Interview mit Rainer Eppelmann.

Der Spiegel, Nr. 14 vom 2.4.1990

"Wir haben Lynch-Stimmung". Spiegel: Herr Eppelmann, die elende Stasi-Vergangenheit wird zu einem immer größeren Problem bei der demokratischen Erneuerung der DDR. Ihre Partei Demokratischer Aufbruch hat schon ihren ersten Vorsitzenden Wolfgang Schnur verloren, andere Politiker stehen unter Verdacht. Sind Sie dafür oder dagegen, die 400 neugewählten Volkskammerabgeordneten auf etwaige frühere Stasi-Dienste zu überprüfen? Rainer Eppelmann: Ich bin dafür, obwohl ich weiß, daß es ungeheuer kompliziert sein wird. Es ist ja nicht damit getan, daß man jetzt feststellt, 17, 25 oder 40 - was weiß ich - Mitglieder der Volkskammer sind informelle [sic !] Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen oder sogar hauptamtliche. Das Personen- und Datenschutzrecht verbietet, die zu benennen. Die, die da die Akten ziehen, dürfen allenfalls sagen: Wir sind fündig geworden. Spiegel: Und die Betroffenen könnten die Konsequenzen ziehen. Rainer Eppelmann: Ja, aber glauben Sie denn wirklich, daß die dann geschlossen sagen: Wir sind geborene Masochisten, wir bleiben zu Hause und geben unser Mandat zurück? Es ist ja noch viel komplizierter. Ich weiß zum Beispiel von einem Mitglied der PDS, das von Genossen gedrängt worden ist, sich zur Wahl zu stellen - ich sage gleich, es war nicht Hans Modrow -, weil man meinte, der Mann wird Stimmen bringen. Derjenige wollte aber aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten. Nun ist er gewählt und stellt immer wieder fest, daß er bei seinem Gesundheitszustand dem Drängen der Genossen nicht hätte nachgeben dürfen. Er traut sich aber nicht, das Mandat aufzugeben, weil dann 16 Millionen sofort denken würden: Aha, da haben wir den ersten.

 

Zit. nach Silke Schumann, Vernichten oder Offenlegen? Zur Entstehung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, Berlin 1995,S. 87