweiz verschoben haben soll.

3. 12.1989             in Grünheide bei Berlin kam eine überregionale Initiativgruppe des NF im Haus von Robert Havemann zusammen. In diese Beratung platzen die Nachrichten:
    von der Flucht des seit Tagen in die Schusslinie geratenen Staatssekretärs und Leiters des Bereiches "Kommerzielle Koordinierung" Alexander Schalk - Golodkowski und mit der Absetzung in Zusammenhang stehender Verschiebung von Finanz - und Sachwerten ins Ausland;
    von Aktenvernichtung und dem Auffinden von 2 Mio. Mark der DDR ohne Belege in der Berliner Zentrale des FDGB durch Mitglieder des NF;
    vom Ausschluss E. Honeckers, W. Stophs, H. Tischs, H. Sindermanns, E. Mielkes aus der SED; H. Tisch, G. Mittag und die Bezirkschefs der SED G. Müller (Erfurt) und E. Albrecht (Suhl) werden verhaftet.

Nach intensiver Beratung und harter Auseinandersetzung wurde von der Initiativgruppe ein Flugblatt erarbeitet, in dem zur Bürgerkontrolle in Wirtschafts- und Staatsapparat aufgerufen wurde.

4.12.1989              am Morgen werden in Erfurt die Bezirksverwaltung und die Kreisdienststelle des MfS/AfNS von Bürgern besetzt. Ein Bürgerkomitee wird gegründet und betreibt die Auflösung des MfS/AfNS und den Erhalt der Akten.

Noch am gleichen Tag erfolgten gleichartige Aktionen in Leipzig (nach der Montags­demo), in Suhl, Schwerin und Rostock sowie in zahlreichen Kreisdienststellen in der ganzen DDR. Diese setzten sich am 5. 12 in Dresden, Frankfurt/O, Magdeburg und vielen anderen Städten der DDR fort, am 6. 12.. in der Bezirksverwaltung in Berlin; die Zentrale in der Normannenstraße arbeitet ungehindert weiter.

Aktenvernichtung und Umstrukturierung desMfS/AfNS

20.11.1989                  Tatsächlich erließ General Schwanitz einen Befehl der infolge der erkennbaren politischen Unsicherheit eine lange Liste mit zu vernichtenden Unterlagen enthielt, in den folgenden Tagen wurde dies von ihm durch weitere Anweisungen konkretisiert.

 22.11.1989   Ein Schreiben des AfNS Berlin geht beim Bezirksamt Erfurt ein:

”...zur Reduzierung des Bestandes registrierter Vorgänge und Akten sowie weiterer operativer Materialien und Informationen sind zur Gewährleistung des zuverlässigen Quellenschutzes und der Geheimhaltung spezifischer operativer Mittel, Methoden bzw. Arbeitsergebnisse Maßnahmen zur differenzierten Auslagerung bzw. Vernichtung von registrierten Vorgängen und Akten....durchzuführen.”

Die Zeit bis zum 4.12.1989 reichte nicht aus, sämtliche Materialien zu beseitigen. Angehörige des AfNS nutzten ihren Verbleib im Bezirksamt trotz Bürgerwache weiter dazu aus, belastende Schriftstücke beiseite zu schaffen.

Das war möglich, weil der Zeitrahmen zur vollständigen Auflösung des AfNS relativ lang gestreckt war, was vom Bürgerkomitee sanktioniert wurde. Wertvolles Material und beweisfähige Dokumente gingen somit verloren.

Das MfS/AfNS hatte auch auf einem anderen Gebiet Vorsorge getroffen. Bereits vor der Besetzung hatten personelle Umstrukturierungen begonnen, um hauptamtlichen Mitarbeitern eine andere Tätigkeit zu vermitteln. Der Leiter der Bezirksbehörde Generalmajor Schwarz plante eine 1.200 Mitglieder umfassende Behörde, in der auch die Anzahl der Kreisdienststellen durch Zusammenlegung verringert werden sollte. Die zu entlassenden Mitarbeiter sollten nicht arbeitslos werden, sondern beim Zoll und in der Volkspolizei eine neue Anstellung finden (beispielsweise waren am 27.11.1989 anlässlich eines Rapportes 632 Mitarbeiter für den Einsatz beim Zoll, 110 Schutzpolizisten, 8 ABV, 14 als Angehörige für den Strafvollzug vorgesehen). Nur die Stasi-Spezialisten sollten gehalten werden.

In gleicher Weise wurden Anordnungen für die Behandlung von Objekten, die vom MfS/AfNS genutzt wurden, getroffen (Haarberg, Friedrichroda u.a.).

6.12.1989              In einem 22.20 Uhr bei der Bezirksverwaltung des AfNS eingegangenen Fernschreiben (CFS 44) von Schwanitz wurde angeordnet, welche Unterlagen von Bürgerrechtsbewegungen und autorisierten Kontrollgruppen eingesehen werden dürfen. Zu den Dokumenten und Materialien, zu denen die Einsichtnahme zu verweigern war, gehörten u.a.:

  • IM/GMS-Unterlagen, einschließlich IM/GMS-Nachweise,
  • OV, OPK u.a. Materialien, aus denen konkrete Schlussfolgerungen zu IM's möglich sind.

8.12.1989              Die Regierungskommission zur Auflösung der Stasi konstituiert sich.

Ihre Befugnisse und Aufgaben waren nicht durch gesetzliche Bestimmungen definiert, sondern durch den Auftrag der Regierung Modrow, die Forderungen des Bürgerkomitees und durch die Entwicklung der öffentlichen Meinung bestimmt. Leiter der Kommission war der Sonderbeauftragte Schenk. In die Regierungs­kommission wurden berufen:

 Neben Staatsanwalt, Vertreter des Bezirksgerichtes, Volkskammerab­geordnete, Vertreter des Präsidiums der Volkspolizei, zwei Mitarbeiter des Staatsarchivs Weimar, sind vier Vertreter aus dem Erfurter Bürgerkomitee

Die Zielstellungen des Regierungsbevollmächtigten Schenk und die des Bürger­komitee waren einander entgegen gerichtet. Das Bürgerkomitee verfolgte die Zielstellung der vollständigen Zerschlagung des Geheimdienstes als Machtinstrument der SED sowie die Sicherung der Freiheit und Würde der Bürger. Ziel des Regierungs­bevollmächtigten waren die Neustrukturierung des Geheimdienstes im AfNS, bzw. in einem Verfassungsschutz, die Erhaltung von Ruhe und Ordnung im Sinne der Konsolidierung der Macht der Regierung und die Sicherung der Interessen der ehemaligen Stasi-Mitarbeiter und der Mitglieder der SED/PDS.

Im Spannungsfeld dieser unterschiedlichen, widersprüchlichen Zielstellungen setzten die BK-Mitglieder dennoch folgende Aufgaben durch:

   Sicherung und Aufbereitung des vorhandenen Aktenmaterials,

   Entwaffnung der Mitarbeiter des MfS/AfNS,

   Aufdeckung möglicher Straftaten des MfS/AfNS und der SED,

   Aufdeckung der Strukturen des MfS/AfNS,

   Zerstörung der technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Bespitzelung der Bevölkerung.

4.1.1990.               Auf der ersten Demonstration des neuen Jahres wird von rund 30.000 Menschen die endgültige Auflösung der Stasi gefordert.

4.1.1990                der Runde Tisch der Stadt Erfurt tagt das erste Mal. Delegierte sind auch hier Mitglieder des Bürgerkomitees. Debatten über die Nutzung ehemaliger Einrichtungen des MfS/AfNS und die Sicherheitspartnerschaft waren unter anderen beherrschende Themen des städtischen Runden Tisches. Wegen der Bildung des Interimsparlamentes beendete Er am 21.2.1990 seine Tätigkeit.

4./ 5.1. 1990          Erstes Koordinierungstreffen von Vertretern der Bürgerkomitees aller DDR-Bezirke in Leipzig

ab 5.1.1990           wird den Mitarbeitern des AfNS der Zugang zur Dienststelle endgültig verwehrt. Es herrschten inakzeptable Zustände: in den Protokollen des Bürgerrates und des Bürgerkomitees ist von Täuschung der Bürgerwache, Bedroh­ung und Einschüchterung, Verspottung der Bevölkerung durch MfS-Angehörige, von MfS-Sendern, die noch in Betrieb sind, von Aktenvernichtung die Rede.

Ab 12.1.1990 wurde den Mitarbeitern des MfS/AfNS aus Sicherheitsgründen das Betreten der Gebäude verboten, ab Mitte Januar erfolgte eine zweiwöchentliche Schließung der Bezirksverwaltung, ab dem 23.1.1990 begannen die Entlassungen der MfS/AfNS-Angehörigen.

11.1.1990              Auf dem Erfurter Domplatz versammelten sich fast 50.000 Menschen, da bekannt geworden war, dass die Modrow-Regierung ein Amt für Verfassungsschutz gründen wollte und auf der 14. Tagung der Volkskammer am gleichen Tag über die Geheimdienstpläne der Regierung beraten werden sollte.

34 Erfurter Bürgerrechtler fuhren in den Nachtstunden vom 11. zum 12.1.1990 nach Berlin. Unterstützung aus anderen Bezirken erhielt das Bürgerkomitee Erfurt nicht, obwohl die Aktion den Leitungen des NF bekannt war. In Berlin verteilten die Erfurter zunächst ihre Flugblätter. Sie konnten Berliner Taxi-Fahrer für ihre Aktion gewinnen, die sich bereit erklärten einen Autokorso um die Volkskammer zu veranstalten.

Die Mitglieder des Bürgerkomitees postierten sich vor den Eingängen der Volkskammer und übergaben den Abgeordneten ihre Flugblätter. Dabei traf

Matthias Büchner auf den Ministerpräsidenten Modrow, dem er kurzerhand die Forderung des Bürgerkomitees vortrug. Er teilte ihm weiter mit, dass die Bürgerbewegungen in den südlichen Landesteilen Streikbereitschaft signalisiert hätten, wenn es zur Bildung eines neuen Geheimdienstes käme!

M. Büchner und Barbara Weißhuhn wurden zur Teilnahme an der Volkskammer-Sitzung eingeladen. Nach ihrer Aussage hat Modrow innerhalb einer halben Stunde sein Redekonzept geändert, so dass im Ergebnis der Volkskammer -Sitzung von der Planung und Errichtung eines neuen Geheimdienstes Abstand genommen wurde.

13.1. 1990         Beschluß des Ministerrates, das AfNS ersatzlos aufzulösen und keinen "Verfassungsschutz" vor den Wahlen aufzubauen

14.1. 1990         Stellungnahme der Vertreter der Bürgerkomitees auf ihrem Treffen in Berlin für die Sitzung des Zentralen Runden Tisches am 15. 01.1990, in der sie u.a. den "sofortigen Beginn der Auflösung des MfS/AfNS und aller damit zusammenhängenden Strukturen" forderten

15.1. 1990             Beginn der Übernahme des Ministeriums in der Berliner Normannenstraße durch Vertreter von Bürgerkomitees aus den Bezirken; nach einer Demonstration vor dem Gelände "Sturm auf die Stasi-Zentrale"

Zu einer Aktion der besonderen Art kam es am 29.1.1990, als die Telefonanlage der Bezirksbehörde des MfS/AfNS sprichwörtlich unter den Hammer kam. Symbolisch zerschlugen vor dem Gebäude Mitglieder des Bürgerkomitees und Vertreter der Volkspolizei die Abhörtechnik. Wie Hans Gerling erläuterte, waren in der eigentlichen Abhörzentrale 800 Doppeladern gekappt worden, mit deren Hilfe 100-150 Telefongespräche im Bezirk Erfurt gleichzeitig abgehört werden konnten.

1.2. 1990         Beratung zwischen Vertretern der Staatlichen Archivverwaltung, des Bürgerkomitees Normannenstraße und der Regierung zur Sicherung des Stasi-Archivs; danach Aktenberäumung aus etwa 5.800 Büros der Diensteinheiten des MfS und Transport der Unterlagen mit LKW aus den verschiedenen Berliner Liegen­schaften des MfS in das Zentralarchiv

7. 2. 1990              Die Stadtverordnetenversammlung Erfurt löst sich auf. Bereits am 31.1.1990 fand ein Treffen der etablierten Parteien und neuen Gruppierungen zur Errichtung einer veränderten Volksvertretung - dem Interimsparlament - beim OB statt, welches bis zur Kommunalwahl die Aufgaben der bisherigen Stadtverordneten­versammlung übernehmen sollte.

21.2.1990              Das Interimsparlament nimmt seine Arbeit auf.

Vom Bürgerkomitee waren u.a. Barbara Weißhuhn und Kerstin Schön ständige Mitglieder der neuen Stadtverordnetenversammlung. Das Interims­parlament kam in insgesamt 6 Sitzungen zusammen und bestand bis zur Kommunalwahl am 6. Mai 1990. Erwähnenswert bleibt die 5. Sitzung auf der die CDU Fraktion, infolge des Ergebnisses der Volkskammerwahl die Repräsentanz des Interimsparlamentes anzweifelte und aufgrund der nach der Wahl bestehenden Mehrheitsverhältnisse (Allianz für Deutschland) zusammen mit dem DA, der SPD, der DSU und dem BFD die Sitzung verließ. Damit fehlte die Beschlussfähigkeit. Auf gleicher Sitzung wurde auch über die Abberufung aller Leiter städtischer Funktionen beraten, die Mitglieder der SED waren. Am 23.4.1990 fand die letzte Sitzung des Interimsparlamentes statt.

8.2. 1990         Ministerratsbeschluß über weitere Maßnahmen zur Auflösung des ehemaligen AfNS regelt die Konzentration des Schriftgutes in Depots in den Bezirken bzw. in Berlin unter Kontrolle der Bürgerkomitees, aber in alleiniger Verantwortung des MfIA. Die Akten werden gesperrt. Es wird ein Staatliches Auflösungskomitee unter Vorsitz von Günter Eichhorn gebildet.

9.2. 1990               Der Bereich "Kommerzielle Koordinierung" des MfS im Haus 41 des Stasi-Komplexes Normannenstraße wird geöffnet.

19.2. 1990             Die 13. Sitzung des Runden Tisches beschließt die Löschung und physische Vernichtung aller magnetischen Datenträger des MfS mit personen­bezogenen Daten. Die Aktion wird bis zum 12. März 1990 abgeschlossen.

23.2. 1990             Die Arbeitsgruppe Sicherheit des Runden Tisches genehmigt die Selbstauflösung der HVA. Die Akten wurden fast vollständig vernichtet. Allein die Akten der Abt. XV aus der BVfS Leipzig blieben wegen der Intervention des dortigen Bürgerkomitees erhalten.

8.3. 1990               Das Bürgerkomitee Leipzig protestiert beim Ministerpräsidenten gegen den Ministerratsbeschluß vom 08.02.1990 und reicht einen Änderungs­vorschlag ein, der die weitere Beteiligung der Bürgerkomitees sicherstellt.

16.3. – 7.4.1990          Hungerstreik für die Überprüfung der neuen Abgeordneten

Gefundene Akten und Karteikarten belasteten mehrere Kandidaten zur Wahl der Volkskammer als Stasi-Informanten (IM's). Am Abend des 16.3.1990 wurde auf einer Pressekonferenz über die Aktenfunde berichtet. Das Bürgerkomitee gab weder Anzahl noch Namen der Kandidaten bekannt. Eine Überprüfung der Kandidaten erfolgte nicht. Aber gegen zwei Angehörige der Unabhängigen Untersuchungskommission wurde ein Untersuchungsverfahren wegen Geheimnisverrat gemäß § 245 StGB der DDR eingeleitet. Außerdem untersagte der Generalstaatsanwalt eine weitere Tätigkeit der Unabhängigen Untersuchungskommission, die Mitglieder wurden aufgefordert, die Räume in der Bezirksverwaltung des MfS/AfNS zu verlassen.

Aus Protest beschlossen die Mitglieder der Bürgerwache Dirk Adams, Sven Braune und Klaus Voigt, in den Hungerstreik zu treten, der am 28.3.1990 um 12 Uhr begann. Dem schlossen sich fünf weitere Bürger in den Folgetagen an (Rolf Nestler, Jens Mempel, Andreas Licht, Falko und Frank Derer).

Ihre Forderungen waren:

·   Einstellung der Ermittlungen gegen Mitglieder der Unabhängigen Untersu­chungs­kommission,

·   Aufhebung des Arbeitsverbots in Erfurt,

·   Akteneinsicht zur Rehabilitierung von Opfern und Bestrafung von Tätern,

·   die Überprüfung der Volkskammer-Abgeordneten.

Nach mehreren Demonstrationen zur Unterstützung und weiteren Aktionen endete der Hungerstreik am 7.4.1990 20 Uhr mit einem Kompromiss: Ab 8.4.1990 konnte die Unabhängigen Untersuchungskommission weiter arbeiten und die Archive nutzen. Die Vertreter des Bürgerkomitees sollten in beratender Funktion in einem Untersuchungsausschuss der Volkskammer-Abgeordneten mit eingesetzt werden.

31.3. 1990         Entlassung aller Mitarbeiter der Staatssicherheit, nur einige Hundert, vor allem aus der Hauptverwaltung Aufklärung, bekommen auf drei Monate befristete Arbeitsverträge, um die Auflösung des MfS fortzusetzen

2.5. 1990         Beschluß des Runden Tisches der Stadt Leipzig unterstützt einen Antrag des Leipziger Bürgerkomitees an die Volkskammer. Dieser Entwurf sieht eine dezentrale Lagerung der Akten in den Bezirksstädten unter parlamentarischer Kontrolle und die Einrichtung von Dokumentationszentren vor.

6. 5. 1990              erste freie Kommunalwahl, der Erfurter Stadtrat konstituiert sich am 30. 5.,  Manfred Ruge wird Oberbürgermeister

31.5. 1990             Antrag aller Fraktionen der Volkskammer zur Einsetzung eines Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung des MfS/AfNS

7.6. 1990         Beschluß der Volkskammer zur Einsetzung des Sonderausschusses

21.6. 1990         Konstituierende Sitzung des Sonderausschusses. Vorsitzender ist der Abgeordnete Joachim Gauck (Bündnis 90). Die Volkskammer berechtigt den Sonderausschuß, "sachkundige Vertreter der Bürgerkomitees mit beratender Stimme hinzuzuziehen".

22.7. 1990             Erste Lesung in der Volkskammer zum "Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS". Die Vorschläge und Ansichten der Bürgerkomitees fließen in den Entwurf ein.

24.8. 1990         Verabschiedung des "Gesetzes über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS" durch die Volkskammer (nahezu einstimmig)

Der Kerngedanke war: Die Akten nicht nur für eine juristische, sonder für die historische und politische Aufarbeitung der Vergangenheit zu nutzen. Darüber hinaus gestand es jedem Bürger, der von der Stasi bespitzelt, eingeschüchtert oder verfolgt worden war, weitgehend uneingeschränkt sich darüber zu informieren, was die Stasi über ihn gespeichert und mit welchen Methoden sie ihm geschadet hatte.

30.8. 1990             Die Volkskammer protestiert in einer fast einstimmig verabschiedeten Erklärung dagegen, daß auf Druck des bundesdeutschen Verhandlungspartners das Volkskammergesetz vom 24.08.1990 nicht in den Einigungsvertrag, der am 31.8.1990 unterezichnet wird, aufgenommen wurde.

Von West und Ost wurden erhebliche Bedenken geäußert, deren Resultat äußerst restriktive Bestimmung zur Nutzung der Stasi-Akten waren. Durch heftigen Protest konnte verhindert werden, dass die Akten ins Koblenzer Bundesarchiv eingeliefert wurden.

4.9. 1990         Bürgerrechtler besetzen das Archiv des ehemaligen MfS. Sie fordern klare Regelungen über den Verbleib und die weitere Verwendung der Stasi-Unterlagen im Einigungsvertrag und die Beachtung des Volkskammergesetzes vom 24.08.1990.

5.9.1990                die Mahnwache von Mitgliedern des Bürgerkomitees vor der ehemaligen Stasi-Zentrale beginnt: ”Unsere Akten bleiben hier!!” und am 12.9.1990 fand ein Treffen des Erfurter Bürgerkomitees vor dem Rathaus statt mit der Warnung vor der Gefahr der Auslieferung der Stasi-Akten an den BND.

12.9. 1990             Die "Archivbesetzer" treten in einen unbefristeten Hungerstreik.

18.9. 1990         Zusatzklausel zum Einigungsvertrag, die den Deutschen Bundestag beauftragt, ein entsprechendes Gesetz nach den Grundsätzen des Volkskammergesetzes zu schaffen und nach der Vereinigung einen noch von der Volkskammer nominierten Sonderbeauftragten durch die Bundesregierung zu ernennen

3.10. 1990             Am Tag der deutschen Vereinigung wird nach Beschluß der Volkskammer der Abgeordnete Joachim Gauck zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Stasi-Unterlagen ernannt. Sie nimmt als erste Bundesbehörde nach dem Beitritt der DDR zur BRD ihre Arbeit mit anfänglich 52 Mitarbeitern auf (25 in der Zentrale und 27 in ihren Außenstellen), unterstützt von einem Aufbaustab abgeordneter Mitarbeiter vornehmlich aus Behörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.

Das Bürgerkomitee Erfurt wählt für die neu zu errichtende Stasi-Unterlagenbehörde als Erfurter Außenstellenleiter Pfarrer Heinrich Eber. Drei Mitarbeiter des Unab­hängigen Untersuchungskommission wurden in die Behörde des Bundes­beauftragten übernommen: Christian Hofmann, Günter Richter und Dieter Seidel.

17.12 1990         "Vorläufige Ordnung für die Nutzung personenbezogener Unterlagen des ehemaligen MfS/AfNS" (Vorläufige Benutzerordnung) wird vom Sonderbeauftragten erlassen

14.2. 1991             Ein Gesetzentwurf der Bürgerkomitees für ein Stasi-Unterlagen Gesetz wird an alle Fraktionen des Deutschen Bundestages sowie die Länderparlamente verschickt.

25. 4. 1991            Die Fraktionen des Deutschen Bundestages geben "Grundsätze für ein Stasi-Unterlagen-Gesetz" bekannt und erklären, das Gesetz im partei­poli­ti­schen Konsens erarbeiten zu wollen.

14.11. 1991           Das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) wird vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Bis dahin dauerte das Ringen um eine gesetzliche Regelung, die jedem Betroffenen Einsicht in die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS, genannt Stasi) ermöglicht.

4.12 1991              Am Eingang der ehemaligen MfS-Bezirksverwaltung wird eine Tafel zur Erinnerung mit folgendem Text angebracht: „AUS DEN FESSELN DER ANGST BEFREIEN Am 4. Dez. 1989 wurde dieses Gebäude der Staatssicherheit der DDR von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Erfurt besetzt.“ Anlässlich der Enthüllung wird die Auflösung des Bürgerkomitees verkündet.

Jedes Jahr treffen sich nun an diesem Tag um 18 Uhr hier Akteure, die an der Stasibesetzung beteiligt waren, um an dieses wichtige Ereignis in der Friedlichen Revolution zu erinnern.

19.12. 1991         Schlussberatung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Bundesrat

29.12. 1991         Inkrafttreten des Gesetzes. "Der Sonderbeauftragte" Joachim Gauck wird damit "Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR", ihm folgen Marianne Birthler und Roland Jahn.

Dezember 1991    Anhand vorhandener Anträge, der Prioritätenliste und der Erreichbarkeit der Antragsteller werden die Akteneinsichten für die ersten 50 Personen vorbereitet und die ersten ca. 40 Einladungen versandt.

Bereits vor Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes liegen von öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen Überprüfungsersuchen zu ca. 343.000 Personen vor. Bis heute immer wieder Anträge zur Einsichtnahme neu gestellt.