Nach dem 3. Oktober: Gauckbehörde und Verein Bürgerkomitee 15. Januar e.V.

Nach dem 3. Oktober 1990 war mit der Gründung der Behörde des Sonderbeauftragten, der nach ihrem Leiter sogenannte „Gauck“-Behörde, die Zeit des Bürgerkomitees endgültig vorbei. Mehrere Mitglieder wurden aber in die Behörde übernommen, der bekannteste seine ehemaliger Sprecher, David Gill, der nun als Pressesprecher von Joachim Gauck fungierte. Das konflikthafte Verhältnis von Gauck zu manchem Bürgerkomiteemitglied fand jedoch auch nach der Deutschen Einheit seine Fortsetzung. Nicht wenige warfen das Handtuch, insbesondere als mit dem Behördendirektor, Jörg Geiger, stärker auf Regeln geachtet wurde. Andere wurden aus der Behörde gedrängt, einige blieben.1 Der bekannteste Konflikt ist der um die Entlassung der Wissenschaftler Armin Mitter und Stefan Wolle über die Bewertung der IM-Akte zu Lothar de Maiziere, zu der die beiden eindeutige Kommentare abgaben, während sich die Behörde auf Weisung des Innenministeriums unter Wolfgang Schäuble zurückhalten musste.2

 

Diverse Mitglieder des Bürgerkomitees Normannenstraße behaupteten sich dennoch weiterhin auf dem Gelände. Faktisch existiertes es als lockerere Personenverbund weiter, der zum Teil über Jahre eine Art Netzwerk von Stasiauflösern bildete.

 

Unzufrieden mit dem Stand der Aufarbeitung, auch dem Umstand, dass es mangels gesetzlicher Grundlage bis Ende 1991 keine Möglichkeit für Privatpersonen oder Interessierte gab, die Stasiakten einzusehen, gründete sich Anfang 1991 aus Mitgliedern des ehemaligen Bürgerkomitees, der operativen Gruppe, des Runden Tischen und anderen an der Aufarbeitung Interessierten der Verein Bürgerkomitee 15. Januar e.V..3

 

Die Spuren, die das Bürgerkomitee Normannenstraße hinterlassen hat, sind vielfältig. Es ist, auch wegen der Personalwechsel in den verschiedenen Zusammenhängen, schwierig zu entscheiden, was das Komitee selbst bewirkt hat und was die Langzeitwirkungen der Volksbewegung in der DDR und ihrer verschiedenen Akteure und der Öffentlichkeit gewesen sind.

 

Auch die ersten Verlagspublikationen zum Innenleben der Stasi tragen noch die Spuren von Bürgerkomiteemitgliedern. „Ich liebe Euch doch alle!4, Diese Dokumentensammlung hatten Armin Mitter und Stefan Wolle im Auftrag des Runden Tisches erstellt. Der Band „Das Ministerium für Staatssicherheit“5 mit Zahlen, Daten, Fakten zur Entwicklung und Auflösung des MfS, war in wesentlichen Teilen vom staatlichen Auflösungskomitee mit Zuarbeiten von hochrangigen ehemaligen Stasi-Mitarbeitern erarbeitet worden,6 was auch manche Schwächen erklärt. Es erschien modifiziert unter dem Namen von David Gill und des für Stasi-Fragen zuständigen Mitarbeiters von Bischof Forck, Oberkirchenrat Ulrich Schröter. Beide Werke waren jedoch durch das Drängen und Wissen der Bürgerkomitees erheblich angereichert worden. Sie dienten jahrelang als Standardwerke zum Thema.

 

Der Plan des Vereins Bürgerkomitee 15. Januar e.V., ein Dokumentationszentraum aufzubauen, blieb in den Anfängen stecken.7 Der Aufwand wurde vom Bürgerkomitee offenbar überschätzt. Das erfolgreichste Projekt des Bürgerkomitees 15. Januar e.V. war die Herausgabe der Aufarbeitungszeitschrift „Horch und Guck“ (HuG), die vom Mai 1992 bis 2015 in Herausgeberschaft des Vereins als vierteljähriges Periodikum erschien.8 Dieses Projekt war mehr als eine Publikation, es hielt ein Aufarbeitungs-Netzwerk aufrecht, was sich seit den stürmischen Tagen im Dezember 1989 herausgebildet hatte. Die Autorenschaft reichte von Geschichts-Professoren bis zu Laien, die sich über die Stasi-Besetzungen gewissermaßen professionalisiert hatten. Manche Fakten aus den Akten wären ohne HuG nicht ans Tageslicht gekommen. HuG erfüllte auch die Funktion, den Personen, die in den zahlreichen Aufarbeitungsinstitutionen und –initiativen arbeiteten ein Sprachrohr und zugleich eine Informations- und Fortbildungsplattform zu geben.

 

Auf Beschluss des Runden Tisches erwuchs als Parallelinitiative unter Beteiligung von Mitgliedern des Bürgerkomitees eine Forschungs- und Gedenkstätte, die die Arbeit der Stasi dokumentiert.9 Daraus entstand im Sommer 1990 der Verein Antistalinistische Aktion, ASTAK e.V. ,10 dem zu verdanken ist, dass Vieles und viele Gegenstände aus den Kerngebäuden des MfS erhalten blieben und sich dort heute das Stasi-Museum im Haus 1 am ehemaligen Dienstsitz von Erich Mielke befinden

 

Eine Langzeitwirkung von 1989/90 ist, dass die Perspektive des ehemaligen Stasi-Geländes heute unter dem Label „Campus für Demokratie“ diskutiert wird. Ohne das zivilgesellschaftliche Engagement des Bürgerkomitees Normannenstraße und anderer wäre diese Perspektive für den ehemaligen Ort der „Täter“ nicht möglich.

Anmerkungen:

1Booß, Christian: Dissidenten der Stasi-Unterlagenbehörde: Über die Altlasten der Gauck-Behörde. In: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat (2007) 21, S.158-167.

2Booß, Christian: Im Goldenen Käfig. Göttingen 2017

3Editorial. Horch und Guck 1(1992), S. 3

4Mitter, Armin; wolle, Stefan (Hg.)“ Ich liebe euch doch alle!: Befehle und Lageberichte des MfS; Januar – November 198, Berlin 1990. 

5Gill, David; Schröter, Ulrich: Das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1991

6Komitee zur Auflösung des AfNS. Konzeption für die weitere politisch-historische Aufarbeitung der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit. 15.8.1990, RHG, Bestand Gill, BK 1; Gill, David; Schröter, Ulrich: Das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 199, S. 262

7Diese Funktion erfüllt im Raum Berlin jetzt das Archiv der Robert Havemann-Gesellschaft (RHG), in der auch einige engagiert sind, die zuvor im Bürgerkomitee tätig waren.

8HuG H1 (Mai 1992)

9Gill, David; Schröter, Ulrich: Das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1991, S. 275ff

10So der Initiator, Carlo Jordan von den Grünen im Interview am 8.7.2018