Archiv Demokratischer Sozialismus in der Rosa-Luxemburg- Stiftung, Berlin (ADS)

von Christian Booß

Bestandsgeschichte:1 

Die Stiftung steht der Linkspartei bzw. PDS nahe, die durch Umwandlungen seit Ende 1989 in Rechtsnachfolge der SED stehen. Sie betreibt ein Archiv, das Parteiarchivalien seit Ende 1989 und auch Nachlässe von ehemaligen SED, PDS und Linksparteipolitikern oder diesem politischen Lager nahestehenden Personen übernommen hat.

Die Bestände der alten SED wurden durch Vereinbarung mit der Bundesrepublik Deutschland an die Stiftung Parteien und Massenorganisationen (SAPMO) unter dem Dach des Bundesarchivs abgegeben. Als Zäsur gilt der vorgezogene Beginn des außerordentlichen Parteitages der SED vom 8. Dezember 1989, wo ein Vorstand und Gregor Gysi als Vorsitzender gewählt wurde. Dieser ersetzte in einer modernisierten Form und Programmatik die Führungsgremien der SED, das Politbüro und ZK-Sekretariat. Diese waren am 3. Dezember auf Druck der friedlichen Revolution, aber auch der eigenen Parteibasis zurückgetreten. Damit befand sich die SED in einem statutenwidrigen Übergangsstadium. Die Partei wurde faktisch vom sogenannten Arbeitsausschuss geleitet, das den Erneuerungsparteitag vorbereiten sollte. Der Arbeitsausschuss gründete sich am Nachmittag des 3. Dezember, war allerdings ein Gremium, das in den Statuten der SED nicht vorgesehen war. Insofern ist bis heute nicht eindeutig, inwieweit die Übergangsphase vom 3. bis zum 8. Dezember archivisch der alten SED oder der erneuerten SED/PDS zuzurechnen ist.

In der SAPMO gibt es nach Recherchen in den Findmitteln und Auskunft von SAPMO-Archivaren keinen Bestand zum Arbeitsausschuss. Das ADS rechnet Akten dieser Phase, insofern sie der Vorbereitung des Parteitages und der Vorgeschichte des neuen Parteivorstandes dient, zur Partei-Ära Gysi, die in seinem Bestand archiviert sind. Der Bestand „Der Parteivorstand der PDS – Die Ära Gysi (1989 bis 1993)“ misst insgesamt ca. 13,6 laufende Akten-Meter. Dieses Archivgut hat das ADS in mehreren Ablieferungen in der Zeit von Mai bis November 2003 aus dem Archiv beim Parteivorstand der PDS in Berlin übernommen. Allerdings gibt es auch hier keinen systematischen Teil-Bestand Arbeitsausschuss. Nach Angaben der Archivare, die diesen Bestand erschlossen haben, ist er nicht vollständig, zugespitzt muss man die Überlieferung eher als „fragmentarisch“ bezeichnen.

Themenrelevantes zur Stasi-Auflösung

Mitglieder des Arbeitsausschusses, wie Gregor Gysi, Markus Wolf, Herbert Kroker und Wolfgang Berghofer waren nach eigenen Bekundungen insbesondere in den Tagen vom 3.-6. Dezember stark in die Frage der Auflösung des MfS/AfNS involviert. Diese Frage überlagerte anfangs sogar die eigentliche Aufgabe des Arbeitsausschusses. Dies spiegelt der Bestand nicht. Nur Einzelakten sind in den Beständen „Parteivorstand der PDS – Die Ära Gysi (1989 bis 1993)“ aufzufinden. In diesem Findbuch finden sich unter dem Stichwort MfS/AfNS nur Einträge zur Geschichtsaufarbeitung und Selbstverständigung der Partei nach dem Ende der DDR. Die einzige Ausnahme bildet der Präsidiums-Beschluss zur Auflösung der Parteiorganisation 18 (ehemals Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit) von 1990,2 der immerhin erstaunlich der Zeit und ihren Ereignissen hinterherhinkte.

Für das Thema Stasi-Auflösung einschlägige Akteneinheiten aus dem PV-Bestand werden auf Grund der Überschaubarkeit und Einfachhalt halber aus dem Findbuch des ADS zitiert. Sie spiegeln aber eher den parteihistorischen Kontext und weniger die Stasi-Auflösung an sich.

Der Einfluss der SED-PDS auf Staat und Gesellschaft ließ in dieser Zeit geradezu täglich nach, nachdem der Zentrale Runde Tisch als neuer Akteur auftrat, Wahlen angesetzt waren und durchgeführt wurden, eine neue Regierung antrat und die Deutsche Einheit auf die Tagesordnung kam. Insofern sind die Diskussionen der SED/PDS zur Auflösung des MfS/AfNS in dieser Zeit nicht mehr von der Relevanz, wie in den Dezembertagen, als der Arbeitsausschuss zusammen mit der Regierung Modrow (SED) den politischen und staatlichen Prozess der Umstrukturierung des MfS/AfNS noch unmittelbar zu steuern versuchte.

Nicht auszuschließen ist jedoch, dass in Vorlässen, Nachlässen und Beständen zur Parteigeschichte der SED-PDS noch vereinzelt Dokumente zu finden sind, die das Verhältnis der einstigen Staatspartei zum Auflösungsprozess beleuchten. Dies gilt insbesondere für den Nachlass des Vertrauten und Mitarbeiters von Ministerpräsident Modrow, Karl-Heinz Arnold, der allerdings zu diesem Thema schon publiziert hat.3

Zitierweise: ADS. 

Mustersignaturen:

Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS 1989

PDS PV - 001 001 001 001 Dezember 1989 Alt-Signatur: 2003 - A - 066/IX

Sitzung des Arbeitsausschusses zur Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitages der SED vom 6. Dezember 1989

Enthält: Gedächtnisprotokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses vom 6.12.1989.

Umfang: 1 Mappe

Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS, Dezember 1989 (Teil 2)

PDS PV - 003 003 003 003 (November) - Dezember 1989 Alt-Signatur: 2003 - A - 001

Sitzung des Arbeitsausschusses zur Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitages der SED vom 6. Dezember 1989 (Teil 2)

Enthält u.a.: Vorbereitende Materialien zum Außerordentlichen Parteitag der SED/PDS im Dezember 1989, darunter konzeptionelle und Ablauf-Planungen für einen Außerordentlichen Parteitag der SED Mitte Dezember 1989 in Berlin - so Vorlagen von Siegfried Lorenz für das Politbüro des Zentralkomitees (ZK) der SED vom 13. und vom 25. November 1989 betr. Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung eines Außerordentlichen Parteitages der SED vom 15. bis 17. Dezember 1989; Ordnung für die Wahl der Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees und der Zentralen Revisionskommission der SED (Entwurf); Varianten für die Tagesordnung des Parteitages; Vorschläge für die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Kommissionen zur Ausarbeitung von Beschlussdokumenten des Außerordentlichen Parteitages; Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 28. November 1989 zur Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitages der SED vom 15. bis 17. Dezember 1989 in Berlin. - Beschlussprotokoll der konstituierenden Sitzung des Arbeitsausschusses der SED am 3. Dezember 1989, personelle Zusammensetzung des Arbeitsausschusses und Erklärung. - Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses [der SED] vom 4. Dezember 1989. - Zuarbeit für die Beratung mit den 1. und 2. Sekretären der Bezirksleitungen der SED am 6. Dezember 1989. - Schreiben aus dem In- und Ausland an die Parteiführung der SED bzw. an den Arbeitsausschuss zur Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitages der SED vor allem im Vorfeld des Außerordentlichen Parteitages der SED/PDS, darunter solche mit Forderungen nach dem sofortigen Rücktritt des Generalsekretärs des ZK der SED, Egon Krenz, des Politbüros und des ZK der SED, nach Auflösung der Partei und nach Bestrafung aller Partei- und Staatsverbrechen nach dem Gesetz ohne Ansehen der Person. - Aufrufe, Meinungen und Informationen (insbesondere Tagesinformationen des Konsultations- und Informationszentrums der Partei-Zentrale) im Kontext des Außerordentlichen Parteitages der SED/PDS. - Bereitschaftserklärungen zur Mitarbeit im Arbeitsausschuss zur Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitages der SED. - Für einen alternativen demokratischen Sozialismus. Diskussionsstandpunkt des Arbeitsausschusses zu der von der Basis ausgehenden Neuformierung der SED als moderne sozialistische Partei. - Zuarbeiten zu den Referaten und Dokumenten des Außerordentlichen Parteitages der SED (»Zur deutschen Frage«; »Zur Reform des politischen Systems in der DDR«). - Statut der SED. Entwurf. Vorgelegt vom Arbeitsausschuss zur Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitages der SED. - Bericht der Zentralen Parteikontrollkommission an den Außerordentlichen Parteitag der SED. - Zu Ursachen für die Krise in der SED und in der Gesellschaft (mit dem Anschreiben von Wolfgang Herger, Werner Jarowinsky, Egon Krenz, Siegfried Lorenz, Wolfgang Rauchfuß, Günter Schabowski, Helmut Semmelmann und Günter Sieber, 13.12.1989). - Bericht über die Finanzen der SED.

Umfang: 9 Mappen

PDS-PV PV PV PV -- 008 008 008 008 (November 1989) Alt-Signatur: 2003 - A - 092/I

Beschluss des Sekretariats des Zentralkomitees der SED vom 24. November 1989

Enthält: Beschluss des Sekretariats des ZK der SED vom 24.11.1989 betr. Ausarbeitung des ersten Abschnittes für die Rede auf dem Außerordentlichen Parteitag [der SED] vom 15. bis 17. Dezember 1989. Enthält auch: Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 28.11.1989 betr. Themen für die Parteipresse.

Umfang: 1 Mappe

Anmerkungen:

1nach Christine Gohsmann und Jochen Weichold: Findbuch 14. Bestand: Parteivorstand der PDS - Die Ära Gysi (1989 bis 1993), Berlin 2013 in: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/ADS/Findbuch_14.pdf (Zugriff 10.12.2019)

2PDS PV -- 313 313 313 313 Jan. - Dez. 1990 Alt-Signatur: 2003 - XII - 056/I

3Arnold, Karl-Heinz, Berlin